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Berge, Seen und Menschen

Wenn es in der Schweiz einen Nationalheiligen in der Kunst gibt, dann ist das Ferdinand Hodler. Die harmonische Einheit zwischen Mensch und Natur, die er zu feiern versuchte, entsprach schon während seiner künstlerischen Schaffenszeit Anfang des 20. Jahrhunderts einer kollektiven Sehnsucht. Heute wirken seine Werke manchmal seltsam gefühlvoll und fast kitschig. Mit mehr als 150 Werken widmet das Kunstmuseum Bern Ferdinand Hodler eine große Ausstellung.

Von Christian Gampert | 08.04.2008
    Ständig war er vom Tod umflort, deshalb musste er später, in seinen symbolistisch die Morgenröte begrüßenden Frauenfiguren, umso kräftiger das Leben feiern: Ferdinand Hodler, 1853 in Bern geboren, früh Vollwaise, anfangs verfemt wegen Darstellung des Hässlichen, Depressiven und Nackten, später gefeiert wegen seiner (das Abstrakte schon streifenden) Landschaftsbilder, wird von den Schweizern als eine Art Nationalkünstler verehrt, der die Alpen ins Übersinnliche gesteigert habe (und die Alpenrepublik also gleich mit). Aber er ist viel mehr als das, ein Sonderfall der Moderne.
    An ihm kann man studieren, wie sich jemand seine ganz eigene Theorie vom Malen zurechtlegt, ein Zehn-Punkte-Programm von der "Natur als Fläche" und vom Figuren-Umriss als "Element des Ausdrucks" – und wie er, völlig abseits der umstürzlerischen Pariser Kunstbewegungen, das Zeichenhaft-Symbolische in großformatigen Figurenbildern zu einem (heute seltsam und pathetisch anmutenden) Exzess treibt; wie er aber gleichzeitig in der Landschaftsdarstellung - mit seinen Geometrisierungen und Farbschichtungen - etwas ganz Neues und eben Revolutionäres findet.

    Die exzellente Berner Ausstellung, von Katharina Schmidt kuratiert, will – bis auf die staubigen Historienbilder - den ganzen Hodler zeigen (und viele Großformate, Tanzende und empfindungsselige eurythmische Gruppen, sind sogar frisch restauriert). Und sie will die symbolistische Dimension des Werks in den Blick rücken und vielleicht auch ein bisschen rehabilitieren. Die sinnliche Darstellung einer Idee hat ja immer etwas Befremdliches, und die in gekünsteltem Überschwang sich reckenden, idealisierten "reinen" Körper gemahnen vor allem uns Deutsche ja allzu schnell an den nazistischen oder realsozialistischen Kitsch.

    Das ist natürlich ein bisschen ungerecht, denn Hodler, der sich – um 1890 - aus dem konventionellen Realismus erst herausarbeiten musste und dann bei der Ornamentik und Flächigkeit des Jugendstils landete, kämpfte mit seiner Überhöhung der Natur und mit seinen nackten, für Schönheit und Freiheit stehenden Frauen auch gegen ein prüdes, verklemmtes Bürgertum.

    Seine Tanzenden sind dem Monte Verità viel näher als den Heroen der Leni Riefenstahl, und der Jugendstil war eben auch eine – den 68iger-Hippies nicht unähnliche – Befreiungsbewegung. Aber: Während später der Expressionismus Gefühle mit malerischen Mitteln ausdrücken konnte, wollte Hodler noch in der Körpersprache der Figuren etwas zeichenhaft darstellen, Freiheit, Wahrheit, Andacht, Extase. Das ist es, was uns heute so unangemessen vorkommt.

    Die Ausstellung zeigt zunächst den düsteren Realismus der Jugendjahre. Schon hier gab es (1885) einen "Blick in die Ewigkeit": ein sargzimmernder Schreiner, der zum Himmel schaut. Dann, als Klammer, zwei Hauptwerke: die symbolistische "Nacht", das schwarze Gespenst Tod, das den Maler inmitten hingegossen schlafender Leiber anspringt und das er abwehrt; und "der Tag", aphroditische Frauenkörper auf sattgrüner Wiese in einer Feier des Lichts. Dazwischen eine ganze lange Hallenflucht mit großformatigen Allegorien: enttäuschte Seelen, Lebensmüde, kindlich Auserwählte, Grazien, Tanzende.
    Im zweiten Teil führt die Ausstellung dann einzelne pathetische Figurenbilder mit den gleichzeitig entstandenen, in Farbe und Geometrisierung immer abstrakter werdenden Landschaften parallel, so dass man sehen kann, was hier – auch qualitativ - auseinanderklafft: hergebrachte Geschlechter-Stereotypien einerseits, andererseits hochkalkulierte, meditative Alpenlandschaften. Einzelne Motive, der Genfer See vor allem, sind bis zu zehnmal in der Ausstellung zu sehen, und in dieser besessenen Serialität, dem ständigen Variieren von Jahres- und Tageszeit und Farbmitteln, liegt natürlich Hodlers Modernität.

    Im Keller dann eine ganze, vielleicht die stärkste Abteilung zum (ebenfalls manisch mitgemalten) Sterben der Lebensgefährtin Valentine Godé-Darel. Hier finden Landschaft und Figur auf einmal zueinander: Ausgezehrt und bleich liegt die Geliebte waagerecht auf dem Bett wie Holbeins Leichnam Christi im Grab. Und wie eine Fortsetzung dazu zeigt man die Horizontlinien von Hodlers späten Landschaften mit ihrem tröstlich erglühenden, kosmisch-orangenen gelblila Licht.

    Nennen wir diese Ausstellung, wegen ihrer genialen Steigerung, "das Wunder von Bern". Und auf der Heimfahrt schauen wir wieder die Berge an, wie Hodler sie (auch) gemalt hat: dunkel, drohend und kalt.