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Beraterbranche im Fokus

Als "Schwarzbuch" der undurchsichtigen Berater-Branche bezeichnet der Bertelsmann Verlag Thomas Leifs "Beraten und verkauft" und verspricht exklusive Enthüllungen. Wer sich in Zukunft mit etwas mehr Hintergrundwissen über die Beraterbranche aufregen will, der ist bei Leif richtig.

Von Sandra Pfister |
    "McKinsey kommt" heißt das Theaterstück, mit dem Rolf Hochhuth sich zuletzt die Aufmerksamkeit selbst kulturferner Schichten sicherte, denn "McKinsey" ist in diesem Kontext die Chiffre für alles Neoliberal-Rücksichtslose, was überhaupt kommen kann: gewissenlose Kostenminimierer, inkompetente Blender. Auf insgeheime Zustimmung zu dieser These setzt auch Thomas Leif, wenn er sein Buch mit "Beraten und verkauft" überschreibt. Leif spitzt zu, wenn er die Branche der Berater als inkompetent und intransparent beschreibt; das klingt bisweilen reißerisch und ist sicher verkaufsfördernd, andererseits: Von 60 Beratern, die Leif angesprochen hat, wollte sich nur eine Handvoll mit ihm zum Interview treffen, die wenigsten wollten sich in einem Buch zitiert sehen. Es liegt in der Natur des Beratergeschäfts: Die Branche macht sich leicht verdächtig, weil sie das Prinzip der Vertraulichkeit groß schreibt. Das lädt geradezu ein, sie in die Nähe von Geheimniskrämern, von Bluffern zu rücken.
    Leif: "Ich sage es klipp und klar, dass Unternehmensberater heute im Grunde genommen genau so etwas sind wie Geheimlogen, weil sie auch den Anspruch haben, die Gesellschaft umzugestalten, dass sie aber gleichzeitig nicht bereit sind, sich in die Karten schauen zu lassen, ihre Bücher offen zu legen, Interviews zu geben Das heißt, sie sind einerseits im Anspruch des elitären Gestalters, andererseits entziehen sie sich aber der öffentlichen Kritik. Das ist ein klassisches Muster von solchen Logen, deshalb sind sie aus meiner Sicht die klassischen Freimaurer unserer Zeit."

    Sie sind, so sagt Leif, das Deckmäntelchen für schwache Manager oder Politiker, die unangenehme Entscheidungen abschieben wollen. Auf den Punkt gebracht: Consultants nehmen Führungskräften den unangenehmen Teil ihrer Arbeit ab, zu strukturieren, zu vereinfachen und zu entscheiden – und zu diesen Entscheidungen zu stehen. Zitat Leif:

    "Sie treffen auf überforderte Entscheider und einsame Manager in Konzernzentralen und Ministerbüros, die von dem sorgfältig inszenierten Glanz der Berater-Branche und dem Kompetenz-Mythos profitieren möchten."

    Leif: "Ich meine damit, dass man Unternehmensberater oft einsetzt, um Konkurrenten im eigenen Unternehmen auszuspielen. Das zweite Motiv ist die Delegation, dass man sie als Bluthunde in die Unternehmen schickt, um die Unternehmen aufzumischen, um möglicherweise bittere Entscheidungen - wie auch Entlassungen, die Verlagerung von Produktionszweigen - zu organisieren, und nicht das Unternehmen selbst muss dafür gerade stehen."

    Leif stellt aber auch die Qualität der Beratungen selbst in Frage. Seiner Ansicht nach verkaufen die Berater recycelte Standardlösungen und zehren von ihren Erfahrungen bei Konkurrenten der gleichen Branche, und die Kunden merken es nicht mal.

    "Was allerdings erstaunlich ist: In der Regel erhalten die Kunden Standardware. (…) In Wirklichkeit lernt das jeweilige Team in der Anfangsphase erst einmal das Geschäftsfeld kennen."

    Wie aber halten Unternehmensberater ihren Nimbus aufrecht, wenn sie - laut Leif - nur Stangenware verkaufen, und die sündhaft teuer? durch Mythenbildung. Der Autor legt schlüssig dar, dass insbesondere die aufwändige Personalauslese ein Teil des Erfolgsrezepts ist: Was teuer ist, muss auch gut sein. Tagelange Recruiting-Events (Segeln in der Südsee, Golfen auf Galapagos) dienen nach innen wie außen dazu, den Mythos der Exzellenz zu zementieren: Für die Kunden ist die aufwändige Personalauswahl quasi ein weiteres Qualitätszertifikat - nach dem Motto: Wenn die sich solche Mühe bei der Personalauswahl geben, dann müssen ihre Leute gut sein. Das funktioniert auch nach innen:

    "Es scheint fast, als dienten die Recruiting-Events vor allen Dingen einem zentralen Ziel: mit einem hochselektiven Auswahlverfahren ein elitäres Selbstbild aufzubauen."

    Da wird so lange wiederholt, dass man zur Elite gehört, bis man selbst dran glaubt. Ein Berater, der anonym bleiben will, sagt: Es wird auch gecheckt, wie stromlinienförmig, wie anpassungsfähig die Kandidaten sind. Plastisch wird dies am Beispiel einer jungen Journalistin, die aus der Ich-Perspektive von ihrer Bewerbung erzählt. Über 50 Seiten lang lässt sie den Leser teilhaben am unerträglich beschönigenden Berater-Sprech, an der Verführung durch Luxus.

    "Wie schnell kann man sie streamlinen? Charaktere sind dort nicht unbedingt gefragt."

    Überhaupt sind die anonymisierten Interviews mit Beratern aufschlussreich, die Leif immer wieder dokumentarisch einschiebt, vor allem dann, wenn Berater oder Ex-Berater die eigene Zunft in die Pfanne hauen. Andererseits: Dadurch wird das 450 Seiten dicke Buch auch langatmig, teilweise redundant, denn der manchmal ins Alarmistische abgleitende Text doppelt die Interviews teilweise deutlich. Und gelegentlich rutscht der Autor dann auch ab ins Triviale. Ein Beispiel:

    "Berater müssen mindestens genauso gut angezogen sein wie ihre Kunden, denn diese wollen schon am Äußeren erkennen, dass man auf gleicher Augenhöhe verhandelt. (…) Weiße Socken sind tabu."

    Was ist so neu, so verräterisch daran, dass Berater exzellent gekleidet zu ihren Gesprächen erscheinen? Darf man das im gehobenen Management nicht erwarten? Daraus wird ein Popanz gemacht. Spannend wird es allerdings da, wo sich Leif noch mal die Berichte der Rechnungshöfe vornimmt. In welchem Umfang Bund, Länder und Kommunen sich beraten ließen und lassen, hat noch niemand vorher so ausführlich zusammengetragen. Bis hin zu den jüngsten Entwicklungen.

    Leif: "Der Chef von McKinsey hat strategisch, mit großer Planung, die Nähe zu Frau Merkel gesucht und hat mit großem Aufwand den Gesundheitsreformvorschlag der CDU beeinflusst mit der Kopfpauschale. Warum ist das so? Dieser Lobbyismus, der dient dazu, dass man selbst neue Märkte schafft und versucht, die politischen Motive, die man hat, die eher auf neoliberale Wirtschaftskonzepte hinausgehen, so zu stabilisieren, dass man jederzeit interventionsfähig ist. Es gibt zum Beispiel Kunden, die sagen über den Unternehmensberater: Besorgt mir diesen oder jenen Kontakt, wir wollen dieses und jenes politische Konzept verankern in Deutschland, und deshalb die klare Verbindungslinie zwischen klassischem Lobbyismus und Unternehmensberatung."

    Hier liegt Leifs eigentliches Verdienst, er hat viele skandalöse Details herausgearbeitet und sich dabei umfassend auf die Vorarbeit der Rechnungshöfe gestützt. Fazit: Die politischen Entscheider nutzen die Kompetenzen ihrer Bürokratien nicht, sie trauen ihren eigenen Leuten viel zu wenig zu.

    Leif: "Mir ist es aufgefallen bei einem Beispiel einer Sozialdemokratin, die im Haushaltsausschuss zuständig war für das Verteidigungsministerium. Sie hat gesagt: Wir nutzen die Berater sozusagen nur, damit sie die Beamtenstrukturen und die fest gefügten Strukturen im Bundeswehrmilieu zerstören. Also sie wollten gar keine Lösung haben aus den Gutachten, die teilweise 500 Millionen Euro gekostet haben sondern sie wollten die Kärrnerarbeit, für die wir als Steuerzahler die Politiker ja auch bezahlen und ausstatten, sie wollten sie delegieren."

    Und zwar offenbar um jeden Preis, wie Leif unter Berufung auf den Bundesrechnungshof darlegt: Da werden Aufträge ohne Ausschreibung vergeben, Beamte bestellen hirnrissige Gutachten ohne Notwendigkeit, und geliefert werden Ergebnisse ohne Relevanz - von der Umsetzung ganz zu schweigen. Im Klartext: Hier werden Steuergelder verprasst. Und das ist zudem Demokratie gefährdend, denn die Parlamente geben Kompetenzen aus der Hand. Horst Seehofer sagt es so:

    "Wer über die Zahlen bestimmt, bestimmt auch die Inhalte. So nehmen die Berater der Politik allmählich das Geschäft ab, und irgendwann werden wir uns fragen: Wozu eigentlich noch Politik?"

    Und: Wozu eigentlich Wirtschaftsjournalisten, wenn sie zu wenig nachfragen, sich vielleicht sogar instrumentalisieren lassen? Am Ende bekommen auch die Kollegen bei Leif ihr Fett weg. Im umfangreichen Schlusskapitel mündet das Buch in eine ausführliche Medienkritik, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Journalist in einem dicken Kapitel einfach loswerden will, was ihn immer schon umtreibt: die mangelnde Hartnäckigkeit vieler Kollegen bei der Recherche. Seine Kritik ist berechtigt, aber deplatziert. Die Verbindung zum Thema des Buches wirkt bemüht.

    Ein Kollege hat Leif attestiert, er schreibe mit zu viel Schaum vor dem Mund, und das hindere ihn am Denken. Ganz so weit würde ich nicht gehen, denn Leifs pointierte Thesen und Argumente haben ihren Reiz. Im deutschen Sprachraum ist dies das erste umfassende Werk zur Beraterbranche. Ein gewisser Nachgeschmack bleibt dennoch: Von einem Autor, der seit Jahren zu Recht als einer der Vorkämpfer des investigativen Journalismus auftritt, erwartet man einfach noch mehr. Wie modernes Lobbying und Spin-Doctoring aussieht, das haben vor Leif bereits viele andere aufgezeigt. Unternehmensberater verkaufen häufig Selbstverständlichkeiten, und viel zu viele schwache Politiker und Manager delegieren Verantwortung an sie – das ist ein Armutszeugnis für Führungskräfte, aber nicht neu. Wer sich bereits ausführlicher in der Wirtschaftspresse getummelt hat, für den wird vieles bekannt sein, was Leif eloquent präsentiert. Wer sich in Zukunft mit etwas mehr Hintergrundwissen über die Beraterbranche aufregen will, der ist bei Leif richtig - und wird sich am Ende doch am allermeisten über Politiker und Beamte echauffieren, die die Berater anheuern.

    Thomas Leif: Beraten und verkauft. McKinsey & Co – der große Bluff der Unternehmensberater.
    C. Bertelsmann Verlag, München 2006
    352 Seiten
    19,95 Euro