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Belgrad im Wandel
Zwischen Anpassung und "wir treffen uns beim Pferd"

Früher gab es in Belgrad exquisite Antiquariate, edle Porzellangeschäfte und altmodische Barbierläden. Heute: Handyshops, internationale Modeketten und Verkaufsbuden mit Popcorn und Coffee to go. Wendezeit herrscht auch in der Clubszene der Stadt.

Von Christel Freitag | 12.10.2014
    Jelena Volić flucht und schimpft mal auf Serbisch, mal auf Deutsch, vor allem dann, wenn sie die Spur wechseln will. Die mehrspurige Straße vom International Airport ins Stadtzentrum ist wieder einmal verstopft. Jelena hat mich am Flughafen abgeholt. Sie ist hier geboren und aufgewachsen und kennt eigentlich jeden Schleichweg. Aber manchmal geht gar nichts. Die quirlige Literaturprofessorin in Jeans und bequemen Sandalen redet, hupt und blinkt in einem fort. Sie kurvt an alten Prachtbauten und schmutzigen Gemäuern vorbei und landet schließlich in einer kleinen Straße ganz in der Nähe des Bahnhofs. Einen echten Parkplatz findet sie zwar nicht, aber in Belgrad herrschen eigene Gesetze. Da parkt sie auch schon mal in 2. Reihe mit Warnblinkanlage, um mir ihre Stadt zu zeigen.
    Der Hauptbahnhof im K&K Stil soll seit Jahren umgebaut und renoviert werden. Nichts passiert! Nur die kleinen Geschäfte verschwinden. Überall verschlossene Gitter in der ehemals beliebten Geschäftsstraße Balkanska. Kleine handgeschriebene Zettel an den Türen verkünden das endgültige Aus eines Ladens. Der Schumacher, der Hutmacher und die Kosmetikerin mit ihren handgemachten Salben und Wässerchen sind längst verschwunden. Umso erstaunlicher, dass es die kleine Pralinenwerkstatt geschafft hat. Im gekühlten Verkaufsraum gibt es Konfekt mit Chili, Pfeffer, Ingwer, Rosen, Zimt und grünem Tee. Jelena schimpft zwar über unnötige Kalorien, aber das hindert sie nicht, hier fleißig einzukaufen. Bereits mit einem Fuß im Laden erzählt sie von der genialen Schoko-Idee einer ehemaligen Juristin.
    "Sie hatte einfach gedacht, man müsse etwas Schönes im Leben machen. Und dann ist sie nach Belgien gereist, hat die hohe Kunst der Pralinenmacherei gelernt und ist nach Belgrad gekommen und hat eigentlich das europäische Wissen mit dem Balkanwissen vereinigt und das war Volltreffer."
    Und nun hat Jelena hat die Qual der Wahl.
    "Was ich so gerne mag, das ist Schokolade mit Ingwer und Orange. Dann gibt es schwarze Schokolade mit Erdbeeren. Dann gibt es eben diese Bajadera oder Perfecta, so heißt hier. Also 1000 verschiedene kleine Meisterwerke."
    Ein Hauch Bitterschokolade
    Mit einem Hauch Bitterschokolade auf der Zunge und einer Tüte feinster Pralinen fährt sie mich nun zum wohl bekanntesten Belgrader Treffpunkt Terazije. Überraschenderweise findet sie sogar eine echte Parkbucht. Terazije ist der wohl einzige Platz der Stadt, der seinen türkisch klingenden Namen jahrhundertelang behalten hat. Hier trifft man sich, hier logieren Geschäftsleute und Politiker im altehrwürdigen Hotel Moskva. Die noble Jugendstilherberge glänzt mit ihren grün glasierten Ziegeln weithin sichtbar neben schmucklosen Plattenbauten. Genau gegenüber im 8. Stock eines eher unauffälligen, ja langweiligen Hochhauses tagen Schriftsteller, Künstler und Journalisten.
    Ganz oben - quasi unterm Dach - befindet sich das Restaurant Caruso. Hier genießt man einen herrlichen Ausblick auf die Stadt. Im milchig-trüben Licht wirkt Belgrad wie ein chaotisches Sammelsurium von wild durcheinander gebauten, faden, sozialistischen Häusern und schmutzig-grauen Prunk- und Prachtbauten vergangener Jahrhunderte. Kirchtürme und einzelne Hochhäuser komplettieren das Bild. Im Restaurant ist immer ein Tisch für die Redakteure des Novi Magazin, eines politischen Wochenmagazins reserviert. Zu gegrillter Hühnerbrust und Gemüse serbischer Art kredenzen die Kellner einen trockenen Rotwein aus Dalmatien. Den Lieblingswein der Chefredakteurin. Auch Jelena Volić kommt gern ins Caruso. Sie hat ihren ersten Belgrader Kriminalroman in Deutschland veröffentlicht, gibt Seminare an deutschen Universitäten und kennt sich aus in der Medienlandschaft ihrer Heimat.
    "Die Medien waren staatlich gesteuert, und die Idee war, wenn man die Medien privatisiert, dann werden die frei. Ja, Pustekuchen! Wenn man die Medien privatisiert, dann berichten die das, was die Besitzer wollen."
    Die freien Mitarbeiter des Novi Magazin kämpfen trotz aller finanzieller Schwierigkeiten Woche für Woche um ihre unabhängige Zeitung. Vom politisch-engagierten und zigarettenrauchvernebelten Redaktionstisch im Caruso sind es nur wenige Minuten bis in Belgrads Fußgängerzone. Die Knez Mihailova-Straße, also die Fürst Michael-Straße, ist Belgrads Hauptgeschäftsmeile. Hier treffe ich Filmregisseur Zoran Solumun.
    Er ist in Belgrad zur Schule gegangen, hat an der Belgrader Filmakademie Regie studiert und erinnert sich noch gut an die Geschäftsstraße vor 30-40 Jahren.
    "Damals war sie neu und modern. Es gab viele teure Läden und interessante Läden, Cafés und Restaurants. Wenn man heute diese Straße sieht und ein bisschen genauer guckt, dann sieht man, wie viel Läden geschlossen sind, wie viele Läden da sind, wo man diese chinesische, billige Waren kaufen kann und das gehört nicht ins Stadtzentrum. Vielleicht eine oder zwei von diesen Läden, aber nicht so viele."
    Früher gab es exquisite Antiquariate, edle Porzellangeschäfte und altmodische Barbierläden. Heute: Handyshops, internationale Modeketten und Verkaufsbuden mit Popcorn und Coffee-to- go. Die westliche Kaffekultur hat auch Belgrad erwischt: Kaffee oder Cappuccino. Alles im Becher! Aber es geht auch anders.
    Mit Fotoapparat und Notizbuch
    Mit Fotoapparat und Notizbuch streift Christian Schünemann durch Belgrads Fußgängerzone. Er lebt zwar in Berlin, doch die serbische Hauptstadt zieht ihn geradezu magisch an. Zusammen mit Jelena Volić hat er 2013 den Kriminalroman „Kornblumenblau" verfasst. Das Buch war ein Erfolg, ein zweites soll folgen. Christian sucht nach markanten Plätzen, nach gemütlich, altmodischen Cafés für Milena Lukins nächsten Fall. Seine sympathische Romanfigur ist Spezialistin für internationales Strafrecht und liebt Kuchen über alles. Sie gönnt sich gern eine süße Denkpause. Wen wundert's, steht doch ihr Schreibtisch im einzigen, nicht restaurierten Gebäude in diesem Fußgängerareal. Das Institut für Kriminalistik und Kriminologie ist ein bemerkenswerter Schandfleck: eine graubraune, rissige Fassade mit einem Eckturm und einer verrosteten Kuppel obendrauf, außerdem verwitterte, verklemmte Holzrollos vor verdreckten Fensterscheiben. Kein einladendes Arbeitsambiente! Christian hat das Café „Mali Prince" entdeckt und sticht beherzt in die fingerdicke Schokoladenglasur einer Konstantinopelschnitte. Er ist sich sicher: Das wird auch Milena schmecken.
    "Also das hier ist eine Konstantinopelschnitte, die sich dadurch auszeichnet, dass es eine kühle Schokoladencreme gibt und die Zunge dabei auf so kleine Knusperstücke aus Schokolade trifft und das Ganze sich mit einer fruchtigen Waldmarmelade vermischt."
    Auf der kleinen hölzernen Caféhausterrasse bestellen die Gäste bei amerikanischer Popmusik und leicht surrenden Ventilatoren Cappuccino, Mokka oder Latte. Irgendwie wissen die Belgrader das Leben zu genießen, auch wenn es kaum Geld, wenig Arbeit und viele abrissreife Gemäuer gibt.
    Zoran Solumun hat die serbische Hauptstadt in den 90er Jahren kurz vor dem Krieg verlassen und arbeitet heute in Berlin, Sarajewo und Zagreb. Trotzdem besucht er immer wieder für mehrere Wochen die alte Heimat. Während der NATO Luftangriffe hat er täglich mit seiner Familie und seinen serbischen Freunden telefoniert.
    "Das war so eine richtige Science-fiction-Situation, weil das war ein Krieg, den keiner so richtig verstanden hat."
    Aus der Ruine des Verteidigungsministeriums wachsen Blumen
    Das Verteidigungsministerium ist noch immer eine Ruine und sieht gespenstisch aus. Aus dem baufälligen Gemäuer wachsen Bäume, an den Zäunen rund um die bröckelnden Fassaden kleben Veranstaltungshinweise. Auch die ehemaligen Fernsehstudios sind zerstört. Wie bei einem Puppenhaus fehlen an zwei Seitenflügeln die Wände. Die Redaktionsräume auf den einzelnen Etagen sind nur noch ausgebrannte Löcher. Zoran hat einmal in diesen Büros gearbeitet und denkt nur ungern an die Folgen der Luftangriffe.
    "Wie alle Zentren in Ex-Jugoslawien hat sich Belgrad provinzialisiert. Was heute in Belgrad neu und interessant ist, sind diese Clubs für junge Leute, und da entstehen wieder Kontakte, was sehr positiv ist. Aber dieses lebendige Kulturleben, diese starken Theaterfestivals, Musikfestivals, Filmfestivals – die gibt es nicht mehr. Und durch den Krieg, durch diese Boykottmaßnahmen, damals während der Milošević-Ära, ist Belgrad wirklich zu einer Provinzstadt geworden."
    Um dieses provinzielle Image abzuschütteln, kandidiert Belgrad als Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2020. Alte verlassene, halb verfallene Fabrikgebäude an der Save werden neu belebt.
    "Das ist Belgrads Industrieviertel. Dieses Gebäude hier ist eine alte Lagerhalle für Kleidung. Sie wurde in den 50er,60er Jahren gebaut."
    Isidora gehört zu einer Gruppe junger Künstler, die sich in der schmuddelig grauen Halle mit Leinwänden, Farbtöpfen und Pinseln provisorisch eingerichtet haben.
    "Wir zahlen keine Miete, nur Strom und Heizung. Die Idee war, dieses Viertel zu einem Soho Belgrad zu machen! Hoffentlich wird sich dieses Viertel weiter entwickeln mit Theatern und Clubs. Wir hoffen es, aber im Moment gibt es nur uns."
    Isidora, Andrea, Milos und Marina fühlen sich wohl hier. Sie haben in Moskau, Amsterdam und New York studiert und träumen von einem neuen Soho Belgrad. Die Stimmung ist ausgelassen, man diskutiert, pinselt, trinkt und feiert, auch wenn sich die Bilder und Skulpturen nur schwer verkaufen lassen. Milos jobbt mal hier, mal dort, um ein wenig Geld zu verdienen:
    "Heutzutage ist Kunst nicht allzu populär. Die Menschen kaufen andere Sachen. Meist arbeite ich nur für mich. Nur selten kauft mal jemand etwas."
    Milos jobbt mal hier, mal dort. Man hilft sich gegenseitig. Die jungen Maler und Bildhauer sind kaum bekannt, haben kein Geld, aber sie lieben ihre Stadt.
    "Belgrad hat ein wahnsinniges Nachtleben. Wenn du jung bist in Belgrad, dann wirst du Spaß haben. Es ist großartig."
    "Wir treffen uns beim Pferd"
    Auf Save und Donau gibt es jede Menge schwimmender Diskotheken. Die Clubszene lebt."Wir treffen uns beim Pferd", heißt es gewöhnlich unter den Eingeweihten. Gemeint ist das Reiterstandbild auf dem Platz der Republik. Auch westliche Backpacker kennen mittlerweile diesen Sammelpunkt. Die 25-jährige Studentin Franziska aus Berlin ist total begeistert.
    "Klar, es ist eine arme Stadt, das ist eine roughe Stadt. Ziemlich viel ist runter gekommen, aber das macht es halt so geil. Also, es ist vielleicht so wie Berlin Anfang der Neunziger oder in den Neunzigern nach dem Mauerfall, wo alles auch ein bisschen runtergekommen und rougher war. So ist es dort eben auch."
    Am linken Ufer der Save in Novi-Beograd trifft sich die junge Belgrader Szene. Hier reiht sich Hausboot an Hausboot.
    "Auf diesen Hausbooten sind halt lauter Clubs, und egal welche Musik ob Drum Bass, ob Industrial, ob Electro, ob Rock. In jedem Hausboot ist ein Club, ist andere Musik, und jedes Boot ist rappelvoll."
    Die Stimmung ist ausgelassen, der Schweiß fließt in Strömen. Bier und Wein gibt es im 24-Stunden-Supermarkt um die Ecke. Irgendwann wird es draußen hell. Die tanzenden Lichtkegel zwischen den Hausbooten verschwinden. Belgrads Festung Kalemegdan dämmert im Morgenlicht.
    "Also, es macht total Bock, man könnte auch alleine hingehen, findet auf jeden Fall Leute, mit denen man ne Nacht verbringen kann. Dann gibt es dann auch noch so uralte Bootsanlegestellen, auch so steinerne Ruinen, wo man morgens noch sitzen kann, sieht die Sonne aufgehen, hat Blick auf die Festung dann. Es ist eine beeindruckende Stadt. Es ist echt cool!"