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Berichten über die Klimakrise
Panikmache bringt uns nicht weiter

Klimaberichte, die vor allem Angst schüren, sind ungesund, findet Marina Weisband. Aufgabe des Journalismus sei es vielmehr, die drohende Katastrophe und ihre Auswirkungen so zu erklären, dass alle sie verstehen.

Von Marina Weisband | 25.11.2020
05.10.2020, Berlin: Eine Umweltaktivistin hält während einer Demonstration unter dem Motto «Trauerzug der toten Bäume» von Extinction Rebellion (XR) unweit des Bundeslandwirtschaftsministeriums ein Schild mit der Aufschrift «Aufwachen statt Aussterben». Für diese Woche hat Extinction Rebellion Protestaktionen gegen Umweltzerstörung und Klimawandel angekündigt. Foto: Paul Zinken/dpa
Der Unterschied zwischen Aktivismus und Journalismus: Medien sollten nicht wachrütteln, sondern die Klimakrise erklären, findet Marina Weisband (picture alliance/Paul Zinken/dpa)
Es sind die kleinen Themen, die immer mal zwischen die Bodenritzen der Nachrichten rutschen – zum Beispiel die Klimakatastrophe. Kann ja auch keiner mehr hören. Wir haben schon eine Katastrophe und mehr als eine geht nicht auf einmal. Die Schule meiner Kinder ist zu und ihr kommt mir damit, dass die Nahrungsversorgung sich zunehmend schwierig gestaltet wegen Dürren und Naturkatastrophen? Wie viel existenzielle Angst erträgt man auf einmal?
Mehr Klimawandel im Wetterbericht, bitte!
Bezeichnend ist, dass das Thema nicht mal dann angesprochen wird, wenn die journalistische Sittlichkeit das einfach gebieten würde. Ich zähle nicht mehr, wie viele Wetterberichte ich gesehen habe, die von einem "ungewöhnlich warmen November" sprachen oder von historisch starken Hurricanes, ohne das Wort "Klimawandel" auch nur einmal in den Mund zu nehmen. Das ist auch international so. Dabei ist es doch gerade die Arbeit von Journalisten, Zusammenhänge aufzuzeigen und zu erklären. Der menschengemachte Klimawandel ist hier der Zusammenhang. Und er muss erörtert werden.
5.06.2020, Hamburg: Eine Aktivistin der Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion (XR) steht während eines Protests mit einer Flagge vor dem Eingang zum Norddeutschen Rundfunk (NDR), an dessen Mauer ein Banner mit der Aufschrift «Klimakrise in die Medien! Zeigt das Ausmaß der ökologischen Krise» hängt. Mit einer Blockade vor der Einfahrt zum NDR-Gelände in Hamburg-Lokstedt haben die Umweltaktivisten den Sender aufgefordert, in seiner Berichterstattung den Begriff Klimawandel durch Klimakrise zu ersetzen. Foto: Christian Charisius/dpa
Primetime für die Klimakrise
"Klima vor acht" statt "Börse vor acht": Das fordert eine Initiative. Die Aktivisten wollen die Klimakrise in die beste Sendezeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bringen - direkt vor die "Tagesschau". Ein Crowdfunding brachte in wenigen Stunden mehr als 20.000 Euro.
Bleibt aber die Frage: Wie? Denn seien wir ehrlich: Selbst die eingefleischtesten Aktivisten unter meinen Freunden sind emotional nicht in Ordnung nach dem Schauen einer Doku über den Klimawandel und über Kipppunkte und über all die verlorenen Jahre und die drohenden Gefahren.
Es geht nicht darum, Menschen wachzurütteln
Ein Mensch kann nicht in stetiger Angst leben. Ich glaube, dass es eine implizite Angst gibt unter Medienmachern, ständig auf diese Alarmglocke zu drücken. Denn natürlich wird über Klimawandel berichtet – nur eben nicht so intensiv, wie das sein müsste. Und oft eben sehr düster. Das entsteht aus dem Impuls, Leute wachrütteln zu wollen. Sie schütteln zu wollen und zu sagen: "Es geht hier um alles! Du kannst das Problem nicht ignorieren." Aber ich glaube, die Zuschauer ignorieren es nicht, weil sie sich des Ernstes nicht bewusst wären – sondern weil der Ernst sie erschreckt und sie an etwas anderes denken wollen.
Das Problem ist abstrakt, es ist langfristig, es ist global und es ist nicht durch einzelne Maßnahmen in den Griff zu kriegen. Damit erfüllt es alle Kriterien für ein Thema, mit dem Menschen sich mental nicht gern befassen. Und es ist auch gar nicht gesund, eine ganze Bevölkerung in existenzielle Angst zu versetzen. Was das Problem braucht, ist Handlung. Und sei es nur – und das ist in Klimafragen immer noch das Effektivste – Druck auf die Politik auszuüben.
Demonstrieren können die Leute selber
Und hier liegt auch die Antwort auf die Frage nach dem Wie. Wir müssen nicht einfach mehr oder lauter auf den Klimawandel aufmerksam machen, sondern vor allem konstruktiver. Welche Möglichkeiten zur Handlung gibt es? Was kann die Politik tun? Wer ist dafür verantwortlich? Es ist absolut kein Aktivismus, diese Fragen zu beantworten, sondern der reinste Journalismus. Denn er soll Menschen ja überhaupt in die Lage versetzen, zu handeln, so sie das wollen. Politikerbüros anrufen und demonstrieren können sie ja selber. Aber die Bedrohung muss weniger diffus werden. Sie muss klar bezeichnet werden. Die realen Auswirkungen müssen als solche benannt werden.
Es ist Journalismus, der uns helfen muss, ein sehr komplexes, abstraktes und weit entferntes Problem nicht nur zu verstehen, sondern auch unsere eigene, handelnde Rolle darin zu finden. Diese Art der Orientierung muss zur journalistischen Aufgabe gehören. Es ist die größte Aufgabe. Im größten Kampf unserer Zeit.
Marina Weisband wurde 1987 in der Ukraine geboren und kam 1994 als Kontingentflüchtling nach Deutschland. Von 2011 bis 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Die Schwerpunkte der Autorin und Diplompsychologin sind Partizipation und Bildung. In ihrem Buch "Wir nennen es Politik" schildert sie Möglichkeiten neuer politischer Partizipation durch das Internet. Seit 2014 leitet sie bei politik-digital.de das aula-Projekt zur Demokratisierung von Schulen.