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Bericht zur globalen Biodiversität
"Es geht ans Eingemachte, bis hin zur Änderung unseres Lebensstils"

Im UN-Bericht zur globalen Artenvielfalt zeigten die meisten Parameter nach unten und keiner nach oben, sagte Horst Korn vom Bundesamt für Naturschutz im Dlf. Und manche Veränderungen ließen sich nicht umkehren: "Wir müssen unsere Art zu wirtschaften und zu leben stark überdenken."

Horst Korn im Gespräch mit Uli Blumenthal |
Zahlreiche Kühe in einem modernen Stall
Ob Milchkühe oder Ackerkräuter - die Arten weltweit werden immer weniger, sagt Horst Korn nach dem jüngst veröffentlichten Artenvielfalts-Bericht (imago/Daniel Fleig)
Uli Blumenthal: Bis zu eine Million Tiere und Pflanzen sind vom Aussterben bedroht, und deswegen sollte die Menschheit ihren Umgang mit der Natur grundlegend ändern. Dies ist die Kernaussage eines Berichts, den der Welt-Biodiversitätsrat heute Vormittag in Paris vorgestellt hat.
"Das, was die Wissenschaftler uns mitgeben, ist: Es kann nicht so weitergehen. Und es ist auch nicht mit kleinen kosmetischen Veränderungen getan, sondern es geht richtig ans Eingemachte, bis hin zur Änderung unseres Lebensstils", sagt Dr. Horst Korn, Leiter der Arbeitsgruppe Internationaler Naturschutz beim Bundesamt für Naturschutz.
Die Verluste von Ökosystemen und Arten schaffen eine direkte Bedrohung des Wohlergehens der Menschheit in allen Regionen der Welt, heißt es heute bei der Vorstellung des UN-Berichts zur Biodiversität. Die weltweite Rate des Artensterbens sei derzeit zehn bis 100 Mal größer als im Schnitt der vergangenen zehn Millionen Jahre.
150 Experten aus 50 Ländern haben über drei Jahre lang den Zustand der Arten und der Ökosysteme auf der ganzen Welt analysiert und einen 1.000 Seiten starken Bericht vorgelegt. Der Bericht wertet 15.000 wissenschaftliche Arbeiten und andere verlässliche Quellen aus und bilanziert die Entwicklung der vergangenen 50 Jahre.
Darüber habe ich mit Dr. Horst Korn gesprochen. Er ist Leiter der Arbeitsgruppe Internationaler Naturschutz beim Bundesamt für Naturschutz, und ich habe ihn gefragt, wie er die Entwicklung der Artenvielfalt in den zurückliegenden Jahrzehnten bewertet.
"Nur noch schwarzbunte Hochleistungs-Turbokühe"
Horst Korn: Sie sagten es schon, es werden so die wesentlichen letzten 50 Jahre betrachtet, und da sind die Veränderungen zum großen Teil doch schon dramatisch schlechter geworden. Vielfach ist in der Presse ja auch die Rede vom Schwund der Arten, aber das greift zu kurz. Wir müssen viel weiter das betrachten, also die gesamte Natur, auch die innerartliche Vielfalt betrachten.
Das lässt sich zum Beispiel sehr gut erläutern an der Vielfalt zum Beispiel der Rinderrassen in Deutschland. Bis vor einigen Jahrzehnten hatten wir noch eine ganze Reihe regional angepasster Rinderrassen.
Derzeit haben wir für die Milchproduktion nur noch die schwarzbunten Hochleistungs-Turbokühe, und was in der Vergangenheit ein Vorteil war, dass die Rassen regional angepasst waren, es gab Rassen, die konnten auf den Almweiden in den Alpen weiden, ohne die Böden zu erodieren, andere in den Sümpfen, ohne dass sie Klauenentzündungen bekamen, und in den letzten Jahrzehnten hat sich die Landwirtschaft so entwickelt, dass alles sehr stark homogenisiert wurde. Die Rinder werden nur noch mit Hochleistungskraftfutter gefüttert.
Diese anderen Qualitäten, die wir vielleicht irgendwann mal brauchen, wenn diese Quellen von Soja aus Südamerika zum Beispiel nicht mehr zur Verfügung stehen würden, die sind dann weg. Aber es geht auch um die Vielfalt der Lebensräume.
Unsere Landschaften werden immer homogener, die Schläge in der Landwirtschaft immer größer, Feuchtgebiete werden drainiert, und auch die Arten in den landwirtschaftlichen Gebieten, also auch die Begleitarten und auch Unkrautarten, die werden weltweit immer homogener, und es ist überall weltweit dann immer das gleiche.
"Richtig positive Ergebnisse hat es nicht gebracht"
Blumenthal: Gibt es – wenn Sie diese weltweiten Verluste aufzählen, und da kann man sicher noch viele Beispiele mehr bringen –, gibt es auch positive Überraschungen, die dieser Bericht jetzt zu vermelden hat?
Korn: In diesem Bericht sind 18 Indikatoren betrachtet worden, von denen gehen, sagen wir, 14 nach unten, und vier sind etwa gleich. Richtig positive Ergebnisse hat es nicht gebracht. Viele Dinge, die wir bisher wussten, sind nun einmal wirklich auf Herz und Nieren überprüft worden, und die Wissenschaftler, die werden da, man kann es sagen, über sechs Tage lang wirklich gegrillt und von den Regierungsvertretern nach allen Regeln der Kunst befragt.
Es gibt Staaten, die also erst mal in Frage stellen, ob die Daten zur dramatischen Situation der Fischerei überhaupt stimmen, oder es gibt Länder wie Brasilien, die erst mal nicht so hinnehmen wollen, dass der Regenwaldverlust so dramatisch ist oder dass das alles so schlimm ist.
Da müssen die Wissenschaftler wirklich beweisen, dass die Aussagen, die sie dort treffen, wirklich stimmen. Das Ergebnis, was dort jetzt am Ende herausgekommen ist, das ist wirklich ein Bericht, der nach allen Regeln der Wissenschaft und der politischen Interessenlage in Frage gestellt worden ist, und das ist das Ergebnis, was dann am Ende wirklich steht.
Vorschlag: Subventionen auf den Prüfstand
Blumenthal: Enthält denn dieser Bericht auch konkrete Vorschläge zum weltweiten Schutz der Artenvielfalt, um diesen Prozess zu stoppen oder rückgängig zu machen?
Korn: Ja, es gibt auch Vorschläge für die zukünftige Entwicklung. Ein wesentlicher Vorschlag ist zum Beispiel, dass weltweit das ganze Subventionssystem auf den Prüfstand gestellt werden muss, um zu sehen, wo wir Subventionen, die die Natur und damit auch unsere Lebensgrundlagen nachhaltig schädigen, doch in eine positive Richtung lenken. Als Beispiel können wir anmerken unsere europäischen Agrarsubventionen.
Derzeit werden die großen Landeigentümer massiv gefördert nur dafür, dass sie das Land besitzen. Die gleiche Menge Geld könnte man auch anders verteilen, indem man eine naturverträglichere Landwirtschaft zum Beispiel stärker fördert und nicht nur den reinen Flächenbesitz.
Blumenthal: Der Weltbiodiversitätsrat ist so eine Art Pendant zum Weltklimarat, IPCC, der ja Wegbereiter war für das Kyoto-Protokoll und auch für das Pariser Klimaschutzabkommen. Das Pariser Klimaschutzabkommen hat ja das 2-Grad- oder auch das 1,5-Grad-Ziel erklärt. Wie sieht es bei der Artenvielfalt aus? Kann man das auch in so eine einfache Zahl als Ziel formulieren, oder was sind die tragenden Ideen eigentlich hinter diesem Bericht, was sich ändern muss?
Korn: Die biologische Vielfalt ist ein bisschen komplexer als der Klimawandel, weil wir es mit verschiedenen Ebenen zu tun haben. Man kann es sicher am einfachsten fassen mit dem Begriff Vielfalt der Natur, also Vielfalt der Arten, aber auch Vielfalt der Lebensräume. Wenn wir die ruinieren, dann haben wir ein Problem.
Vieles passiert ja schleichend, und es gibt dann sogenannte Kipppunkte. Man kann das vielleicht vergleichen mit einem Gummiband. Ein Gummiband kann man dehnen, und wenn man den Druck loslässt, geht das wieder in einen ursprünglichen Zustand zurück. Wenn man ein Gummiband überdehnt, dann reißt es, und dann hat es diese Funktion nicht mehr, die wir vorher von dem haben wollten.
Manche Veränderungen lassen sich nicht umkehren
Viele Fischbestände sind überfischt, und wenn man aufhört, diese Fischbestände weiter zu befischen, kommen die Arten oder kommen die Populationen nicht zurück, weil sich das System an sich verändert hat. Unsere Böden funktionieren wie ein Schwamm, und sie nehmen viel, viel auf, und lange Zeit passiert nichts, aber irgendwann ist auch ein Schwamm voll, aufgesaugt, und dann läuft alles, was wir oben neu reingeben, unten durch.
Das ist die Gefahr, dass wir bei vielen dieser Systeme also nicht wissen, wo diese Kipppunkte sind und wo wir uns dort befinden. Wir können nur erfahren, dass wir diese Kipppunkte überschritten haben, wenn wir sie überschritten haben, aber nicht vorher. So ähnlich wie bei einem Gummiband, wo man nie genau weiß, an welchem Punkt es reicht.
Also, wir müssen unser ganzes Wirtschaftssystem und unsere ganze Art zu wirtschaften und zu leben doch schon stark überdenken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.