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Belanglos zusammengestoppelt

Einer der ältesten Theatermacher der Welt hat Bertolt Brechts Bearbeitung der "Antigone des Sophokles" am Berliner Ensemble inszeniert. George Tabori liefert eine Antigone ohne Konzept ab.

Von Hartmut Krug |
    Brechts Bearbeitung der "Antigone des Sophokles" wird nicht sonderlich oft gespielt. Schon die Uraufführung 1948 im schweizerischen Chur mit Helene Weigel in der Titelrolle erreichte nur 4 Vorstellungen, und für die deutsche Erstaufführung 1951 in Greiz schrieb Brecht einen Prolog, in dem er dem erwarteten Unverständnis des Publikums gegenüber einer unbekannten und ungewohnten Geschichte die Forderung entgegensetzte, das Publikum möge nach ähnlichen Taten in näherer Vergangenheit suchen.

    Diesen Prolog lässt George Tabori in seiner Inszenierung auf der Probebühne des Berliner Ensembles von einem nachdenklich den Text versinnlichenden Traugott Buhre als blinder Seher Tiresias sprechen. Das ursprüngliche Vorspiel, in dem zwei Schwestern in einem Luftschutzkeller 1945 in Konflikt mit der SS geraten, weil eine von ihnen ihren von der SS aufgehängten Bruder abschneiden will, lässt Tabori fort. Das Stück bietet heute zwei besondere Probleme. Zum einen hat Brecht sein Stück über Antigones Widerstand im totalitären Regime sowohl als ein zeitgebunden konkretes wie ein zeitlos ungenaues Lehrstück gegen Hitler und die nationalsozialistische Herrschaft angelegt. Kreon führt bei Brecht einen Raubkrieg gegen Argos um dessen Erzgruben, und Eteokles stirbt in der Schlacht, während sein aus ihr flüchtender Bruder Polyneikes von einem nach innen und außen kämpfenden Kreon zerstückt wird. Schließlich bereitet Argos Theben eine Art Stalingrad, und Kreon lässt Theben mit sich untergehen. Andererseits entwickelte Brecht bei der Uraufführung mit Caspar Nehers Bühnenbild seinen epischen dramatischen Stil weiter, was sich in einem Modellbuch der Inszenierung niederschlug. George Tabori ignoriert die epische Vorbildfunktion des Stückes, indem er seine Darsteller ihren jeweils eigenen Stil zwischen epischem Vorspiel, einfühlendem Nachspiel, Ironisierung und Pathos finden lässt. Taboris Aufführung ist aber nicht nur von einer durch Praktikabilät bestimmten darstellerischen und ästhetischen Beliebigkeit, sondern auch von einer inhaltlichen.

    Der 92-jährige Regisseur hat an Claus Peymanns Berliner Ensemble seinen Altersruhesitz gefunden. In einem großen Ohrensessel thront er während seiner Premieren auf der Bühne . Während Tabori dem Berliner Ensemble anfangs Jahr für Jahr ein eigenes, neues Stück lieferte, inszenierte er später eigene alte Stücke neu. In den letzten Jahren widmete er sich klassischen Stoffen wie Lessings "Die Juden" und Becketts "Godot". Wie auch die der "Antigone", so sind all diese Inszenierungen von einer großen handwerklichen Einfachheit und einer interpretatorisch allgemeinen Menschlichkeit bestimmt. Während George Taboris Leben und Alter unseren Respekt fordern, tun dies seine Inszenierungen leider kaum noch.

    Weder aktualisiert noch dramaturgisch geschärft, wird Brechts Antigone-Version nach der Hölderlinschen Übersetzung vor allem als Sprachkunstwerk präsentiert, dessen Aussage allenfalls lauten könnte: "Das Schicksal des Menschen ist der Mensch." Im rohen, weißen Probenbühnenraum liegt ein kreuzförmiger Spielsteg, im Hintergrund sitzen drei für muntere, klezmerartige Begleitmusik zuständige Blasmusiker. Antigone, von Christina Drechsler sehr jungmädchenhaft frisch, lebhaft und emotional gegeben, ist dunkel gewandet, während Judith Strößenreuter ihre Ismene mit goldgelbem Haar über schleppenlangem weißem Kleid ebenfalls sehr eindeutig als brav zeichnet. Christina Drechsler zeigt die unbedingte Unbedenklichkeit der Antigone sehr anschaulich. Wenn sie statt in eine Totenkammer auf offener Bühne gleich in einen schwarzen Sarg steigt, lässt sie ihre fröhlich winkende Sicherheit mehrfach von Todesangst durchschauern. Der Chor, von Brecht als "die Alten" bezeichnet, wird von Ursula Höpfner und Martin Seifert als grauhaariges Paar gegeben, das seine mit zarten gegenseitigen Irritationen durchsetzten Auftritte leicht ironisch zelebriert. So spielt jeder, wie er will oder kann, seinen eigenen, nicht unbedingt epischen Stil.

    Das alles wirkt insgesamt nicht inszeniert, sondern belanglos zusammengestoppelt. Im Zentrum fehlt Antigones und aller anderer Personen Gegenpart, weil Gerd Kunaths König Kreon trotz eines knallroten Mantels völlig farblos bleibt. Unfreiwillig komisch macht er mit dem Mantel wedelnd, viel Wind, während er seinen Text ohne inhaltliche Pointierung, aber mit etlichen Texthängern einfach aufsagt.

    Eine Antigone ohne Konzept, die vom bewundernswerten, greisen George Tabori eher abgeliefert denn inszeniert wurde, das war nach dem Brecht-Projekt von Achim Freyer die zweite Premiere des Berliner Ensembles beim Brecht-Fest, die nicht überzeugte.