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Berggruen im Zwielicht

Eine Biografie über den Kunsthändler Heinz Berggruen sorgt zur Zeit für viel Wirbel. Unter anderem stellt sie ihn als jüdischen Migranten dar, der nach dem Krieg in Deutschland die "jüdische Karte ausspielte". Hanno Rauterberg, Redakteur bei der Wochenzeitung "Die Zeit" hat das Buch gelesen.

Hanno Rauterberg im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 17.11.2011
    Stefan Koldehoff: Ein Waisenknabe war höchst wahrscheinlich auch Heinz Berggruen nicht – wie wohl kaum ein Kunsthändler. Wer im Geschäft mit den ganz teuren Bildern mitspielen will – und das tat Berggruen jahrzehntelang –, der musste günstig einkaufen und teuer wieder verkaufen. Und dass man im Kunsthandel auch gern das Zahlen von Steuern vermeidet, ist auch kein Geheimnis, bei niemandem. Und es ist auch – Stichwort Zollfreilager – nicht unbedingt illegal. Eine Biografie, die die Autorin Vivien Stein gerade in einem kleinen Schweizer Verlag veröffentlicht hat, sorgt zurzeit für viel Wirbel. Sie korrigiert Berggruens Selbstdarstellung an einigen Punkten – zum Beispiel im Hinblick auf eine angeblich wochenlange Liebschaft mit der Malerin Frida Kahlo, oder eine angeblich enge Freundschaft mit Pablo Picasso. Sie stellt Berggruen aber vor allem auf eine Weise dar, die die FAZ heute so beschreibt: "Er soll mit seiner Lebensgeschichte als deutscher Jude und Emigrant gepokert, Geschäfte damit gemacht, Steuern hinterzogen und das schlechte Gewissen der Deutschen ausgenutzt haben". 576 Seiten hat das Buch – davon mehr als 100 allein für Quellenbelege. Und ich habe den Kollegen Hanno Rauterberg, der Redakteur bei der Wochenzeitung "Die Zeit" ist und das Buch gelesen hat, gefragt, was denn wohl die Motivation war, es überhaupt zu schreiben.

    Hanno Rauterberg: Das Buch arbeitet sich ab an einer sehr großen Sammler- und Händlerfigur, an Heinz Berggruen. Und wer die Autorin Vivien Stein nach den Motiven fragt, warum sie das gemacht hat, warum sie so sehr viel Energie auch in dieses Buch hineingelegt hat – sie hat mit sehr vielen Leuten gesprochen, hat akribisch auch in Zeitungsarchiven geforscht -, der bekommt zur Antwort, sie möchte gerne die Wahrheit erzählen. Warum sie diese Wahrheit erzählen will, ist nicht ganz klar; sie ist selber, die Autorin, ein Nachkomme jüdischer Eltern, so wie Heinz Berggruen auch, und sie fühlt sich durch die Figur Heinz Berggruen nicht richtig repräsentiert, sagt sie. Das hat vor allem damit zu tun, dass Heinz Berggruen in Berlin ja nicht nur als Sammler geehrt wurde, sondern auch so als eine Art Versöhnungsfigur, als jemand, der den Deutschen die Verfolgung verziehen hat und seine Kunst zurück nach Berlin gebracht hat, eben eine Kunst, die von den Nationalsozialisten verfolgt und auch vernichtet worden ist. Und diese Art von Versöhnung ist, glaube ich, etwas, was Frau Stein suspekt zu sein scheint, und darauf reagiert sie mit diesem Buch, das allerdings eher ein sehr langes Pamphlet geworden ist.

    Koldehoff: Pamphlet inwieweit? …, weil sie wertet, weil sie falsch wertet, weil sie Rückschlüsse zieht, wo die Quellen, die sie ausgiebig auf mehr als 120 Seiten zitiert, das gar nicht hergeben, was sie daraus macht?

    Rauterberg: Na ja, man könnte so ein Buch anlegen und sagen, der Heinz Berggruen war jemand, der die Leute übers Ohr gehauen hat, der Steuern hinterzogen hat, der verschiedene illegale Tricks angewendet hat, um an seine Kunst zu kommen, und das decken wir jetzt mal auf. Das versucht sie auch in Teilen, da kommt sie aber nicht sehr weit. Es gibt keine wirklichen Illegalitäten, die man ihm nachweisen könnte, es gibt keine harten Fakten in diesem Sinne in diesem Buch. Deswegen schlägt sie noch einen anderen Weg ein und sagt, das war ein ganz kleiner und miserabler Mensch und wenn ihr genauer hingeguckt hättet, dann wäre euch aufgefallen, dass er euch von vorne bis hinten hinters Licht geführt hat in seiner moralischen Korruptheit. Und diese Mischung aus beiden Aspekten, die macht das Buch so unangenehm, dass man eigentlich nicht dabei zusehen will, wie jemand sich so hässlich über einen vermeintlich hässlichen Menschen beugt, und das eine hat ja auch mit dem anderen gar nicht so viel zu tun. Man weiß, dass im Kunsthandel nicht alles so sauber vonstatten geht, wie man es gerne hätte, man weiß, dass viele Leute hinten herum auf schwarz handeln, man weiß auch, dass Sammler dazu neigen, bestimmte Museen gegeneinander auszuspielen, das gibt es immer wieder. Das alleine würde so ein Buch aber nicht füllen und deswegen reichert sie es an mit sehr viel Unappetitlichem.

    Koldehoff: Dazu kommt, dass wahrscheinlich niemandem, der den Kunstmarkt ein bisschen kennt, verwundern wird, dass da auch mit Schwarzgeld bezahlt wird, dass da Steuern manchmal vielleicht nicht ganz richtig abgeführt werden, und vielleicht war es auch nicht ganz klug, im Jahr 2000, als die Sammlung Berggruen nach Berlin kam, ausschließlich von einer Schenkung und nicht von einer Teilschenkung zu sprechen. Es ist im Buch immer wieder die Rede von der jüdischen Existenz Heinz Berggruens, an anderer Stelle von der jüdischen Karte, "die er gespielt habe, um bestimmte Ziele zu erreichen". Schwingen da, auch wenn das Buch, wie Sie gerade gesagt haben, von einer Autorin mit jüdischen Vorfahren geschrieben ist, antisemitische Töne mit?

    Rauterberg: Ich glaube nicht, dass man ihr Antisemitismus vorwerfen kann. Sie beschreibt aber sehr ausführlich – und ich finde, da kann man ihr auch zu einem Teil folgen -, wie Heinz Berggruen, als er dann nach Berlin kam, dort empfangen wurde und wie viele Leute ihn auch in gewisser Weise funktionalisiert haben, dass sie froh darüber waren, dass sie jemanden gewinnen konnten, der eben nicht nur eine schöne Sammlung mit nach Berlin brachte, sondern auch sehr versöhnlich auf die Deutschen zuzugehen schien. Und insofern wurde dieser Akt der Schenkung, die ja keine Schenkung war, sondern ein Kauf – 253 Millionen Mark flossen damals -, auch als ein solcher Wundenschluss gewertet, und dass das der Autorin ein bisschen merkwürdig vorkommt, das kann ich schon verstehen.

    Koldehoff: Wird dieses Buch dauerhaft Heinz Berggruen beschädigen?

    Rauterberg: Ich glaube, im Gegenteil. Ich glaube, dass die Solidaritätsadressen, die jetzt von allen großen Museumsmännern und von vielen anderen Seiten geäußert wurden, dazu führen, dass die Leute noch viel interessierter in dieses Museum gehen, und das ist ja auch ein wunderbares Museum. Ich glaube, die klassische Moderne lässt sich fast nirgendwo sonst in Deutschland so intim und so intensiv erleben wie dort.

    Koldehoff: Hanno Rauterberg – vielen Dank – zum umstrittenen neuen Buch über den Kunstsammler und Mäzen Heinz Berggruen. Wir hatten auch die Autorin selbst gebeten, mit uns zu sprechen. Nach einer Zusage am Mittag kam dann aber am späten Nachmittag die Absage.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.