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Bekehrung
Wie "Bild"-Journalist Böcking zum Glauben fand

Daniel Böcking ist stellvertretender Chef von bild.de. Vor einigen Monaten bekannte er sich in einem Artikel zum Christentum. Der Glaube habe sein Leben verändert, sagt er. Er trinkt keinen Alkohol mehr und verbietet sich die üblichen Lästereien unter Kollegen. Vom Boulevardjournalismus will er sich nicht verabschieden, der diene der Wahrheitsfindung, behauptet er.

Von Marie Wildermann | 23.08.2016
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    Bild.de Redakteur Daniel Böcking hat sich zum Christentum bekehrt (Christian Langbehn)
    Der Glaube spielte in seinem Leben lange überhaupt keine Rolle, sagt Daniel Böcking, stellvertretender Chefredakteur von bild.de. Im Leben des heute 39-Jährigen lief alles rund: Journalistenschule, Karriere bei der Bild-Zeitung, glücklich verheiratet, drei Kinder.
    "Was mich wirklich zum Nachdenken gebracht hat, das waren viele Ereignisse im Jahr 2010. Da war ich direkt nach dem Beben in Haiti mit über 300.000 Toten dort vor Ort. Und da gab es natürlich wahnsinnig viel Leid, Trauer, Verzweiflung und trotzdem hat man dort immer wieder sehr viel Glauben gefunden, sehr viele betende Menschen. Wir waren dort mit sehr vielen Hilfsorganisationen, einige davon auch christlich. Es hat mich einfach total fasziniert, wie Menschen in solchen Situationen aus dem Glauben Kraft schöpfen können und das war auch das erste Mal, dass mir der Glaube an Jesus Christus näher gebracht wurde."
    Einige Monate später: der Einsatz in Duisburg bei der Loveparade, wo 21 Menschen sterben. Dann das Grubenunglück in Chile, 33 Bergleute sind monatelang verschüttet. Die Angehörigen bangen und hoffen, vor allem aber: Sie beten und schöpfen Kraft aus dem Glauben.
    Antworten in der Bibel
    "Das war halt das, was mich wirklich neugierig gemacht hat zu sagen: Das ist doch interessant, wenn ich so einen gewissen Mini-Glauben in mir spüre, so ganz weit hinten, dass ich den bisher nicht ernster genommen habe. Wenn es tatsächlich so ist, dass ich glaube, dass es einen Gott gibt, dass es Jesus Christus gegeben hat und gibt und er eine Rolle spielen kann, dann ist es doch eigentlich ein Hauptgewinn für mein Leben, und dann muss ich doch eigentlich anfangen, mich damit zu beschäftigen."
    Und das tut er. Liest in der Bibel und erhofft sich Antworten für sein Leben.
    "Natürlich, war das nicht von einem auf den andern Tag so, dass ich gesagt hab, so jetzt bete ich mal richtig und rums, war Gott da und ich wusste alle Antworten."
    Hin und wieder trifft er auf Menschen, die ihn weiterbringen auf seiner spirituellen Reise. In Gottesdienste am Sonntag Morgens geht er ungern. Um seine Frau zu entlasten, hätte er die Kinder, die noch sehr klein sind, mitnehmen müssen in die Kirche. Das wäre für alle ein Kraftakt.
    "Aber generell ist es so, dass ich das Gefühl hatte, dass es nicht besonders leicht ist, seinen Weg in die Kirche zu finden und sich dort richtig willkommen zu fühlen."
    "Du musst dein Leben ändern!"
    Berührungsängste, was Konfessionen oder theologische Richtungen angeht, hat er keine, denn der Unterschied zwischen Freikirche und Landeskirche zum Beispiel, sagt er, war ihm lange gar nicht klar. Wenn er Personen und Gemeinden erwähnt, die ihn beeinflusst haben, wird deutlich: Es sind in erster Linie Christen aus Freikirchen und Brüdergemeinden, Evangelikale wie Ulrich Parzany. Aber keiner fordert von ihm: 'Wenn du Christ sein willst, musst du dein Leben ändern!' Seine Auseinandersetzung mit der Bibel führt aber genau dazu: Er ändert sein Leben.
    "Am einschneidensten war für mich sicher der komplette Verzicht auf Alkohol. Ich hatte immer so den Hang der Letzte an der Theke zu sein. Ich war ganz gut im Biertrinken, und ich mag Biertrinken. Und ich mag Bier bis heute wahnsinnig gerne. Das klingt lächerlich, aber natürlich, wenn man einen stressigen Job hat und man freut sich schon auf den Freitagabend mit den Freunden in der Kneipe und dann kann man nachher auch noch gerne weiterziehen und am Samstag fährt man mit einer Flasche Bier schon in der Bahn zum Fußballspiel und so weiter. Wenn man dann von einem auf den andern Tag sagt, ich will das nicht mehr, dann ist das schon eine krasse Veränderung."
    Vielleicht, sagt Daniel Böcking, merkt er irgendwann, dass er gar nicht so radikal sein muss, aber im Moment fühle es sich gut an. Die Kraft für die Verhaltensänderung komme aus dem neu gewonnenen Glauben, aus seiner Beziehung zu Jesus Christus, wie er sagt. Auf zentrale Glaubensinhalte, die im Christentum kontrovers diskutiert werden – etwa Himmel, Hölle, göttliche Gnade – geht er nicht ein. Aber er macht nach der ersten Begeisterung auch die Erfahrung, dass der Glaube ihm einiges abverlangt.
    Vergebung für Terroristen
    "Ich glaube, dass im Büro gelästert wird, das gehört irgendwie dazu, das macht man gerne. Natürlich weiß man, wann man zu weit geht und wann es eigentlich auch jemandem gegenüber unfair war, aber meine Güte, es gehört halt zum guten Ton, dass man einer gepflegten Lästerei nicht ausweicht. Nun ist das aber wieder so ein Punkt, wo in der Bibel klare Anweisungen stehen, dass das nicht richtig ist. Und das sind so Punkte, die ich mit 'anstrengend' meine, wenn es das Normalste der Welt ist, dass man sich mit Kollegen unterhält und dann natürlich mal über jemanden herzieht. Und sich aber ständig selbst auf die Füße treten muss und sagen muss, nein, Daniel, es ist nicht richtig. "
    Als er in der Redaktion wieder mal mit grausamen IS-Videos konfrontiert ist, überlegt er, einen Kommentar zu schreiben in dem er sich als Christ outet. Und die Frage stellt, warum die Welt in diesen Zeiten des Terrors so wenig von den Christen hört. Warum es ein Irrweg ist, zu glauben, es könne Gott gefallen, Menschen zu töten. Und dass es selbst für IS Terroristen die Möglichkeit zur Umkehr und zur Vergebung gibt.
    "Und das war dann das, was ich gemacht habe und für mich sehr, sehr bewusst zu sagen: Ich habe keine Ahnung, ob das total nach hinten losgeht. Ich hab keine Ahnung, ob ich morgen die Lachnummer der Redaktion bin."
    Sein Kommentar bekommt 19.000 Reaktionen auf Facebook, sehr viele positiv und ermutigend. Aber es gibt auch kritische Anfragen.
    "Ich habe die Frage, wie ich als Christ bei "Bild" arbeiten kann, ganz, ganz oft gestellt bekommen. Für mich ist Bild ein großes Stück Wahrheitsfindung. Ich weiß nicht, was mit Voyeurismus bei Crime manchmal gemeint ist, ob es da nicht sehr oft eine falsche Empörung gibt, wenn man einfach Wahrheiten abbildet."
    Viele Christen, die ihren Glauben ernst nehmen, sehen das anders, beispielsweise auch, wenn es um Häme geht, die die "Bildzeitung" gerne mal auskippt, wenn Promis Fehltritte begehen. Schadenfreude statt sachlicher Berichterstattung – nicht gerade eine christliche Tugend. Das Buch, das der stellvertretende Chefredakteur von bild.de über seine spirituelle Suche geschrieben hat, heißt im Untertitel" "Wie Gott mein Leben umkrempelt". Eine radikale Umkehr beschreibt es nicht, eher einen Weg der kleinen Schritte. Böcking geht diesen Weg ganz ohne seelsorgerliche Hilfe, ohne christliche Gemeinde und ohne sektiererische Gruppen. Und ohne die Landeskirchen.
    Daniel Böcking: Ein bisschen Glauben gibt es nicht. Gütersloher Verlagshaus. 224 Seiten, 17,99 Euro.