Nun haben sich auch zwei deutsche Ensembles einiger seiner Vokalwerke angenommen: Das SWR-Vokalensemble Stuttgart und das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg. Geleitet werden sie von dessen Chefdirigenten Sylvain Cambreling. Und eingeladen haben sie dafür die beiden amerikanischen Solistinnen Laura Aikin und Lani Poulson. Um diese Einspielung geht es in den folgenden knapp 20 Minuten.
Zu einem Gedicht von Thomas Moore verfasste Hector Berlioz diese Ballade.
Die Literatur hat den 1803 geborenen französischen Komponisten zeitlebens bewegt. Nicht von ungefähr zählten zu seinem Freundeskreis einige Literaten. Außerdem verehrte er Shakespeare. Dessen Schauspiel Hamlet wird auch zur Wegmarke für Berlioz. Denn bei einer Aufführung 1827 verliebt er sich in die gefeierte Schauspielerin Harriet Smithson, die als Ophelia auf der Bühne steht. Fünf Jahre später wird er sie heiraten; Franz Liszt steht als Trauzeuge am Altar.
Immer wieder strebt Berlioz in seinen Werken nach einer angemessenen Umsetzung der Literatur in Musik. Aufrichtig empfundenes Gefühl soll diese transportieren; die Musik möge ein zweites Medium für den Inhalt werden - das ist Berlioz` künstlerisches Ziel. Er verarbeitet in seinen Werken Lyrik von Victor Hugo oder Texte nach Thomas Moore oder Johann Gottfried Herder. Thomas Moore galt im frühen 19. Jahrhundert als der irische Nationaldichter. Seine 1807 veröffentlichten "Irish melodies" machten Irland europaweit zum Modethema.
In der eben gehörten Ballade "La belle" voyageuse orientiert sich Berlioz aber nur im Refrain an irischen Weisen. Die Strophen muten französisch-elegant an. Berlioz folgt hier ganz dem Rhythmus, den das - von Thomas Gounet ins Französische übertragene - Gedicht von Thomas Moore vorgibt. Vier Fassungen existieren von dieser Pastorale, die dritte ist die für Mezzosopran und Orchester. Hier offenbart sich das, was Berlioz meisterlich beherrscht: Klangfarben zu zaubern und durch winzige Nuancen den Text musikalisch zu stützen.
Geschildert wird in der Ballade La belle voyageuse eine allein durch Irland reisende schöne Frau. Glaubhaft interpretiert wird dieses Loblied durch den warm timbrierten, sinnlichen Mezzosopran von Lani Poulson. Auf dieser neuen CD des Labels hänssler weniger günstig besetzt wirkt hingegen die Sopranistin Laura Aikin. Sie ist unter anderem zu hören als Zaide in einem Bolero nach einem Gedicht von Roger Beauvoir.
Ein kastagnettenunterlegter Bolero - er ist ein frühes Beispiel für ein französisches Modethema im 19. Jahrhundert, nämlich die Freude am spanischen Kolorit. Etwas unterkühlt und wenig sinnlich allerdings gerät der Sopranistin Laura Aikin diese Ode. Oder sollte dies gar als Stilmittel gelten, um dem berechnenden Pragmatismus der besungenen Figur Zaide herauszuarbeiten? Schließlich lässt sich dieses arme Waisenmädchen widerstandslos von einem solventen Ritter in die Fremde expedieren. Und das, obwohl sie zuvor lang und breit die Schönheit ihrer eigenen Heimatstadt Granada gepriesen hat.
So sinfonisch-süffig, wie Hector Berlioz diesen Bolero instrumentiert, zeigt er sich gern in seinen Werken. Gerade in seiner Chormusik neigt der Franzose zu einem ausgeprägten Monumentalstil. Um Gattungsgrenzen allerdings schert er sich kaum. "Romeo et Juliette" zum Beispiel ist weder eine Sinfonie im traditionellen Sinne, noch ein Oratorium. Der scharfzüngige Musikkritiker Eduard Hanslick bezeichnete das Werk seinerzeit als "Ästhetisches Monstrum".
Davon abgesehen aber scheinen derartig romantisch-großbesetzte und schwer einzuordnende Kompositionen die Deutschen mehr angerührt zu haben als die Franzosen. In Frankreich jedenfalls blieb Berlioz nach anfänglichen Erfolgen eher unbeachtet. Statt einer angestrebten Kompositionsprofessur am Pariser Conservatoire musste sich der Meister zeitlebens mit einer Bibliothekarsstelle begnügen. Dass Frankreich damit seinem bedeutendsten Romantiker Unrecht getan hat, das zeigen neben seinen heute populären Kompositionen auch die etwas unbekannteren Werke, die jetzt vom SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg und dem SWR Vokalensemble Stuttgart aufgenommen worden sind, zum Beispiel der "Chant sacré".
Hier bietet sich gerade für das SWR Vokalenemble Gelegenheit, seine klangliche Homogenität unter Beweis zu stellen. Wie vollendet sich die einzelnen Stimmen im "Chant sacré" tatsächlich zu einem Ganzen mischen, wird besonders deutlich in den parallel geführten Melodielinien des Anfangs. Diesen Eindruck stützt auch das Klangbild der Aufnahme, das auf viel Hall setzt. Die Verständlichkeit des Textes geht in den chorischen Passagen dadurch jedoch vollständig verloren. Und auch der Orchesterklang bleibt mulmig-indifferent.
Der "Chant sacré" von Hector Berlioz, zu finden auf einer Neueinspielung des SWR Vokalensembles Stuttgart und des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg.
Bei hänssler classic ist diese neue CD erschienen. Sie bietet neben einigen weiteren Balladen außerdem den Chorzyklus Tristia op. 18 von Berlioz. - Großbesetzte, romantische und melodieverliebte Musik.
CD "Hector Berlioz. Vocal works with Orchestra”
Vokalensemble Stuttgart / Sinfonieorchester Baden-Baden u. Freiburg des SWR
Ltg.: Sylvain Cambreling (erschieben bei hänssler classic)