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Bergner: Bei der ostdeutschen Wirtschaft besteht Handlungsbedarf

In Ostdeutschland habe man eine weitgehende Angleichung an die allgemeinen Lebensbedingungen in Deutschland erreicht, sagt der Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Länder, Christoph Bergner (CDU). Handlungsbedarf bestehe allerdings bei der Wirtschaft, wo strukturelle Nachteile überwunden werden müssen.

Christoph Bergner im Gespräch mit Gerd Breker |
    Breker: Bald 23 Jahre nach dem Mauerfall und fast 22 Jahre nach der Deutschen Einheit – unser Bundespräsident Joachim Gauck kommt aus dem Osten, unsere Kanzlerin Angela Merkel ist in Ostdeutschland groß geworden –, warum brauchen wir da noch extra einen Beauftragten für die neuen Länder?

    Bergner: Also die Bedeutung dieses Amtes hat zweifellos in den letzten 20 Jahren kontinuierlich abgenommen und ich betrachte das als ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass wir in Deutschland zusammengewachsen sind und dass auch die besonderen Probleme der inneren Einheit Schritt für Schritt gelöst werden. Trotzdem gibt es noch besonderen Koordinierungsbedarf. Dies jedenfalls hat die Bundesregierung zum Ausgangspunkt der Entscheidung gemacht zu Beginn dieser Wahlperiode, unter den über 30 Beauftragten der Bundesregierung, die es ja gibt, auch weiterhin den Beauftragten für die neuen Bundesländer zu etablieren. Und ich denke, dass dieses Amt nach wie vor noch eine besondere Bedeutung hat, wenn auch gleich nicht mehr die, die es vor 15 oder zehn Jahren hatte.

    Breker: Der Vizeministerpräsident von Thüringen, der SPD-Politiker Christoph Matschie, der hält den Ostbeauftragten für eine Alibinummer und die Funktion, sein Amt also, für überflüssig. Was sagen Sie dem?

    Bergner: Also, jeder ist frei in seiner Bewertung. Ich betrachte mein Amt jetzt nicht als politische Selbstdarstellungsbühne sondern als eine Dienstleistungsfunktion gegenüber den neuen Ländern. Und ich spüre gerade aus den neuen Ländern, dass es immer wieder Bedürfnisse zur Koordinierung besonderer Fragen gibt. Wir haben gerade jetzt, wo es darum geht, die EU-Förderkulisse für die nächste Förderperiode festzulegen, wo es darum geht, wie wir den Länderfinanzausgleich nach 2019 gestalten, wie wir mit Fragen der Demografie umgehen, haben wir doch eine große Zahl von Problemen, wo auch eine spezifische Kompetenz für die neuen Bundesländer gebraucht wird. Insoweit fühle ich mich nicht überflüssig. Aber, wie gesagt, ich blase auch die Funktion nicht künstlich auf.

    Breker: Der Solidarpakt II – Sie haben es angedeutet – sichert ja den Milliardentransfer bis 2019. Ist das dann der Zeitpunkt, wo dann ein Ostbeauftragter nicht mehr gebraucht wird?

    Bergner: Also, das ist eine Entscheidung, die das Bundeskabinett immer zu Beginn einer Wahlperiode trifft. Mich selbst würde es tatsächlich freuen, wenn mit diesem Zeitpunkt der Angleichungsprozess zwischen Ost und West als so weit erledigt betrachtet werden kann, dass wir die besondere Beauftragung nicht mehr brauchen. Aber ich sage noch einmal, die Bundesregierung hat insgesamt über 30 verschiedene Beauftragtenfunktionen, und insoweit kann ich mir auch vorstellen, dass man auch hier noch Handlungsbedarf sieht.

    Breker: In diesen Krisenzeiten, Herr Bergner, wird ja der Begriff Solidarität stark strapaziert. In der Euro-Schuldenkrise soll Deutschland solidarisch sein zu den Schuldenstaaten, was bestimmt nicht sehr populär ist. Bayerns Ministerpräsident, Ihr Unionskollege Horst Seehofer mag nicht mehr solidarisch das Geberland im Länderfinanzausgleich sein. Es dauert nicht mehr lange, dann ist auch der Solidaritätszuschlag wieder in der Diskussion. Was meinen Sie?

    Bergner: Also, ich halte viel davon, dass wir die Situation, die ja befristet ist für 2019 und die den Länderfinanzausgleich gekoppelt an den sogenannten Solidarpakt II sieht, dass wir diese Situation jetzt nicht in Frage stellen. Die Länder brauchen Planungssicherheit, und die Höhe dieser Transferleistungen, die insgesamt in diesem Rahmen realisiert werden, diese Höhe ist seinerzeit sehr, sehr ausführlich und sehr, sehr gründlich begründet worden, und Bayern hat auch zugestimmt. Wenn sich also die Klage Bayerns darauf bezieht, dass man Pflöcke einschlagen möchte was die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs 2019 betrifft – na ja gut. Da steht uns ohnehin eine schwierige Diskussion bevor. Was aber den Zeitraum bis 2019 betrifft, finde ich, ist ein Infragestellen der bisherigen Vereinbarung problematisch und kontraproduktiv.

    Breker: Ziel des Solidarpaktes und Ziel des Länderfinanzausgleiches ist ja das Gebot unserer Verfassung, für eine Angleichung der Lebensverhältnisse zu sorgen. Wo stehen wir da eigentlich heute? Was wird im nächsten Jahresbericht zur Deutschen Einheit stehen?

    Bergner: Also zunächst einmal haben wir, was die allgemeinen Lebensbedingungen in Ostdeutschland betrifft, eine weitgehende Angleichung erreicht. Also was Angebot an Produkten, an Infrastruktur, die Situation des Umweltschutzes, Wohnraumsituation, medizinische Versorgung, Lebenserwartung, die ja vor 20 Jahren in den Gebieten der ehemaligen DDR deutlich niedriger war als im Westen, dies alles hat sich angeglichen. Wo wir noch kein Angleich erreicht haben und wo der meiste Handlungsbedarf aus meiner Sicht besteht, ist die Wirtschaftskraft, bei der wir zwar große Fortschritte erzielt haben, aber in den letzten Jahren so etwa, je nach Vergleichsmaßstab, eine Differenz noch immer von 30, wenn wir den Gesamtraum sehen, oder 20 Prozent, wenn wir die schwächeren alten Bundesländer sehen,%differenz in der Wirtschaftskraft sind. Und diese Differenz in der Wirtschaftskraft schlägt sich dann noch sehr viel deutlicher im Steueraufkommen nieder. Das heißt also, an dem Punkt sehe ich die großen, besonderen Herausforderungen neben der Frage der Demografie, die in den neuen Bundesländern auch deutlicher in den nächsten Jahren zu Buche schlagen wird, als in den alten Bundesländern.

    Breker: Innenminister Hans Peter Friedrich, Ihr Chef sozusagen, meinte bei der Vorstellung des letzten Jahresberichtes, dass die Angleichung über die Ost-West-Problematik hinausgehe. Künftig rückten die Unterschiede zwischen Metropolen und den ländlichen Räumen in den Mittelpunkt. Muss man nicht darauf achten?

    Bergner: Ja. Wir werden also den nächsten Bericht zum Stand der Deutschen Einheit auch ganz klar aus dem unmittelbaren, pauschalen Ost-West-Vergleich versuchen herauszunehmen, weil es immer wichtiger wird, dass wir auch Regionen Ost untereinander und die Spezifika spezifischer Regionen Ost und West miteinander vergleichen. Wir kommen allmählich auch zu problematischen Schlussfolgerungen, wenn wir gewissermaßen diese monolithische Betrachtung Ost-West zur Vergleichsbasis heranziehen. Ich sage noch einmal, es geht natürlich um das Transformationsgebiet neue Bundesländer, aber es stellt sich eben auch regional innerhalb der neuen Bundesländer sehr unterschiedlich dar. Und deshalb ist Differenzierung nötig und wir wollen es im nächsten Bericht zum Stand der Deutschen Einheit auch versuchen.

    Breker: Eine von Ihrem Haus in Auftrag gegebene Studie von renommierten Wirtschaftsinstituten unter Federführung des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, die Anfang des Jahres veröffentlicht wurde, empfiehlt, künftig auf spezielle Fördermaßnahmen und Subventionen für den Osten zu verzichten und stattdessen strukturschwache Regionen in Ost und West gleichermaßen zu fördern.

    Bergner: Ja. Hier muss man ergänzend dazu sagen, dass mit dieser Aussage nicht die Förderkulisse des Solidarpakts infrage gestellt wird, die in Gestalt von besonderen Haushaltszuwendungen des Bundes an die Haushalte der neuen Länder realisiert wird und mit überdurchschnittlichen Förderleistungen im entsprechenden Bundesprogramm. Aber es ist richtig, wenn wir über den Zeitpunkt 2019 hinausgehen, so stellen wir uns darauf ein, es wird nicht etwa einen Solidarpakt III geben, sondern es wird regionale Förderprogramme geben, die sich beispielsweise an demografischen Herausforderungen festmachen lassen, die versuchen, exzellente Forschungslandschaften und Ähnliches zu schaffen. Das heißt, wir bekommen Gesichtspunkte, die nicht mehr zwischen Ost und West, sondern zwischen der Betroffenheit, die jeweils in Ost und West dann sein kann, unterscheiden.

    Breker: Beginnt das Problem, Herr Bergner, nicht früher? Denn bisher zählte Ostdeutschland zum Kreis der Regionen mit dem höchsten Förderstatus der Europäischen Union, ein Status, der im kommenden Jahr aller Voraussicht nach verloren geht, sprich, dann wird es weniger Geld aus Brüssel geben.

    Bergner: Das ist ein Punkt, der die Bundesregierung insgesamt beschäftigt, wie gestalten wir die nächste Förderkulisse über die Europäische Union. Und die Position der Bundesregierung ist klar: Wir stellen uns den Realitäten, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Wirtschaftskraft im EU-Durchschnitt in den neuen Bundesländern jetzt über den Fördervoraussetzungen für das Ziel-1-Gebiet liegt. Das hängt auch damit zusammen, dass mit dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien natürlich sich der EU-Durchschnitt insgesamt gesenkt hat. Also, es ist nicht nur ein Ausdruck des Wachstumserfolges in den neue Ländern, sondern auch der Absenkung des EU-Durchschnitts. Und wir sind uns klar darüber, dass das, worüber wir verhandeln müssen, gewissermaßen eine Auffanglösung ist um nicht von Hundert auf Null in eine Förderpolitik zu gehen. Das heißt, wir wollen ein sogenanntes Sicherheitsnetz in der EU-Förderung für die bisherigen Fördergebiete haben, das etwa bei zwei Drittel des bisherigen Fördersatzes liegt. Die ersten Reaktionen aus Brüssel sind durchaus verständlich. Man zeigt Verständnis für dieses Förderkonzept.

    Breker: In der eben erwähnten Studie, die den Titel trägt "Wirtschaftlicher Stand und Perspektiven für Ostdeutschland" kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass es Ostdeutschland auf absehbare Zeit nicht schaffen wird, wirtschaftlich zum Durchschnitt der westdeutschen Länder aufzuschließen. Ist das nicht nach all diesen Subventionen, nach all diesen Transfers deprimierend?

    Bergner: Also, das ist eine der Thesen, die es uns mit dem Bericht auch zunächst mal schwer gemacht hat, und wo wir einen erheblichen Diskussionsbedarf angemeldet haben. Die Diskussionen haben stattgefunden und für mich ergibt sich folgendes Bild: Wir haben eine wettbewerbsfähige Unternehmenslandschaft in den neuen Bundesländern und insofern ist ein wichtiges Ziel des Angleichungsprozesses erreicht. Wir haben aber andere Unternehmensstrukturen in den neuen Bundesländern als im Westen. Es ist kein einziges DAX-Unternehmen mit Firmensitz in den neuen Ländern. Die Wirtschaft in den neuen Ländern ist sehr viel kleinteiliger als die Wirtschaft in den alten Bundesländern und mit den großen Unternehmen. Und mit den fehlenden Unternehmenssitzen fehlen auch bestimmte Gewinnmargen, die vor Ort abgerechnet werden. Es fehlen die Forschungsabteilungen, die an den Firmensitzen von Großunternehmen meist beheimatet sind. Und es fehlen auch bestimmte Exportaktivitäten, die von großen Unternehmen wahrgenommen werden. Wir sind jetzt dabei – auch herausgefordert durch die Studie der Wirtschaftsforschungsinstitute – uns die Frage zu stellen, wie wir die Kleinteiligkeitsnachteile in den neuen Bundesländern überwinden können, beispielsweise indem wir die Cluster-Politik besonders verstärken, beispielsweise indem wir auch die Kooperation mit öffentlichen Forschungseinrichtungen intensivieren und auch die Landschaft öffentlicher Forschungseinrichtung stärken. Das alles sind Gesichtspunkte, die zu berücksichtigen sind. Die Prognose, die gegeben wird, ist ernst zu nehmen. Sie ist auch nicht so deprimierend, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Aber wir glauben, dass wir hier in der Auseinandersetzung mit kleinstrukturellen Situationen in der ostdeutschen Wirtschaft uns besonders beschäftigen müssen.

    Breker: Große Hoffnungen und Erwartungen hatte man ja gerade in Ostdeutschland an die Energiewende geknüpft, doch dann kam auf einmal die Pleitewelle der deutschen Solarbranche und der Verlust vieler Arbeitsplätze. Da ist doch irgendetwas schief gelaufen. Was denn?

    Bergner: Also, zunächst einmal ist es in der Tat so, dass wir in dem Bereich erneuerbare Energien und Energiewirtschaft in den neuen Ländern die Chance haben, uns einer Herausforderung, die sich in West wie Ost stellt, auf gleicher Augenhöhe mit dem Westen zu begegnen. Dies ist sehr intensiv geschehen, am stärksten im Bereich der Photovoltaik, wo die Produktionskapazitäten fast 80 Prozent in den neuen Bundesländern liegen. Das Problem der Photovoltaikindustrie besteht darin, dass nachdem diese Unternehmen ausgesprochen fette Jahre hatten, auch mit einer dominanten Marktstellung in einem hochsubventionierten Markt, wir jetzt einen internationalen Wettbewerb haben, der von Überkapazitäten, aber auch von Wettbewerbsverzerrung geprägt ist. Es bleibt das industriepolitische Interesse, die neuen Bundesländer als einen profilierten Standort der Photovoltaikproduktion zu erhalten. Aber es ist zunächst einmal die Aufgabe der Unternehmen, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen herzustellen. Und um das noch zu sagen, weil wir da eine sehr kontroverse Diskussion auch mit den neuen Bundesländern zum Teil hatten. Die Unterstützung, die der Staat dabei geben kann, läuft nicht über das Erneuerbare Energien Gesetz und über die Höhe der Fördersätze. Wenn wir über Fördersätze diskutieren in der gegenwärtigen Marktlage, sitzen die chinesischen Hersteller mit am Tisch, die gewissermaßen von Subventionen profitieren möchten, die der deutsche Energiekunde zahlt. Und das kann nicht unser Interesse sein, sondern wir müssen sehen, dass wir unser besonderes Know-how, auch unseren technologischen Vorsprung, den wir noch immer in der Photovoltaikindustrie haben, dass wir den auf internationalen Märkten möglichst zur Geltung bringen und ausbauen können.

    Breker: Jürgen Trittin von den Grünen meinte, es drohte die zweite Deindustriealisierung des Ostens. Diese Gefahr sehen Sie nicht, Herr Bergner?

    Bergner: Also ich sehe, dass die Photovoltaikindustrie eine Krise durchläuft und dass Unternehmensanpassungen stattfinden müssen. Aber ich kann davon ausgehen, dass die Nachfrage nach Photovoltaikprodukten international wachsen wird zukünftig. Und ich kann auf der anderen Seite darauf aufbauen, dass wir in den neuen Bundesländern neben der industriellen Erfahrung auch inzwischen doch beachtliche Forschungs- und Entwicklungskapazitäten haben. Und auf diese beiden Punkte möchte ich Wert legen und dort müssten wir ansetzen. Insofern, Herr Trittin hat die Deindustriealisierung oder den Strukturwandel besser gesagt in der Industrie der neuen Bundesländer nach 1990 aus größerer Distanz erlebt. Wenn er näher dran gewesen wäre, würde er vielleicht den Vergleich nicht so ziehen.

    Breker: In den letzten Jahren, Herr Bergner, wuchs die Wirtschaft im Westen schneller als im Osten – 2011, also im letzten Jahr 3,1 plus im Westen und 2,6 plus im Osten. Es sieht so aus, als sei der Aufholprozess ins Stocken geraten. Die Schere, zwischen Ost und West, die scheint sich wieder zu öffnen.

    Bergner: Also ich glaube nicht, dass die Schere sich langfristig öffnet, jedenfalls nicht, was die Produktivitätszahlen betrifft. Wir werden natürlich einen demografischen Effekt haben, der sich auch in bestimmten wirtschaftlichen Kennziffern niederschlägt. Was uns beschäftigt ist der Umstand, dass wir die fehlende Lücke zur Wirtschaftskraft des Westens, diese 20 bis 30 Prozent Bruttoinlandsprodukt pro Beschäftigten, dass wir hier im Aufholprozess in den letzten Jahren nur sehr, sehr marginale Fortschritte hatten. Und hier liegt die Ursache in der Tat in der kleinräumigeren Wirtschaftsstruktur im Osten. Und deshalb ist die Überwindung dieser strukturellen Nachteile im Moment für mich der strategische Angriffspunkt, um hier auch wieder zu Aufholeffekten zu kommen, die wir wollen, allein schon, um auch die Wirtschafts- und Steuerkraft der neuen Bundesländer zu stärken.

    Breker: Faktisch ist es aber weiterhin so, dass aus den Regionen im Osten die Menschen zu den Arbeitsplätzen ziehen, und das ist der Westen.

    Bergner: Also, wenn wir die jüngere Entwicklung sehen, beginnt sich ja diese Tendenz umzukehren. Richtig ist, in den zurückliegenden 20 Jahren sind 1,5 Millionen überwiegend junge, überwiegend gut ausgebildete – mehrheitlich übrigens sogar Frauen – Menschen mit dem Motiv der Suche nach Arbeitsplatz und Berufsperspektive in den Westen gegangen. Die überwiegende Mehrheit von ihnen war in den westlichen Bundesländern erfolgreich. Das ist gut für die Menschen. Es ist aber auch gut für die Wirtschaft, in Bayern beispielsweise. Auch das ist ein Gesichtspunkt, wenn wir über Transferleistungen sprechen, der mit einbezogen werden muss. Wir erleben jetzt, und das zeigen nun die allerneusten Zahlen, dass inzwischen die Wanderungssalden, die wir ja in Deutschland sowieso haben – wir haben einen einheitlichen Arbeitsmarkt, wir haben Freizügigkeit – dass aber die Wanderungssalden wieder zugunsten zumindest einzelner neuer Bundesländer gehen. Ich glaube also, dass die Arbeitsmarktlage, vor allen Dingen der Fachkräftebedarf, in den neuen Bundesländern dazu führen wird, dass die Abwanderung gestoppt werden wird und dass wir sogar, wenn auch nie in dem Umfang der Abwanderung der vergangenen Jahre, aber dass wir sogar damit rechnen können, dass Heimatbindung und anderes dazu führen, dass auch ein Teil derjenigen, die in die alten Bundesländer gegangen sind, sogar zurück kommt.

    Breker: Was dagegen spricht, Herr Bergner, ist, dass Ostdeutschland weiterhin ein Niedriglohnland ist. Die Löhne im Osten haben gerade mal 80 Prozent des Lohnniveaus im Westen.

    Bergner: Ja, da sind zwei Dinge dazu zu bemerken. Das eine, dass natürlich innerhalb der Lohnstrukturen im Osten es inzwischen auch ein differenziertes Bild gibt. Ich rechne jedenfalls damit, dass der wachsende Fachkräftebedarf im Osten, der auch demografisch bedingt ist, dazu führen wird, dass es zumindest sektoral hier zur Angleichung kommt. Was die Tarifsituation betrifft, so haben wir in den meisten Tarifen ja doch schon eine weitgehende Angleichung erreicht.

    Breker: Herr Bergner, vielleicht zu Ihnen persönlich: Tritt der Ostbeauftragte der Bundesregierung zu bescheiden auf? Die Sprecherin der ostdeutschen SPD, Bundestagsabgeordnete Iris Gleicke beschreibt Sie so: Christoph Bergner ist genau so, wie der Westen sich einen Ossi wünscht, fleißig, brav, bescheiden und kein bisschen aufmüpfig. Fühlen Sie sich richtig beschrieben?

    Bergner: Also, zunächst einmal habe ich die Äußerung von Iris Gleicke auch mit etwas Amüsement zur Kenntnis genommen. Richtig ist, ich habe diesen Posten nicht übernommen, weil ich eine Selbstdarstellungsplattform gesucht habe, sondern weil ich Dienstleistung erbringen wollte für die Menschen in den neuen Bundesländern. Und dass die öffentliche Aufmerksamkeit sich jetzt anderen Themen zuwendet und dass auch bei der Vorstellung des Berichts zum Stand der Deutschen Einheit die Pressekonferenzräume nicht überfüllt sind und übrigens auch bei der Parlamentsbehandlung dieses Berichtes nicht unbedingt das Parlament bis auf den letzten Platz besetzt ist, dies alles sind Realitäten, denen wir uns stellen müssen, die aber eben auch dafür sprechen, dass die Schärfe und die Brisanz der Probleme nicht mehr so steht wie in der Vergangenheit. Ich tue meine Pflicht. Ich tue sie sehr gerne. Ich tue sie mit großer Verbundenheit zu den Regionen der neuen Bundesländer, in denen ich aufgewachsen bin und wo ich landespolitisch auch entscheidende Erfahrungen sammeln konnte. Und ansonsten amüsiere ich mich gelegentlich über das, was Kollegen über mich sagen.

    Breker: Hilft es dem Beauftragten für die neuen Bundesländer, dass die Kanzlerin ebenfalls im Osten sozialisiert wurde?

    Bergner: Also ich glaube, dass Angela Merkel auch von ihrer Herkunft her ein ganz unmittelbares Verständnis für Problemlagen in den neuen Bundesländern hat. Die erfährt sie ja in ihrem eigenen Wahlkreis. Insofern muss man da nichts erklären. Aber ich kenne viele Kollegen und habe auch, wenn ich an die Zeiten von Bundeskanzler Kohl zurück denke, auch sonst bei Regierungschefs, die aus dem Westen kamen, großes Verständnis gefunden, wenn es um das Zusammenwachsen in Deutschland geht. Das heißt, das Verständnis von Angela Merkel ist sehr gut, aber das soll nicht heißen, dass man nicht auch Verständnis unter Kollegen aus den alten Ländern findet.

    Breker: In der CDU Sachsen-Anhalts scheinen Sie so langsam den Rückhalt zu verlieren. Es mehren sich Stimmen, die Sie nicht mehr auf Platz 1 der Landesliste sehen wollen. Wollen Sie weiter machen bis 2019?

    Bergner: Also, ich habe meine Bereitschaft erklärt, noch einmal für den Deutschen Bundestag zu kandidieren. Es ist Sache der Parteigremien, jetzt zu entscheiden, wie unterschiedliche Gesichtspunkte, und dazu gehört beispielsweise auch die Frage des Generationswechsels, jetzt im Einzelnen gewichtet werden. Ich sehe dieser Diskussion mit großer Gelassenheit entgegen. Worauf es mir nur ankommt ist, dass ich bereit bin, noch einmal hier im Parlament meinen Dienst zu tun, dass ich auch denke, dass ich eine ganze Anzahl von Erfahrungen, gerade die der letzten Jahre, einzubringen habe. Und das ist ein Personalangebot an meine eigene Landespartei. Ich bin ganz gelassen, wie sie damit umgehen wird.

    Breker: Herr Bergner, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.

    Bergner: Vielen Dank.