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Beiteiligung Polens am Wiederaufbau des Irak

Meurer: Herr Reiter, wie groß war denn der Schock in Polen, als am Freitag das Attentat in Nadschaf geschah, also genau in der Besatzungszone, für die Polen das Kommando übernimmt?

    Reiter: Das Unverständnis, das in der Bevölkerung weitgehend herrscht für den Sinn der polnischen Mission im Irak, schlug um in Sorge. Ich glaube, dieser Zustand wird jetzt länger dauern. Warum ist es so? Einmal ist es natürlich, dass Menschen gegen einen Krieg sind, aber hier muss man auch noch sagen, die polnische Regierung hat sehr wenig dafür getan, der Bevölkerung den Sinn ihrer Irakpolitik zu vermitteln und zu erklären. Diese Entscheidung fiel zu leicht, auch deshalb, weil es im Grunde genommen in der Politik kaum Widerstand gegen diese Entscheidung gab, und das hat es der Regierung sehr leicht gemacht. Nur: Diese Leichtigkeit kann sich jetzt rächen.

    Meurer: Was ist denn der tiefer Sinn der polnischen Irakpolitik?

    Reiter: Gut, es ist ein politischer Sinn, und er ist nicht so offensichtlich, er ist nicht für jeden Mann offensichtlich. Wenn man davon überzeugt, dass im Irak ein wichtiger Kampf gegen ein weltweites Phänomen, den Terrorismus, stattfindet und dass das wichtig ist, um die Welt mittelfristig sicherer zu machen, dann ist es nicht falsch, sich an diesem Kampf zu beteiligen.

    Meurer: Nur: War der Hauptgrund nicht, dass Polen selbst etwas davon hat, nämlich eine außenpolitische Aufwertung?

    Reiter: Das ist sicherlich auch noch ein Nebenaspekt. Nur muss es eine Art moralische Begründung geben. Man muss die Überzeugung haben, dass man für eine richtige Sache kämpft. Dann gab es sicherlich politisch in Polen die Hoffnung, durch diese Beteiligung in eine höhere Liga der Politik aufsteigen zu können.

    Meurer: Sind Sie der Meinung, dass das Engagement Polens noch für die richtige moralische Sache gilt? Zum Beispiel sind immer noch keine Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden worden.

    Reiter: Na gut, ich glaube nicht, dass das Problem ein moralisches ist, sondern ein politisches. Das Problem ist, ob diese Art von Intervention wirklich zu dem Ziel führt, und das Ziel ist es, die Region, die ja für die ganze Welt von Bedeutung ist, den Nahen Osten zu befrieden, neu zu gestalten und neu zu ordnen. Es schien, dass die Intervention im Irak eine Art kontrolliertes Erdbeben auslösen würde und sich dann eben aus diesem Erdbeben ein friedlicherer, sicherer Naher Osten sich ergeben würde. Nur daran gibt es heute Zweifel. Aber daran, dass Polen sich auch in einer entfernten Region beteiligt, daran zweifle ich nicht. Das ist eine gute Gelegenheit für Polen, eine Art Verantwortungsbewusstsein zu zeigen. Es gibt genug Europäer, die die Ohne-Mich-Haltung vertreten, und ich finde auch, Polen sollte diese Bereitschaft, sich zu engagieren, in Europa, in die Europäische Union einbringen.

    Meurer: Mit der Ohne-Mich-Haltung meinen Sie Deutschland, die Regierung Schröder?

    Reiter: Ich meine viele Europäer, nicht nur Deutschland. Das ist eine sehr verbreitete Haltung in Europa, und ich glaube nicht, dass sie Europa sehr viel nützt, sondern dass Europa eben reif werden soll und dann eines Tages gemeinsam auftreten soll in der Welt, auch gerade in solchen Konflikten wie hier in Irak. Ich wäre froh, wenn Polen eines Tages mit einer neuen außenpolitischen Reife sich an europäischen Operationen beteiligt.

    Meurer: Was sagen Sie zu den Vorwürfen aus Brüssel oder besonders aus Paris, dass Polen sozusagen das trojanische Pferd der USA in Europa ist?

    Reiter: Ich sage, dass das Quatsch ist. Polen wird bald Mitglied der Europäischen Union sein, und Polen hat gute Gründe, auch an der Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sich zu beteiligen. Aber eben zu dieser Politik gehört auch eine Art Risikobereitschaft, und ich glaube, dass Polen das mit einbringen wird.

    Meurer: Hat Polen sich und seinen Europaambitionen geschadet?

    Reiter: Das glaube ich nicht. Man kann keinen Widerspruch herstellen zwischen der polnischen Beteiligung an der Aktion im Irak und der Erfüllung der Pflichten als EU-Mitglied. Also Polen wird eine harte Arbeit zu leisten haben, um ein gutes EU-Mitglied zu werden. Das wird sehr unspektakuläre aber sehr harte Arbeit sein. Polen muss beides schaffen. Es wird nicht leicht sein. Auch wenn man Zweifel an der Irakkooperation hat, niemand kann im Grunde genommen ein Interesse daran haben, dass Polen dort scheitert, denn das Ergebnis wäre eine Art Rückzug in das eigene Schneckenhaus, und das kann im niemandes Interesse sein.

    Meurer: Wie wichtig ist folglich der heutige Tag für Polen, der Tag, an dem polnische Soldaten das Kommando in einer der Militärzonen im Irak übernehmen?

    Reiter: Das ist sicherlich symbolisch ein wichtiger Tag, eine Zäsur, denn von heute an spielt Polen eine völlig neue Rolle mit ganz ungewissem Ergebnis. Eins muss man, glaube ich, ganz offen sagen: Viele haben wahrscheinlich das Risiko unterschätzt; insbesondere wurden die Erfolgsaussichten der amerikanischen Operationen etwas zu optimistisch eingeschätzt. Der Irak hat sich als viel schwieriger erwiesen, als man das vor einem halben Jahr geglaubt hatte. Nun muss aber Polen eben das Risiko teilen, und, wie gesagt, ich glaube nicht, dass irgendjemand innen- oder außenpolitisch einen Grund haben könnte zur Schadenfreude, wenn Polen dort in Schwierigkeiten gerät.

    Meurer: Das war Janusz Reiter, ehemaliger Botschafter Polens in Deutschland, vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio