Es ist gut, dass die pharmazeutische Industrie Kritiker hat. Sie kann das brauchen. Wie andere Industriezweige auch. Die Autoindustrie braucht ihre Autotester, die chemische Industrie braucht an möglichst jedem ihrer Produktionsstandorte eine aufmerksame Öffentlichkeit, und wer gentechnisch veränderte Organismen im Freiland ansiedeln will, braucht kritische Begleiter für jede Bewegung außerhalb des Labors. Unternehmen brauchen Kritiker. Schon aus eigenem Interesse.
Zu wissen, dass sie beobachtet werden, macht Unternehmen vorsichtiger, wacher, aufmerksamer und dialogbereiter. Wer Arzneimittel herstellt, ist gerade prädestiniert dafür, Beobachter auf den Plan zu rufen. Man stelle sich vor: Da ist einer, der Geld aus der Hinfälligkeit des menschlichen Organismus zieht. Der ein Produkt herstellt, das Krankheit heilen und Gebrechen lindern kann. Oder aber, statt zu heilen, Leiden überhaupt erst erzeugt und Krankheit produziert.
Man stelle sich vor, da gibt es eine Branche, die für die größten Heilsversprechen steht: Den Krebs zu besiegen, Aids zu kurieren, den Wohlstandserkrankungen ihre Schrecken zu nehmen, am Ende gar über das Alter zu triumphieren. Kein Wunder, dass eine Industrie, die in solchem Maße für Hoffnungen wie auch für Ängste steht, Kritiker geradezu magisch anzieht. Das ist gut so. Wenn auch die Kritiker gut sind. Für Markus Grill, Redakteur der Illustrierten "Stern", gilt das nur eingeschränkt.
Grill erwarb sich vor zwei Jahren journalistische Meriten, als er dubiose Marketingpraktiken des Generika-Herstellers Ratiopharm öffentlich machte.
"Es gab Ratiopharm-Außendienstler, Pharmareferenten, die Ärzten angeboten haben, ihr könnt pro Packung, die ihr verordnet, 2,5 Prozent des Preises wieder als Zahlung von uns bekommen, als Scheckzahlung. Dann kam der Pharmareferent einmal im Vierteljahr in der Arztpraxis vorbei, hat genau geschaut, welche Ratiopharm-Präparate der Arzt verordnet hat und hat dann von der Gesamtsumme 2,5 Prozent genommen. Und darüber hat der Arzt dann einen Scheck bekommen."
Und zuweilen, so gibt es der Stern-Redakteur im Südwestrundfunk wieder, zuweilen durfte es auch ganz plump zugehen:
"Und dann gab's natürlich die ganze Palette von Essenseinladungen über Geschenke, also Mikrowellen, Grillgeräte, Tischleuchten, dann auch einfach gelegentliche Schecks, also das ganze Arsenal gab es da."
Hut ab vor Grills journalistischer Enthüllungsleistung, so etwas gelingt nicht alle Tage! Aber, wie Markus Grills neues Buch belegt, es gelingt auch nicht immer wieder. Grills neu erschienene "Kranke Geschäfte", Untertitel:" Wie die Pharmaindustrie uns manipuliert" recycled in einem kurzen Kapitel noch einmal die Ratiopharm-Recherche und ist ansonsten in weiten Teilen ein Aufguss bekannter pharmakritischer Positionen.
Was er an Beispielen für Medikamente aufzählt, die zu überhöhten Preisen ohne therapeutischen Mehrwert für den Patienten zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden, lässt sich umfassender und detaillierter in jeder Ausgabe des "Arzneiverordnungsreports" nachlesen. Diesen erstellen Pharmakologen, Ärzte und Krankenkassen einmal im Jahr in erneuerter Version. Freilich kommt hier die Pharmakritik recht nüchtern daher und längst nicht so grellfarbig wie in Grills "kranken Geschäften". Nur mit Mühe kann der Stern-Redakteur etwas vom Skandalhaften retten, das sein Vorgänger-Buch auszeichnete. Will er darlegen, wie eine prozesswütige Industrie Kritiker auf dem Klageweg mundtot macht, so muss er tief in die Historie greifen.
Nicht weniger als zehn Jahre nämlich ist es her, dass es Pharmafirmen gelang, einen "Arzneiverordnungsreport" mit geschwärzten Passagen erscheinen zu lassen. Tief in die Annalen muss Grill auch greifen, um ein handfestes Beispiel für einen vermeintlichen Kotau der Politik gegenüber den Forderungen der Arzneimittelhersteller ausfindig zu machen. Tatsächlich gab es vor nicht weniger als zwölf Jahren einen reichlich ungeschickt agierenden Gesundheitsstaatssekretär, der zum Geburtstagsempfang eines Pharmalobbyisten eine Klarsichthülle mit Papierschnitzeln herantrug. Inhalt: Eine symbolisch geschredderte Positivliste. Hans-Rüdiger Vogel, heute 72 Jahre alt, Medizinprofessor und annähernd 20 Jahre lang Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, erinnert sich. Er war der damals Beschenkte und gar nicht glücklich dabei:
"Tatsache ist, dass ich mit dem damaligen Minister Horst Seehofer intensive Gespräche über Sinn und Unsinn der Positivliste geführt habe. Er hatte die – aus meiner Sicht – völlig verunglückte Idee, die Positivliste, die zu diesem Zeitpunkt schon beschlossen und abgeschafft war, zu schreddern, und mir wollte er sie überreichen. Das hat mir, sag´ ich ganz offen, nicht gefallen. Also, ich habe das inzwischen 30 oder 35 Mal wiederholt gesehen, diesen kurzen Filmausschnitt. Den sehe ich den immer wieder! Es ist kein Beleg dafür, dass die Politik so willfährig gegenüber der Industrie ist!"
Zu Grills Ehren sei erwähnt, dass er dem Leser auch handfestere und frischere Belege für politisches Entgegenkommen liefert. 2001 etwa, als sich Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die Idee eines vierprozentigen Preisnachlasses für patentgeschützte Arzneimittel von der Industrie gegen eine Millionenzahlung zugunsten der Krankenkassen abhandeln ließ.
Andererseits: Es gibt aber auch die Festbeträge, die der Industrie seit 1989 die Preise zumindest für patentfreie Arzneimittel verderben. Es gibt die neuen Rabattverträge, mit denen die Krankenkassen die Umsätze einzelner Hersteller in den Keller schickten; es gibt auch das auch von Markus Grill hochgeschätzte Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, das künftig eben genau das tun wird, was der pharmakritische Autor vermisst: Es wird Arzneimittel streng nach deren Verhältnis von Kosten und Nutzen bewerten.
Überhaupt: Unter dem Eindruck einer 30 Jahre währenden Kostendämpfung im Gesundheitswesen kann der Interessenvertreter im Ruhestand, Hans-Rüdiger Vogel, der Vorstellung nur wenig abgewinnen, die Pharmaindustrie verfüge über besondere Manipulationskräfte:
"Es ist aus meiner Sicht immer schon so gewesen, dass sich die Industrie schwerer tat als andere Verbände, ihre Interessen durchzusetzen. Ich glaube, das Ergebnis der Entscheidungen im Parlament spricht dagegen, dass die Industrie besonders erfolgreich ist, besonders offene Türen findet. Wer wichtiger ist im Empfinden der politischen Öffentlichkeit, aber auch im Selbstbewusstsein, sind ganz sicher die Ärzte. Ohne Ärzte läuft nichts, ohne Pharmaindustrie kann man ne ganze Zeitlang die Situation retten, aber Ärzte brauchen sie und benötigen sie. Deshalb glaube ich, dass zuallererst die Ärzte besseres Gehör finden."
Vieles von dem, was Grill in der Pharma-Welt kritisiert, ist zutreffend: Dass es zu wenig an unabhängiger Information über den Arzneimittelmarkt gibt zum Beispiel. Vieles, das kritikwürdig wäre, kommt aber bei ihm zu kurz: Die fragwürdige geplante Umgestaltung der Zulassungsbehörde für Arzneimittel zu einer industriefinanzierten Dienstleistungsagentur etwa. Die mangelnde Transparenz bei klinischen Studien für Arzneimittel vor dem Marktzutritt. Die wachsende Bedeutung von Patientenvertretern und Selbsthilfegruppen und deren Manipulierbarkeit.
"Scheininnovationen" nennt man im Pharma-Jargon Medikamente, die es wegen geringfügiger Veränderungen zu Patentschutz und damit zu höheren Preisen bringen. "Scheininnovationen" kritisiert Markus Grill mit Nachdruck und auch zu Recht. Scheint aber, als habe der Autor sich inspirieren lassen und die Scheininnovationen auch für den Buchmarkt entdeckt.
Markus Grill, Kranke Geschäfte. Wie die Pharma-Industrie uns manipuliert. Rowohlt Verlag Reinbek, 285 Seiten, 16,90 Euro.
Zu wissen, dass sie beobachtet werden, macht Unternehmen vorsichtiger, wacher, aufmerksamer und dialogbereiter. Wer Arzneimittel herstellt, ist gerade prädestiniert dafür, Beobachter auf den Plan zu rufen. Man stelle sich vor: Da ist einer, der Geld aus der Hinfälligkeit des menschlichen Organismus zieht. Der ein Produkt herstellt, das Krankheit heilen und Gebrechen lindern kann. Oder aber, statt zu heilen, Leiden überhaupt erst erzeugt und Krankheit produziert.
Man stelle sich vor, da gibt es eine Branche, die für die größten Heilsversprechen steht: Den Krebs zu besiegen, Aids zu kurieren, den Wohlstandserkrankungen ihre Schrecken zu nehmen, am Ende gar über das Alter zu triumphieren. Kein Wunder, dass eine Industrie, die in solchem Maße für Hoffnungen wie auch für Ängste steht, Kritiker geradezu magisch anzieht. Das ist gut so. Wenn auch die Kritiker gut sind. Für Markus Grill, Redakteur der Illustrierten "Stern", gilt das nur eingeschränkt.
Grill erwarb sich vor zwei Jahren journalistische Meriten, als er dubiose Marketingpraktiken des Generika-Herstellers Ratiopharm öffentlich machte.
"Es gab Ratiopharm-Außendienstler, Pharmareferenten, die Ärzten angeboten haben, ihr könnt pro Packung, die ihr verordnet, 2,5 Prozent des Preises wieder als Zahlung von uns bekommen, als Scheckzahlung. Dann kam der Pharmareferent einmal im Vierteljahr in der Arztpraxis vorbei, hat genau geschaut, welche Ratiopharm-Präparate der Arzt verordnet hat und hat dann von der Gesamtsumme 2,5 Prozent genommen. Und darüber hat der Arzt dann einen Scheck bekommen."
Und zuweilen, so gibt es der Stern-Redakteur im Südwestrundfunk wieder, zuweilen durfte es auch ganz plump zugehen:
"Und dann gab's natürlich die ganze Palette von Essenseinladungen über Geschenke, also Mikrowellen, Grillgeräte, Tischleuchten, dann auch einfach gelegentliche Schecks, also das ganze Arsenal gab es da."
Hut ab vor Grills journalistischer Enthüllungsleistung, so etwas gelingt nicht alle Tage! Aber, wie Markus Grills neues Buch belegt, es gelingt auch nicht immer wieder. Grills neu erschienene "Kranke Geschäfte", Untertitel:" Wie die Pharmaindustrie uns manipuliert" recycled in einem kurzen Kapitel noch einmal die Ratiopharm-Recherche und ist ansonsten in weiten Teilen ein Aufguss bekannter pharmakritischer Positionen.
Was er an Beispielen für Medikamente aufzählt, die zu überhöhten Preisen ohne therapeutischen Mehrwert für den Patienten zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden, lässt sich umfassender und detaillierter in jeder Ausgabe des "Arzneiverordnungsreports" nachlesen. Diesen erstellen Pharmakologen, Ärzte und Krankenkassen einmal im Jahr in erneuerter Version. Freilich kommt hier die Pharmakritik recht nüchtern daher und längst nicht so grellfarbig wie in Grills "kranken Geschäften". Nur mit Mühe kann der Stern-Redakteur etwas vom Skandalhaften retten, das sein Vorgänger-Buch auszeichnete. Will er darlegen, wie eine prozesswütige Industrie Kritiker auf dem Klageweg mundtot macht, so muss er tief in die Historie greifen.
Nicht weniger als zehn Jahre nämlich ist es her, dass es Pharmafirmen gelang, einen "Arzneiverordnungsreport" mit geschwärzten Passagen erscheinen zu lassen. Tief in die Annalen muss Grill auch greifen, um ein handfestes Beispiel für einen vermeintlichen Kotau der Politik gegenüber den Forderungen der Arzneimittelhersteller ausfindig zu machen. Tatsächlich gab es vor nicht weniger als zwölf Jahren einen reichlich ungeschickt agierenden Gesundheitsstaatssekretär, der zum Geburtstagsempfang eines Pharmalobbyisten eine Klarsichthülle mit Papierschnitzeln herantrug. Inhalt: Eine symbolisch geschredderte Positivliste. Hans-Rüdiger Vogel, heute 72 Jahre alt, Medizinprofessor und annähernd 20 Jahre lang Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, erinnert sich. Er war der damals Beschenkte und gar nicht glücklich dabei:
"Tatsache ist, dass ich mit dem damaligen Minister Horst Seehofer intensive Gespräche über Sinn und Unsinn der Positivliste geführt habe. Er hatte die – aus meiner Sicht – völlig verunglückte Idee, die Positivliste, die zu diesem Zeitpunkt schon beschlossen und abgeschafft war, zu schreddern, und mir wollte er sie überreichen. Das hat mir, sag´ ich ganz offen, nicht gefallen. Also, ich habe das inzwischen 30 oder 35 Mal wiederholt gesehen, diesen kurzen Filmausschnitt. Den sehe ich den immer wieder! Es ist kein Beleg dafür, dass die Politik so willfährig gegenüber der Industrie ist!"
Zu Grills Ehren sei erwähnt, dass er dem Leser auch handfestere und frischere Belege für politisches Entgegenkommen liefert. 2001 etwa, als sich Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die Idee eines vierprozentigen Preisnachlasses für patentgeschützte Arzneimittel von der Industrie gegen eine Millionenzahlung zugunsten der Krankenkassen abhandeln ließ.
Andererseits: Es gibt aber auch die Festbeträge, die der Industrie seit 1989 die Preise zumindest für patentfreie Arzneimittel verderben. Es gibt die neuen Rabattverträge, mit denen die Krankenkassen die Umsätze einzelner Hersteller in den Keller schickten; es gibt auch das auch von Markus Grill hochgeschätzte Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, das künftig eben genau das tun wird, was der pharmakritische Autor vermisst: Es wird Arzneimittel streng nach deren Verhältnis von Kosten und Nutzen bewerten.
Überhaupt: Unter dem Eindruck einer 30 Jahre währenden Kostendämpfung im Gesundheitswesen kann der Interessenvertreter im Ruhestand, Hans-Rüdiger Vogel, der Vorstellung nur wenig abgewinnen, die Pharmaindustrie verfüge über besondere Manipulationskräfte:
"Es ist aus meiner Sicht immer schon so gewesen, dass sich die Industrie schwerer tat als andere Verbände, ihre Interessen durchzusetzen. Ich glaube, das Ergebnis der Entscheidungen im Parlament spricht dagegen, dass die Industrie besonders erfolgreich ist, besonders offene Türen findet. Wer wichtiger ist im Empfinden der politischen Öffentlichkeit, aber auch im Selbstbewusstsein, sind ganz sicher die Ärzte. Ohne Ärzte läuft nichts, ohne Pharmaindustrie kann man ne ganze Zeitlang die Situation retten, aber Ärzte brauchen sie und benötigen sie. Deshalb glaube ich, dass zuallererst die Ärzte besseres Gehör finden."
Vieles von dem, was Grill in der Pharma-Welt kritisiert, ist zutreffend: Dass es zu wenig an unabhängiger Information über den Arzneimittelmarkt gibt zum Beispiel. Vieles, das kritikwürdig wäre, kommt aber bei ihm zu kurz: Die fragwürdige geplante Umgestaltung der Zulassungsbehörde für Arzneimittel zu einer industriefinanzierten Dienstleistungsagentur etwa. Die mangelnde Transparenz bei klinischen Studien für Arzneimittel vor dem Marktzutritt. Die wachsende Bedeutung von Patientenvertretern und Selbsthilfegruppen und deren Manipulierbarkeit.
"Scheininnovationen" nennt man im Pharma-Jargon Medikamente, die es wegen geringfügiger Veränderungen zu Patentschutz und damit zu höheren Preisen bringen. "Scheininnovationen" kritisiert Markus Grill mit Nachdruck und auch zu Recht. Scheint aber, als habe der Autor sich inspirieren lassen und die Scheininnovationen auch für den Buchmarkt entdeckt.
Markus Grill, Kranke Geschäfte. Wie die Pharma-Industrie uns manipuliert. Rowohlt Verlag Reinbek, 285 Seiten, 16,90 Euro.