Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Bentler: KFOR schafft Rahmenbedingungen für lebensfähigen Staat

An seinem letzten Arbeitstag zieht Markus Bentler, Kommandeur der KFOR-Truppen im Kosovo, eine positive Bilanz. Die Sicherheitslage habe sich in den letzten elf Jahren deutlich verbessert, besonders im Norden des Landes allerdings sei die KFOR immer noch unabdingbar.

Markus Bentler im Gespräch mit Dirk Müller | 01.09.2010
    O-Ton Guido Westerwelle: Unabhängigkeit Kosovos ist Realität und das Gutachten des IGH zur Unabhängigkeit der Republik Kosovo ist eindeutig. Die Landkarte für die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens, sie steht fest.

    Dirk Müller: Unmissverständlich hat es also Guido Westerwelle noch einmal klar gemacht: Das Kosovo bleibt unabhängig, auch wenn Belgrad dies nach wie vor nicht akzeptiert. Der Balkan-Besuch des Außenministers in der vergangenen Woche hat die Region noch einmal in den Fokus der Politik gerückt, zumindest für zwei Tage. Dabei gibt es immer noch ausländische Truppen vor Ort, 10.000 NATO-Soldaten im Rahmen des KFOR-Mandats alleine im Kosovo, 1500 davon Bundeswehrsoldaten, verantwortlich für die Sicherheit in der früheren serbischen Provinz. Kommandeur der KFOR-Truppen ist Generalleutnant Markus Bentler, der heute in dieser Funktion seinen letzten Arbeitstag hat. Er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Markus Johannes Bentler: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: General Bentler, müssen Ihre Soldaten noch immer jeden Tag eingreifen?

    Bentler: Nein, sie müssen nicht jeden Tag eingreifen. Die Lage insgesamt im Kosovo ist ruhig und stabil. Wir haben in elf Jahren wirklich eine große Arbeit geleistet. Wir haben erreicht, dass die Anschläge, die Sicherheitsvorfälle insgesamt zurückgegangen sind, und wir sind gewissermaßen so weit gekommen, dass wir die Ziellinie einer weitreichenden irreversiblen Stabilität vor Augen sehen, und jetzt müssen wir, wie ich es immer sage, auf den letzten 100 Metern alle Kräfte zusammenpacken, zu versuchen, dass wir nicht stolpern.

    Müller: Was bedeuten diese letzten 100 Meter?

    Bentler: Diese letzten 100 Meter sind zunächst einmal die Frage der Politik, wie sieht es im Norden aus speziell, die Frage der Unabhängigkeit, die Frage des Status. Da gibt es natürlich noch Gegensätze im Kosovo. Gerade die serbische Bevölkerungsmehrheit im Norden des Landes, nördlich des Ibra-Flusses, weigert sich, jeder Maßnahme, jedem Befehl, jeder Weisung von Pristina Folge zu leisten. Das führt immer wieder zu Spannungen, auch immer wieder zu Gewalttaten, und letztendlich ist das die Rolle der internationalen Truppe KFOR, da entsprechend gegen vorzugehen.

    Müller: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, kann man also jetzt noch nicht sagen, das Kosovo ist sicher?

    Bentler: Letztendlich ist die Sicherheit noch nicht erreicht. Wir haben einen wirklich noch beschwerlichen Weg im Norden vor uns. Deswegen ist auch KFOR weiterhin hier gefordert. Allein in meiner Zeit hatten wir eine gesamte Reihe an Zwischenfällen, die schnelles, sehr entschlossenes Handeln erforderlich machten, und die Sicherheitsinstitutionen sind zwar schon sehr, sehr weit vorgekommen, die Polizei ist sehr professionell, EULEX macht hier insgesamt einen guten Job, was die Aufstellung der Polizei angeht, aber wenn es darum geht, wirklich mit starken Kräften entgegenzutreten und wirklich sicherzustellen, dass eine Lage nicht ausufert, dann ist wirklich KFOR der Garant für die Sicherheit, und das wissen die Institutionen hier. Wir arbeiten sehr eng mit ihnen zusammen und deswegen werden Sie nie einen Ruf hören, dass KFOR hier abziehen soll, sondern es ist eher im Gegenteil das Bewusstsein da, für diese letzten 100 Meter brauchen sie noch einen starken Partner.

    Müller: General Bentler, viele von uns in der Redaktion waren überrascht bei der Vorbereitung, als sie die Zahl lasen, 10.000 Soldaten.

    Bentler: Ja.

    Müller: Brauchen Sie die noch?

    Bentler: Ja. Diese 10.000 Soldaten sind ja, wenn man so will, schon ein gesamt erheblicher Schritt nach unten. In meiner Amtszeit sind wir von 15.000 auf weniger als 10.000 Soldaten zurückgegangen. Das Bündnis ist sehr, sehr vorsichtig mit weiteren Schritten, weil man einfach den politischen Prozess abwarten will. Wir wollen ja der Politik gewissermaßen die Zeit geben, diesen Stabilitätsfortschritt zu machen, und deswegen sind wir in einem ersten Schritt so weit zurückgegangen. Weitere Entscheidungen sind seitens des Bündnisses noch nicht gefallen. Wir bewerten das vor Ort hier sehr, sehr sorgfältig. Aber man ist immer wieder der Meinung, dass angesichts des Weges, der noch vor uns liegt – und wir haben ja jetzt die politischen Weichenstellungen, die wir möglicherweise bei der UN-Generalversammlung sehen -, dass wir für diesen Schritt weiterhin die militärische Absicherung brauchen. Dass das möglicherweise in naher Zukunft mit noch etwas weniger geht, das will ich nicht ausschließen, weil wir ja insgesamt auch uns bemühen, noch effizienter zu werden, aber diese letzten, wie ich immer sage, 100 Meter mit den vorhandenen politischen Hürden, die wollen noch bewältigt werden.

    Müller: Wir sprechen im Deutschlandfunk mit KFOR-Kommandant Generalleutnant Markus Bentler. – Wir kennen alle die Haltung Belgrads, wir kennen alle die Haltung Serbiens. Haben Sie im Kosovo Serben kennengelernt, die bereit sind, die Unabhängigkeit des Kosovo zu akzeptieren?

    Bentler: Ja, da gibt es viele. Natürlich: Es gibt ja auch Serben, die hier in den Institutionen, in der sogenannten Regierung mitarbeiten. Es gibt die Strukturen, die nach dem Ahtisaari-Plan hier entstanden sind. Das sind sogenannte Municipalities, dezentralisierte Strukturen, serbische Enklaven, die ihren eigenen Bürgermeister gewählt haben, die dort sich mittlerweile arrangieren, die das Leben in die Hände nehmen und nach vorne gehen, die sich um einen Ausgleich mit der albanischen Bevölkerungsmehrheit bemühen. Da gibt es Wege voran. Das weiß auch, meine ich, Belgrad. Aber letztendlich ist diese wichtige Frage, die wir in Zukunft sehen, auf den Norden, wenn man so will auf die geteilte Stadt Mitrovica und die im Norden angesiedelte serbische Bevölkerungsgruppe konzentriert, um letztendlich dort einen Anspruch zu erzielen, der, wie es der Bundesaußenminister gesagt hat, auf Integrität angelegt ist und nicht auf Spaltung. Dafür ist KFOR letztendlich auch da nach der UN-Sicherheitsratsresolution 1244, sicherzustellen, dass der Kosovo in seinen Grenzen unverletzlich erhalten bleibt und auch nicht geteilt wird.

    Müller: Sie sagen ja, Herr Bentler, es gibt immer noch Gewalt. Wie stark sind denn diese serbischen organisierten Kräfte, die immer noch Widerstand leisten?

    Bentler: Das sind sicherlich wenige hundert, wie wir das immer sagen, Hardliner, aber die haben in jedem Fall das Potenzial, weil sie auch nicht öffentlich erkennbar sind, zu Gewalt anzustacheln, die auch immer wieder in der Lage sind, große Bevölkerungsmengen zu mobilisieren, und gegen die muss man letztendlich auch vorgehen. Das ist eine dauerhafte Aufgabe und wir werden jetzt in Zukunft Schritt für Schritt sicherlich sehen, dass die Institutionen nach Norden ausgreifen, dort verschiedene Einrichtungen hinbringen wollen, und ich rechne an sich damit und befürchte, dass es immer wieder zu gewalttätigen Zwischenfällen kommt. Deswegen ist es wichtig, dass KFOR da ist, entschlossen bleibt, beweglich ist, agil ist, um letztendlich allen solchen Vorkommnissen begegnen zu können.

    Müller: Wie weit ist die Wirtschaft im Kosovo vorangeschritten, dass man auch sagen kann, dieses Land kann eigenständig, souverän wirtschaften?

    Bentler: Wirtschaft ist sicherlich noch ein großer Schwachpunkt. Wir haben immer noch eine Arbeitslosigkeit von knapp 50 Prozent. Wir haben eine weit verbreitete Armut. Und ich glaube, das ist der große zukünftige Schritt, der gemacht werden muss, der aber sicherlich mit der Geltung des Rechts auch einher gehen muss. Deswegen hat EULEX so eine großartige Funktion hier, nämlich einen Rechtsstaat zu schaffen, gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen, gegen die Korruption und letztendlich dann auch die Bedingungen dafür zu schaffen, dass Investitionen aus dem Ausland hineinkommen und letztendlich hier ein wirtschaftlicher Aufschwung eintritt. Das Kosovo hat eine sehr, sehr junge Bevölkerung mit guten, ausgebildeten jungen Menschen. Die wollen nach vorne und deswegen bin ich ganz zuversichtlich, wenn die Rahmenbedingungen geschafft werden, dass dieses ein lebensfähiger Staat werden kann.

    Müller: Wir haben nicht mehr viel Zeit, General Bentler, noch eine halbe Minute. Dennoch die Frage: Haben Sie sich persönlich im Kosovo, in Prisrin, wohl gefühlt?

    Bentler: Ja, sehr. Zunächst einmal an der Spitze meiner Soldaten, aber natürlich auch aufgehoben und getragen von der Bevölkerung hier, die weiterhin ganz klar dankbar ist für das, was KFOR hier leistet. Das war sicherlich eine sehr, sehr schöne, Gewinnbringende Zeit.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der Kommandeur der KFOR-Truppen im Kosovo, Generalleutnant Markus Bentler, der heute in dieser Funktion seinen letzten Arbeitstag hat. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Bentler: Auf Wiederhören, Herr Müller. Danke!
    Deutsche Soldaten der KFOR in Prizren am 19. März 2004
    Deutsche Soldaten der KFOR in Prizren am 19. März 2004 (AP)