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Benin, Taiwan oder die ganze Welt

Auslandsaufenthalte im Studium sind voll im Trend. Das bestätigt das statistische Bundesamt mit seinen neuesten Zahlen: Die meisten deutschen Studenten waren im Jahr 2008 im Ausland.

Von Sven Class |
    Wenn Madeleine Meier morgens aufsteht, ist jetzt alles anders als noch vor ein paar Wochen. Aus der Dusche in ihrem kleinen Studentenwohnheim kommt nur kaltes Wasser. Zur Uni, einige hundert Meter weiter, geht sie über staubige, sandige Wege. Kaum grün, nur wenige karge Büsche. Ein paar Bäume und Palmen. Sie geht vorbei an einem großen Basketball-Platz, an dem schon morgens um acht Betrieb ist – weil es später einfach zu heiß wird.
    Seit Anfang September ist Madeleine Meier in einer anderen Welt. In Benin, im Westen von Afrika:

    "Ich war im 5. Semester in meinem Bachelor und war an dem Punkt, an dem ich die Weichen für meine Zukunft stellen musste. Ich war mir auch völlig unsicher: Mach ich noch nen Master, geh ich direkt in den Job. Und das war einfach der perfekte Zeitpunkt für eine Zäsur.""

    Ein Jahr verbringt die 23-Jährige insgesamt in Benin. Ein Jahr, in dem sie dort beim Campus-Radio mitarbeitet – an der einzigen Universität des Landes.

    Aber auch ein Jahr in dem sie sich bewusst trennen wollte: Von selbstverständlich gewordenem Luxus und vollen Regalen in Supermärkten:

    ""Alles was man von zuhause kannte, war nicht mehr praktikabel. Man kauft dort nicht auf dem Supermarkt, sondern auf dem Markt und muss immer den Preis selbst verhandeln. Oder dass abends plötzlich mal der Strom weg ist. Oder dass man manchmal über Tage kein Wasser hat."

    So wie Madeleine Meier interessieren sich immer mehr Studierende für Afrika beobachtet auch der Deutsche Akademische Austauschdienst, DAAD. Es gäbe deutlich mehr Bewerbungen und auch die Zahl der vermittelten Studenten sei stark angestiegen - um 60 Prozent auf rund 1100 im Jahr, erklärt Heide Albertin vom DAAD:

    "Dann gibt es in Afrika mittlerweile auch immer mehr gut strukturierte Master-Studiengänge. Da kann man sagen, dass die Nachfrage danach deutlich gestiegen ist."

    Doch das gestiegene Interesse an Afrika bedeutet keinesfalls, dass andere exotische Regionen weniger gefragt sind. Mehr als 3400 Studenten waren 2008 nach den aktuellsten Zahlen des statistischen Bundesamtes in Australien. Über 2000 in Asien – die meisten davon in China.
    Auch Erkán Karakoyunlu aus Köln hat es nach Asien gezogen. Zehn Monate lang hat der 27-Jährige in Taiwan gelebt und ist dort zur Uni gegangen.

    "In Europa ist das Ausland mittlerweile nicht mehr fremd. Englisch ist mittlerweile gängig. Und das erste, was mir in den Sinn kam, war, mich auf Asien zu spezialisieren. Das ist schon exotisch. Aber ich wollte Dinge, die ich schon kannte aus einer neuen Perspektive erleben.""

    Am meisten beeindruckt hat ihn der Umgang der Menschen miteinander. Und Erkan Karakoyunlu hat gelernt gelassener zu werden:

    "Du kannst nicht voraussetzen, dass deine Vermieterin in Ostasien Englisch spricht, oder Französisch. Aber es geht auch da irgendwie immer sich verständigen. Jetzt weiß ich, dass es klappt und dass ich auch in solchen schwierigen Situationen die Ruhe bewahren kann – das prägt einen. Und das hilft auch in beruflichen Situationen."

    Mit dieser Einschätzung liegt Erkán Karakoyunlu richtig, sagt Christiane Konegen-Grenier vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Und zwar völlig egal, ob er nach dem Studium in Deutschland oder im Ausland arbeite:

    "Wenn man ins Ausland geht heißt das ja, man setzt sich neuen Situationen aus, lernt fremde Kulturen kennen, man muss sich selber organisieren. Das sind alles Eigenschaften die einen weiterentwickeln, selbstständig machen. Und es ist natürlich auch für Unternehmen interessant, jemanden einzustellen, der diese Art der Selbstständigkeit schon bewiesen hat."

    Je internationaler ein Unternehmen aufgestellt ist, desto wichtiger ein Auslandsaufenthalt. Geht man weit weg von Europa und den USA, können Bewerber gerade bei solchen Unternehmen punkten. Denn: Auch in anderen Regionen gibt es für deutsche Unternehmen wichtige Märkte – Mitarbeiter, die sich dort auskennen, sind da aber oft nur schwer zu finden.
    Madeleine Meier in Benin geht es in ihrem Jahr dort weniger darum, ihre Berufschancen zu verbessern – mehr darum, für sich selbst herauszufinden, wie es nach dem Bachelor-Studium weitergehen soll. Neun Monate bleiben ihr dafür noch. Neun Monate bis sie den staubigen Weg zur Uni wieder gegen die Straßenbahn eintauscht.