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Bekenntnis mit Verzögerung

Am 17. April beginnt in München der Prozess gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund", den NSU. Aus diesem Anlass hat der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Wolfgang Niersbach, einen Offenen Brief an die 26.000 Vereine in Deutschland verschickt. Darin wirbt er für mehr Engagement gegen Diskriminierung. Es ist das erste Mal seit Amtsantritt, dass sich Niersbach offensiv zum Thema positioniert.

Von Ronny Blaschke | 14.04.2013
    Wolfgang Niersbach sitzt in der Bibliothek der DFB-Zentrale in Frankfurt am Main, auf dem Konferenztisch liegen Zeitungsartikel, Vereinssatzungen, Sportgerichtsurteile. Er spricht langsam, scheint jedes Wort abzuwägen.

    "Mein Vater war Jahrgang 1915, er ist wie wohl alle Männer dieser Generation als Soldat eingezogen worden. Ich weiß, dass er die Ausbildung in Insterburg, dem damaligen Ostpreußen, in der Kavallerie gemacht hat, danach in Norwegen und anschließend in englischer Kriegsgefangenschaft war – viel mehr weiß ich nicht. Ich bin 1950 geboren, gehöre aber auch zu der Generation, die mit dem Vater, mit den Eltern, wenig bis gar nicht über diese Zeit gesprochen hat. Im Nachhinein bedauere ich es. Also in meiner Schulzeit zwischen 1960 und 1970 ist dieses Thema bei weitem nicht so in der Öffentlichkeit gewesen, auch nicht so diskutiert worden, wie das gerade aktuell der Fall ist."

    Seine ersten Eindrücke hat Niersbach 1976 in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz gesammelt, damals hatte er als Journalist von der Eishockey-Weltmeisterschaft im polnischen Kattowitz berichtet. Auch an 1996 kann er sich gut erinnern: Die Fußball-Nationalmannschaft bestritt ihr erstes Spiel nach dem Gewinn der Europameisterschaft in Zabrze gegen Polen, nicht weit von Auschwitz entfernt. Deutsche Hooligans entrollten ein Transparent mit dem Schriftzug: "Schindler-Juden – wir grüßen Euch!" Niersbach war Pressesprecher des DFB, er war fassungslos und konnte erahnen, wie begrenzt die Macht des Verbandes gegen Neonazis ist.

    "Bei der Aufarbeitung haben wir als DFB zunächst keine aktive Rolle im Sinne von Sanktionen. Wir können als Verband, und werden das auch tun, unsere Grundhaltung deutlich machen. Dass wir nicht nur über die Satzung, sondern aus voller Überzeugung gegen jede Bewegung nach rechts sind, dass dieser Fußball bunt, offen sein soll für alle. Und wir haben jetzt ganz konkret unsere Vereine über die Landesverbände aufgefordert, ihre Satzungen möglichst so zu ändern, dass man mit diesem Argument, der Fußball ist per Satzung offen für alle, auch für Ausländer und Migranten in diesem Land, dass man da die Andersdenkenden auch ausschließen kann."

    Unter seinem Vorgänger Theo Zwanziger hat der DFB viele Kampagnen angestoßen. Fans und Medien fragten sich, ob Niersbach diesen Kurs fortführen würde. Zuletzt traten Neonazis häufiger in Erscheinung: in Aachen, Dortmund oder Braunschweig. Fan-Organisationen vermissten eine Positionierung des DFB. Diese Zurückhaltung stehe stellvertretend für das Bewusstsein von Funktionären, sagt Philipp Markhardt, Sprecher des Bündnisses ProFans.

    "Der Verein kann die Fans nicht allein lassen, das darf er gar nicht, denn Fans können nicht Recht und Gesetz in die eigene Hand nehmen. Es reicht einfach nicht, wenn ein Verein sagt: wir positionieren uns gegen Rechtsextremismus, oder noch besser gegen Extremismus jeder Art. Das ist diese typische Aussage, wenn man es allen recht machen möchte. Ich wüsste nicht, dass es einen Verein gibt, wo konsequent ein Kurs gegen Rassismus gefahren wird, gemeinsam mit den Fans, in Absprache mit den Fans."
    Wolfgang Niersbach versucht, sich in diese kritische Haltung hineinzuversetzen. Er rückt vielmehr die Prävention in den Fokus: die Vergabe des Julius-Hirsch-Preises an antirassistische Initiativen oder die Unterstützung der fünfzig Fanprojekte. Im Dezember begleitete Niersbach Nachwuchsspieler nach Israel, auch durch die Gedenkstätte Yad Vashem.

    "Und wie man in dem Alter ja so ist: locker, cool, auch große Klappe, meine ich gar nicht negativ. Aber deren Gesichter werde ich auch nicht vergessen, als die Führung durch Yad Vashem vorbei war. Tiefe Betroffenheit, da wurde auf einmal nicht groß geredet. Und das ist genau gewollt: Dass diese Generation es hautnah mitbekommt, für sich selbst verarbeitet, aber dann nach Hause kommt, und es im Umfeld – Schule, Verein – genauso weiter trägt."

    Vor jedem Auswärtsspiel erhalten auch die A-Nationalspieler Dossiers über gesellschaftliche Fragen der Gastgeberländer. Niersbach sagt, einige Spieler würden das Material intensiv lesen, andere weniger. Der 62-Jährige pflegt seine Kontakte zu den Spitzenvereinen. Einige Aktivisten sagen dagegen, ihr Dialog mit dem DFB sei unter Niersbach eingeschlafen. Der Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski ist Mitglied einer Kompetenzgruppe an der Universität Hannover, auch er berät den DFB.

    "Der DFB hat keinen Antidiskriminierungs-Beauftragten, hat keinen Gleichstellungs-Beauftragten. Jeder große Betrieb leistet sich einen Gleichstellungs-Beauftragten. So etwas einzusetzen, wäre meiner Meinung nach ein großer Schritt. Einen Ansprechpartner zu schaffen, und das auch herunter zu delegieren an die einzelnen Landes- und Regionalverbände. Zu sagen: Wir brauchen Ansprechpartner für dieses Thema Antidiskriminierung."

    Wolfgang Niersbach hält die Strukturen des DFB für ausreichend: Im Hintergrund arbeiten Wissenschaftler, Experten und Fanbetreuer an Konzepten gegen Menschenfeindlichkeit. Und zum Beispiel auch an einem Leitfaden für ein Coming-out eines schwulen Profispielers.

    "Da habe ich persönlich die Auffassung, dass dieses Outing jedem einzelnen selbst überlassen ist. Aber wenn einer sich outen möchte, dann soll er wissen, dass ihm dieser Verband jede Hilfestellung gibt. Und das wiederum soll kein Spruch sein, da haben wir Expertengruppen gebildet. Also da verbirgt sich bei uns jetzt keine Ankündigung, die wir vielleicht für uns behalten. Nein, ich sehe den Fall konkret nicht, aber wenn er denn eintritt, dass wir da optimal vorbereitet sind."