Martinowitsch schreibt: „Ich kann keine Serien schauen. Ich kann nicht lesen. Das Wichtigste aber - ich kann mich nicht mit dem beschäftigen, was mir stets Ruhe gab: Ich kann keine Prosa schreiben. Neulich, nachdem ich erfahren habe, dass zwei meiner Studentinnen, sehr kluge Köpfe, festgenommen und nach Paragraf 23.34 zu 14 Tagen verurteilt wurden und mein engster Freund heimlich - selbst seinen Angehörigen gegenüber - ins Ausland geflohen ist (ihm drohte Haft), da dachte ich: Was wird, wenn sie kommen, um mich zu holen? Was werden sie sehen, wenn sie die alten Dateien auf meinem Computer umpflügen? Das brachte mich zu den Ordnern, die ich angelegt hatte, als ich ganz am Anfang meines Weges in die Literatur stand.So fand ich diesen Text, den ich schon vergessen hatte. Einen Text, den ich für mich selbst geschrieben hatte, 2007, nach den ersten Massenprotesten, als friedlichen Bürgern erstmals der Awtosak vorgestellt wurde, ein Laster zum Gefangenentransport.“(ZEIT Online 18.10.2020)
Viktor Martinowitschs Text "Ein schrecklicher Scherz, dieser Awtosak" können Sie auf "ZEIT Online" nachlesen.
Viktor Martinowitsch, 1977 in Belarus geboren, ist Schriftsteller, Serienfan, "Freitext"-Blogger bei ZEIT Online, wo der hier gesendete Essay zuerst erschienen ist. Nach dem Studium der Journalistik in Minsk lehrt er heute Politikwissenschaften an der Europäischen Humanistischen Universität in Vilnius. Martinowitschs Romane gelten als politisch brisant, sie decken couragiert die Mechanismen des Regimes auf. Der Roman "Paranoia", in Belarus verboten, erschien 2014 in deutscher Übersetzung. Anfang 2021 kommt Viktor Martinowitschs neuer Roman "Revolution" in Deutschland heraus.
Belarus - Texte und Stimmen
Eine Reihe in sieben Teilen
- Über Minsk (20.12.2020)
- Stadt, Land, Widerstand - das Phänomen Andrus Horvatelarus (25.12.2020)
- Swetlana Alexijewitsch: "Ich sah plötzlich ganz andere Menschen" (26.12.2020)
- Die Frage der Nation (01.01.2021)
- Eine Art Zivilisationsrevolution (03.01.2021)
- Die mutigen Frauen in Kunst und Politik (10.01.2021)