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Bemerkenswertes Erzähldebüt

Katharina Bendixen beschreibt in ihrem Band voller Kurzgeschichten beklemmende Alltagssituationen: Vertrautes steht neben Abgründen. Sie erzählt von Menschen, deren Welt ohne Utopien ist und deren Alltag nur vom Gerüst der Routine zusammengehalten wird.

Von Claudia Cosmo |
    Ein Vater hofft, dass sein Kind im Kleiderschrank für immer verschwinden möge, eine Frau sehnt sich nach der vergeblichen Rückkehr ihrer Tochter, ein Mann empfindet seine Gattin als überflüssig, da er in einem Hund seinen eigentlichen Lebensgefährten sieht. In Katharina Bendixens Erzählband "Der Whiskyflaschenbaum" geht es um das Wesentliche. Denn alle 21 Geschichten sezieren Beziehungen, die ein Mensch zu sich selbst, zu anderen, zu Tieren, Orten und auch zur Vergangenheit unterhalten kann.

    Die Autorin konfrontiert ihre Leser mit absurden Szenarien. Schwarze Schneeflocken steigen in den Himmel empor, eine Flut von kleinen Kindern fällt wie eine Epidemie über ein Haus her, Großmütter erfrieren in der Laube. Katharina Blendixens literarische Form ist die Kurzgeschichte:

    "Kurzgeschichten bieten sich einfach an, wenn man am Anfang seines Schreibens steht, finde ich, weil sie einfacher zu schreiben sind als ein ganzer Roman, und weil man darin auch ziemlich viel ausprobieren kann, mit Perspektiven spielen kann, mit Sprache spielen kann, nicht unbedingt immer einen Spannungsbogen braucht, sondern auch mal ein Bruchstück erzählen kann - und gleichzeitig sind die Kurzgeschichten nicht einfach eine Romanvermeidung gewesen, sondern man hat andere Möglichkeiten, man muss nicht so viele Regeln einhalten wie man in einem Roman einhalten muss. Und deshalb habe ich vielleicht mit Kurzgeschichten angefangen."

    Katharina Bendixens Stil ist pointiert und schnörkellos. Szenen werden verdichtet und entwickeln sich manchmal zu Dramen. In der Titelgeschichte "Der Whiskyflaschenbaum" spielt sich die Tragödie im Garten ab. Die Protagonisten sind Vater, Mutter, Kind. Dabei bestimmt die Alkoholsucht des Vaters das Leben der anderen Familienmitglieder. Im Garten lehnt der Vater am Baum, den sein Sohn begießen soll. Er läuft ständig mit der Gieskanne hin und her, während die Schürze tragende Mutter ihren Sohn vom offenen Küchenfenster aus drangsaliert:

    "Der Whiskyflaschenbaum steht eben für die Alkoholsucht des Vaters. Und es gibt Phasen, in denen die Mutter die Alkoholsucht des Vaters sozusagen unterstützt und dem Kind dann befiehlt, dass es den Baum gießen soll, also, dass es den Alkohol dann besorgen soll. Und das Kind ist halt hin und her gerissen, weiß halt, dass es mitten drin steckt."

    Nüchtern und analytisch erzählt Katharina Bendixen vom Schicksal des kleinen Jungen, der orientierungslos dem Willen seines alkoholsüchtigen Vaters folgt und vergeblich Hilfe bei seiner Mutter sucht.

    Alle drei bleiben in ihren Rollen gefangen: Die Mutter in der Küche als Wächterin über den Haushalt, der Vater als das Familienoberhaupt, und der Sohn als Opfer der Misere. Doch das eigentlich Grausame in Katharina Bendixens Kurzgeschichten ist die Sprachlosigkeit, und das, obwohl viele Worte fallen. Die Protagonisten reden über Belanglosigkeiten und spucken mit Worthülsen um sich. Alle Figuren fürchten sich vor dem "Ernstfall", so wie die Theater- Souffleuse in der Geschichte "Das Lächeln der Schauspieler nach dem Nathan". Lieber bliebe sie in ihrem Soufflierkasten hocken, als nach Feierabend zu ihrem Ehemann nach Hause zurückzukehren. Der "Ernstfall" tritt zu ihrem Glück nie ein. Es kommt zu keiner echten Kommunikation. Es sind lediglich kleine Manöver drin, in denen man so tut, als ob eine wirkliche Annäherung möglich sei:

    "Eigentlich sind das Beziehungen, die nur von Außen gesteckt werden, eil es eben Familienbeziehungen sind, die aber eigentlich gar nicht existieren! Die Familienmitglieder reden nur miteinander, weil sie eben Mutter, Vater, Sohn, Tochter sind. Und nicht, weil sie etwas zu sagen haben! Sondern nur, weil man das ins dieser Struktur so macht, weil man miteinander reden muss. Aber im Prinzip existieren da keine Beziehungen. Und in den Texten, in denen es um Liebesbeziehungen geht, welche ja nicht sehr viele sind, wird eigentlich auch nur noch etwas aufrecht erhalten, was so gar nicht mehr existent ist. Man redet nur noch miteinander, um das, was darunter liegt, nicht zu thematisieren und nicht ansprechen zu müssen."

    Katharina Bendixen gelingt es, diese Sprachlosigkeit zwischen den Zeilen transparent zu machen. Gefühle werden sprichwörtlich unter den Teppich gekehrt. Die Protagonisten sind perfekte Lügner. Sie tun so, als hätten sie alles im Griff. Diese Strategie scheint ihnen das Überleben zu sichern. In der Geschichte "Grashalm" verdrängen der Ich-Erzähler und dessen Eltern ein schreckliches Ereignis. Das einhellige Beschönigen und Leugnen des Unglücks hält die Familie aber auch wieder zusammen. Das jüngste Familienmitglied, ein fünfjähriger Junge, wurde beim Einparken eines Traktors überfahren. Der Ich-Erzähler vertraut den eigentlichen Tathergang nur dem Leser an:

    "Obwohl mein Vater den Traktor lenkte, war nicht nur er Schuld am Tod meines Bruders, sondern wir trugen die Schuld zu dritt. Meine Mutter stand in der Küche und passte durch das Fenster auf meinen Bruder auf, der neben dem Haus in der Sonne spielte. Für einen Moment schaute sie jedoch nicht nach draußen. Ich sollte meinen Vater in die Lücke zwischen Ahornbaum und Suppen einwinken. An diesem Tag parkte mein Vater besonders nahe zur Schuppenwand ein. Mein Vater beachtete nur mein Winken in die hintere Richtung, den Abstand zur Schuppenwand bestimmte er. Er gab Gas, dann holperte es kurz - meine Mutter
    schaute vom Kartoffelbrei auf, wir gingen wortlos ins Haus. Auch später redeten wir nicht..nur wenn wir uns mittags im Hausflur trafen, sagten wir unsere Traktorsätze. Meine Mutter sagte: Fast hätte ich meinen Sohn getötet, als ich Kartoffelbrei kochte, und mein Vater sagte: Fast hätte ich meinen Sohn getötet, als ich den Traktor einparkte und ich sagte: Fast hätte ich meinen Bruder getötet, als ich meinem Vater beim Einparken half, und manchmal lächelten wir dann. Und dann ging ich nach oben und erledigte meine Hausaufgaben, und meine Mutter ging in die Küche und kochte Marmelade ein, und mein Vater ging nach draußen und fuhr über die Felder."

    Die Natur, in der die meisten Erzählungen spielen, präsentiert sich nicht als friedlich, sondern eher als surreale und verstörende Landschaft.
    Die Autorin versetzt den Leser auf Felder, in Gärten und auf einsame Wege und siedelt ihre Geschichten meist auf dem Dorf an.Die verknappte Erzählform lässt es zu, dass Bendixen mit Sphären spielen und das Dorf mit seiner Stille in einen beklemmenden Ort verwandeln kann:

    "Komischerweise, obwohl ich nie auf dem Dorf gelebt habe und das Dorfleben nur von kurzen Urlauben her kenne, interessiert mich das besonders und vielmehr als das Stadtleben, weil ich glaube, dass dort ganz andere Regeln herrschen als in der Stadt, weil es nicht so anonym ist, weil jeder sich kennt, weil man in Strukturen steckt, aus denen man nicht so leicht ausbrechen kann. Deswegen habe ich das Dorf als Handlungsort oft gewählt, und da ist auch eine gewisse Zeitlosigkeit, weil ich moderne Gegenstände einfach nicht verwende. Also, Handys oder, ja, ach einmal kommt ein Telefon vor, aber Handys spielen nie eine Rolle, Internet spielt nie eine Rolle, es werden niemals SMS geschickt oder empfangen, weil ich das ganz schrecklich finde, wenn das in einem literarischen Text passiert."

    Schrieben sich die Figuren via Handy Botschaften, so trüge der Adressat wohl keinen Namen. Denn Katharina Bendixen hat ihre Figuren zu Variablen gemacht. Sie sind Namenlose, heißen Mutter oder Vater und nennen sich gegenseitig "Der Mann" oder "die Frau".

    Nur in der vorletzten Geschichte spielt der Nachname eine existentielle Rolle. "Ich bin froh, dass mein Name Frau Z. ist", spielt in einem großen Unternehmen, in dem nur Frauen arbeiten. Ihre Nachnamen bestehen aus den Buchstaben des Alphabets. So wie man es aufsagt, sterben die Damen in regelmäßigen Abständen- eine nach der anderen. Man ist schon bei Frau M. angelangt. Frau Z. hat noch etwas Schonfrist. Bei gegebener Zeit wird man auch sie als Tote vom Arbeitsplatz entfernen lassen. Dann beginnt man, ein neues Alphabet aufzusagen. Nicht nur Frau Z. ist ersetzbar. Sondern alle Figuren sind austauschbar. Auch das macht die Lektüre von Katharina Bendixens Geschichten so bedrohlich anziehend. Ein bemerkenswertes Erzähldebüt.

    Katharina Bendixen: Der Whiskyflaschenbaum, Poetenladen, Leipzig 2009, 140 Seiten, 15,80 Euro