In die Welt fällt Lucie Cabrol mit einem Purzelbaum, unter den Röcken ihrer Mutter hervor. Doch es hätte ein Junge werden sollen, das Mädchen war unerwünscht - im Wortsinn: eine geborene Außenseiterin. Behaftet mit einem Stigma verfolgt sie dieser Fluch, dass bei ihr nicht alles mit rechten Dingen zugehe, bis zur Vertreibung, ja - bis zum Mord an ihr.
"Die Cocadrille" wird sie genannt, von allen. Das ist nicht nur ein Spitzname. Sondern seit den Ursprüngen in der keltischen Volksmythologie die üble Schmähung für eine Kreuzung zwischen Hahn und Schlange - widernatürlich, eklig, bedrohlich. Ihre Blicke, sagt man, könnten töten.
Auch die Eltern distanzieren sich von diesem Wechselbalg. Und Jean, den sie liebt und auf den sie wie Solveigh auf Peer Gynt ein Leben lang wartet, flieht vor ihr um die Welt. Im Mittelalter hätte man so eine als Hexe verfolgt. Im Bergdorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts denkt man an ihr Geld, ihr Erspartes. Und schlägt zu. So knapp ließen sich die kruden Vorgänge zusammenfassen. Doch in Vera Sturms Tübinger Sommertheaterinszenierung wird daraus eine Lebensgeschichte - poetisch, komisch, böse, gewaltsam und anrührend - weil die Geschichte anders erzählt wird: in Bildern. In immer wieder angehaltenen, auseinanderfallenden und neu zusammengesetzten, immer wieder kippenden Genrebildern aus dem dörflichen Leben und verhaltenen, ausbrechenden, widerstreitenden, umstürzenden Gefühlen.
Eine Moritat ohne Moral, eine Geschichte wie aus dem Bilderbuch der Monstrositäten. Lucie Cabrol, eine Alice im Albtraumland der Dorfidyllen, entfaltet in ihren drei Leben eine Energie, die für sieben zähe Katzenleben ausreichen würde. In einer Art theatralischem Haberfeldtreiben auf offener Szene hängt Therese Affolter, unbestimmbar alterslos, wie ein kleines Mädchen am Jackenzipfel ihres großen Bruders und schuftet gleich darauf wie ein Kerl, handelt und feilscht, flucht und tobt wie ein altes Weib, rutscht über die schiefe Bühnenebene und rennt zugleich gegen den Strom an. Auch während der Okkupation durch die Nazis.
In Simon McBurney's Anweisung zu seinem auf einer Erzählung von John Berger basierenden Theaterstück heißt es lapidar, die Schauspieler hätten "auch Dorfbewohner, Kinder, Landschaft, Tiere und Pflanzen" zu spielen. Und so wechseln die für den Theatersommer engagierten hochkarätigen Schauspieler die Rollen wie die Töne mit ein paar gewendeten Klamotten und verändertem Sprechgestus, singen und summen und sirren, gackern, muhen und mähen, stampfen, scharren und schnattern, dass es eine Lust ist, rücken ebenso selbstverständlich zum Liebeslager zusammen wie sie Arme und Hände als gekrümmte Zweige für die Beerenpflückerin hochhalten.
Auch die Toten spielen mit. Und nach dem Mord, in ihrem dritten Leben, findet dann endlich ihre Hochzeit statt: im Himmel. Lucies Himmelfahrtskommando ist beileibe kein Totentanz und auch nicht sentimental oder kitschig. Nein, im Himmel ist high life angesagt und alle Dörfler swingen was das Zeug hält.
Eine feste Grenze zwischen den lebenden Toten und den toten Lebendigen, dem Diesseits und dem Jenseits scheint es in diesem Dorf nicht zu geben.
Und auch die zwischen Zuschauer- und Bühnenleben wird aufgehoben. Sie sitzen alle unter einem - imaginären - , von ausgespannten Stricken markierten Dach, wenn es um das gemeinsame Phantasiespiel, das Spiel mit der Phantasie, auch der Zuschauer, geht. Ganz unaufdringlich ist diese wunderbare Aufführung mitten in unserer Event-gierigen Zeit auch eine fulminante, aufregende Entdeckungsreise zu dem reichen Arsenal theatralischer und schauspielerischer Ausdrucksmöglichkeiten - zum Reichtum des ärmst möglichen Theaters, das sparsam mit Effekten spielt und dennoch große Affekte darstellt - und auslöst.
"Die Cocadrille" wird sie genannt, von allen. Das ist nicht nur ein Spitzname. Sondern seit den Ursprüngen in der keltischen Volksmythologie die üble Schmähung für eine Kreuzung zwischen Hahn und Schlange - widernatürlich, eklig, bedrohlich. Ihre Blicke, sagt man, könnten töten.
Auch die Eltern distanzieren sich von diesem Wechselbalg. Und Jean, den sie liebt und auf den sie wie Solveigh auf Peer Gynt ein Leben lang wartet, flieht vor ihr um die Welt. Im Mittelalter hätte man so eine als Hexe verfolgt. Im Bergdorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts denkt man an ihr Geld, ihr Erspartes. Und schlägt zu. So knapp ließen sich die kruden Vorgänge zusammenfassen. Doch in Vera Sturms Tübinger Sommertheaterinszenierung wird daraus eine Lebensgeschichte - poetisch, komisch, böse, gewaltsam und anrührend - weil die Geschichte anders erzählt wird: in Bildern. In immer wieder angehaltenen, auseinanderfallenden und neu zusammengesetzten, immer wieder kippenden Genrebildern aus dem dörflichen Leben und verhaltenen, ausbrechenden, widerstreitenden, umstürzenden Gefühlen.
Eine Moritat ohne Moral, eine Geschichte wie aus dem Bilderbuch der Monstrositäten. Lucie Cabrol, eine Alice im Albtraumland der Dorfidyllen, entfaltet in ihren drei Leben eine Energie, die für sieben zähe Katzenleben ausreichen würde. In einer Art theatralischem Haberfeldtreiben auf offener Szene hängt Therese Affolter, unbestimmbar alterslos, wie ein kleines Mädchen am Jackenzipfel ihres großen Bruders und schuftet gleich darauf wie ein Kerl, handelt und feilscht, flucht und tobt wie ein altes Weib, rutscht über die schiefe Bühnenebene und rennt zugleich gegen den Strom an. Auch während der Okkupation durch die Nazis.
In Simon McBurney's Anweisung zu seinem auf einer Erzählung von John Berger basierenden Theaterstück heißt es lapidar, die Schauspieler hätten "auch Dorfbewohner, Kinder, Landschaft, Tiere und Pflanzen" zu spielen. Und so wechseln die für den Theatersommer engagierten hochkarätigen Schauspieler die Rollen wie die Töne mit ein paar gewendeten Klamotten und verändertem Sprechgestus, singen und summen und sirren, gackern, muhen und mähen, stampfen, scharren und schnattern, dass es eine Lust ist, rücken ebenso selbstverständlich zum Liebeslager zusammen wie sie Arme und Hände als gekrümmte Zweige für die Beerenpflückerin hochhalten.
Auch die Toten spielen mit. Und nach dem Mord, in ihrem dritten Leben, findet dann endlich ihre Hochzeit statt: im Himmel. Lucies Himmelfahrtskommando ist beileibe kein Totentanz und auch nicht sentimental oder kitschig. Nein, im Himmel ist high life angesagt und alle Dörfler swingen was das Zeug hält.
Eine feste Grenze zwischen den lebenden Toten und den toten Lebendigen, dem Diesseits und dem Jenseits scheint es in diesem Dorf nicht zu geben.
Und auch die zwischen Zuschauer- und Bühnenleben wird aufgehoben. Sie sitzen alle unter einem - imaginären - , von ausgespannten Stricken markierten Dach, wenn es um das gemeinsame Phantasiespiel, das Spiel mit der Phantasie, auch der Zuschauer, geht. Ganz unaufdringlich ist diese wunderbare Aufführung mitten in unserer Event-gierigen Zeit auch eine fulminante, aufregende Entdeckungsreise zu dem reichen Arsenal theatralischer und schauspielerischer Ausdrucksmöglichkeiten - zum Reichtum des ärmst möglichen Theaters, das sparsam mit Effekten spielt und dennoch große Affekte darstellt - und auslöst.