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Berichten über Rechtsterrorismus
"Die große Mehrheit findet dieses Thema eher schmutzig"

Viele Medien würden rechte Kreise seit Jahren vernachlässigen, moniert die SZ-Journalistin Annette Ramelsberger. Nach Anschlägen wie dem in Hanau müssten sie außerdem viel mehr über die Opfer berichten, forderte sie im Dlf.

Annette Ramelsberger im Gespräch mit Bettina Köster |
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Nach der Terrortat in Hanau stellt sich die Frage, inwiefern die gesellschaftliche Debatte den Täter geprägt hat (imago images / Patrick Scheiber)
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat sich heute Morgen in einer Rede zum Anschlag in Hanau geäußert. "Betroffenheit reicht längst nicht mehr. Hanau fordert vor allem: Aufrichtigkeit. Aufrichtigkeit vom Staat – der sich eingestehen muss, die rechts-extremistische Gefahr zu lange unterschätzt zu haben", sagte er und beklagte ein "vergiftetes gesellschaftliches Klima". Die Verunsicherungen und gesellschaftlichen Konflikte dürften nicht beschwiegen werden, sagte er, "aber wie wir darüber politisch diskutieren, um Wege für ein menschliches Miteinander zu finden, bestimmt mit darüber, rassistischen Taten wie in Hanau vorzubeugen".
Annette Ramelsberger, langjährige Gerichtsreporterin der "Süddeutschen Zeitung", sieht in diesem Zusammenhang auch eine Verantwortung der Medien. Bekannt wurde sie wegen ihrer differenzierten Berichterstattung über den NSU-Prozess, für die sie zur Journalistin des Jahres 2014 ausgezeichnet wurde. Im Dlf-Interview forderte sie von den Leitmedien, rechte Kreise mit mehr Ausdauer zu beobachten.
Annette Ramelsberger, Journalistin, Gerichtsreporterin der Sueddeutschen Zeitung, bei einer Veranstaltung 2019
Die Journalistin Annette Ramelsberger hat für die "Süddeutsche Zeitung" den NSU-Prozess in München begleitet (www.imago-images.de)
Bettina Köster: Haben in Ihren Augen viele Medien die Berichterstattung über rechtsextremistische Gefahr in Deutschland vernachlässigt?
Annette Ramelsberger: Ja, da hat er Recht, der Herr Schäuble. Es ist etwas, was wir uns selten eingestehen, aber es ist so. Wir haben das über die letzten Jahrzehnte vernachlässigt. Das war immer ein Thema, das den Igitt-Faktor hatte, wo man auch häufig mal als Korrespondent so die rollenden Augen gesehen hat und die Frage: Schreiben wir jetzt die Rechten hoch? Und immer die Frage: Muss das sein? Ich glaube, da, wo Schäuble auch fragt, was wäre denn, wenn das ein islamistischer Anschlag gewesen wäre – auch da hat er vollkommen Recht. Ich glaube, die Erregungsspirale wäre bedeutend größer, wenn es sich hier um einen islamistischen Anschlag gehandelt hätte und nicht um einen Anschlag gegen Muslime.
Ein Demonstrant hält bei einer Kundgebung ein Banner mit der Aufschrift "NSU". München, 2018.
Der NSU-Prozess und die Medien: "Journalistische Pflicht und Wiedergutmachung"
Nach mehr als fünf Jahren endet der NSU-Prozess. Von Beginn an berichtet hat Annette Ramelsberger. Am Ende habe sie zum "letzten Häuflein der Übriggebliebenen" gehört, sagte die SZ-Redakteurin im Dlf.
Bettina Köster: Sie haben gesagt, man hat sich bewusst so ein bisschen ferngehalten von den Themen, wenn es darum ging, Rechtsextremismus mehr ins Blatt zu bringen. War da auch eine Furcht dabei?
Annette Ramelsberger: Die Furcht, das Thema überzubewerten, die habe ich immer gespürt. Immer dieses Gefühl, naja, das ist doch eine dunkle rechte Ecke. Ist sie es wirklich wert, dass wir sie so ausleuchten in so einer großen journalistischen Anstrengung? Zum Beispiel der "Tagesspiegel", die "Frankfurter Rundschau", die haben ja schon in den Neunzigern zusammengestellt, wie viele Tote von rechtsradikalen Tätern ermordet worden sind. Das waren damals große Projekte, aber sie sind dann auch sehr schnell wieder in der Versenkung verschwunden. Und viele Medien, gerade die großen Medien, haben sich dem nicht angeschlossen.
"Man will sich nicht damit beschäftigen"
Bettina Köster: Warum nicht?
Annette Ramelsberger: Man könnte sagen, sie gewinnen mit diesem Thema zwar Aufmerksamkeit in einer kleinen Gruppe, aber die große Mehrheit findet dieses Thema eher schmutzig. Man will sich nicht damit beschäftigen. Man hat auch Angst, dass man diesen Rechten viel zu viel Bedeutung beimisst. Ich glaube wirklich, man kann sehr viel mehr gewinnen auch an journalistischem Zuspruch, wenn man über das Schöne, Wahre, Gute berichtet oder über die dritte Ausformung der Gesundheitsreform, als wenn man immer über diese rechten Kreise mit ihren tätowierten Typen mit diesen ganzen ekeligen Parolen, mit diesem Bodensatz der Gesellschaft sich auseinandersetzt.
Bettina Köster: Herr Schäuble berichtet auch von einem vergifteten gesellschaftlichen Klima, gerade durch die sozialen Medien. Jetzt könnte man ja sagen, Sie haben eben geschildert: Das sind die, die mit den Stiefeln durch die Gegend laufen, mit denen man nicht so gern was zu tun haben möchte. Aber hat sich die Szene nicht auch sehr verändert? Und welche Verantwortung kommt den Leitmedien zu, in einer solchen gesellschaftlichen Atmosphäre etwas entgegenzusteuern?
Die großen Medien "müssen die Entwicklungslinien nachzeichnen"
Annette Ramelsberger: Ich sehe da eine große Verantwortung. Sie haben vollkommen Recht: Es sind nicht mehr die Stiefeltypen aus den Neunzigern und den Nullerjahren. Es sind jetzt kluge Köpfe, die versuchen, Leimruten auszulegen, wie Herr Ramelow das gestern in seiner Regierungserklärung gesagt hat. Es sind Leute, die raffiniert vorgehen, auch welche, die sich einen bildungsbürgerlichen Anstrich geben, die sogar rechte Bildungsakademien aufbauen. Dort ist es natürlich viel schwieriger, das Plakative zu sehen. Da muss man nahe herangehen. Da muss man auch langzeitbeobachten. Das ist etwas, was die großen Medien wirklich machen müssen und auch können. Sie müssen dranbleiben, sie müssen die Entwicklungslinien nachzeichnen. Und ich will jetzt mal nicht nur Asche auf unser Haupt streuen. Es gibt welche, die es immer getan haben. Die kritischen Fernsehmagazine: "Panorama" zum Beispiel, "Monitor". Die waren da über die Jahre immer dran, aber auch der "Spiegel", der sich regelmäßig auch um den rechten Rand gekümmert hat - auch wenn manche seiner Titelbilder jetzt nicht unbedingt dazu beitragen, dass man das Rechte als Gefahr sieht, sondern eher als faszinierend.
Kundgebung der Neonazi-Partei "Die Rechte" für die verurteilte und inhaftierte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck am Jahrestag der Nazi-Reichpogromnacht am 9. November in Bielefeld.
Rechte Gewalt als Konstante deutscher Geschichte
Rassistisch oder nationalistisch motivierte Gewalt ist als Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte noch kaum erforscht. Der "Zeithistorische Arbeitskreis Extreme Rechte" versucht eine Bestandsaufnahme.
Bettina Köster: Bleibt aber mein Eindruck immer noch ein bisschen, dass die Themen immer dann auffackeln, wenn Anschläge gewesen sind - und vielleicht noch ein paar Wochen danach. Aber dann wird es stiller.
Annette Ramelsberger: Das habe ich ja auch beim NSU-Prozess erlebt. Fünf Jahre NSU-Prozess und das erste Jahr war dieser Gerichtssaal umlagert und jeder wollte rein und dabei sein bei diesem großen Ding. Und dann saßen wir ganz häufig allein in diesem Prozess. Und das ist eben das Problem, dass wir immer wieder haben: Jede Woche wird eine andere Sau durchs Dorf getrieben, und der Journalist ist nun mal in seiner Taktung eher schnell. Dieses lange Beobachten liegt vielen von uns nicht und es ist mühselig und auch schwierig in den Redaktionen durchzusetzen.
"Wir müssen auch als Medien an der Seite der Opfer stehen"
Bettina Köster: Aktuell dreht sich ja die Berichterstattung um die Verbreitung des Coronavirus. Die Folgen des Anschlags in Hanau scheinen da schon wieder fast in Vergessenheit zu geraten. Was tun Sie in Ihrer Redaktion, um da am Ball zu bleiben?
Annette Ramelsberger: Das ist gar nicht so einfach, das zu beantworten. Solange es einen Täter gibt, gegen den ermittelt wird und der dann vor Gericht gestellt wird, ist es ganz einfach zu berichten. Da kann man dann erst die Ermittlungen begleiten, dann den Prozess. Aber was ist, wenn sich ein Täter selbst getötet hat? Dann ist ja erst mal alles zu Ende. Aber es ist umso wichtiger, dann an den Opfern dranzubleiben, die Familien zu begleiten. Das ist ja während der NSU-Ermittlungen immer wieder beklagt worden, wie die ganzen Hinterbliebenen der NSU-Morde vernachlässigt worden sind, alleingelassen worden sind auch von den Medien. Sie wurden auch in eine Richtung gedrängt, Stichwort "Dönermorde", als wenn sie selber schuld wären an den Morden. Auch diesmal habe ich wieder von "Shisha-Morden" gelesen, als wenn wir nichts gelernt hätten. Das ist etwas, was nicht passieren darf. Wir müssen auch als Medien an der Seite der Opfer stehen. Nicht um uns gemeinzumachen, aber um auf dieses Leid aufmerksam zu machen und auf die Auswirkungen von solchen Taten.
"Die 'taz' hat es ganz vorbildlich gemacht"
Bettina Köster: Und vielleicht auch noch mal stärker dem Blick auf die ganzen rechtsextremen Strukturen werfen, also unabhängig von dem Anschlag?
Annette Ramelsberger: Es ist ja Gott sei Dank so, dass die Bundesanwaltschaft jetzt doch sehr konsequent eingreift, wenn irgendwo sich Rechtsradikale zusammenfinden, sei es die Gruppe S oder seien es auch Rechtsradikale jetzt wieder in Schleswig-Holstein. Und da müssen wir natürlich dranbleiben. Da können wir nicht einfach eine Meldung machen "Leute wurden festgenommen" und das war's dann, sondern man muss dranbleiben und sehen, was sich da zusammenbraut. Ich kann nur herausheben: Die "taz" hat es ganz vorbildlich gemacht. Die hat vor einem Jahr das Netzwerk "Hannibal" aufgedeckt, wie die rechtsradikale Strukturen quer durch die Polizei und die Bundeswehr und auch durch SEK-Kommandos sich verbreitet haben. Das war eine vorbildliche Recherchearbeit. Und ich muss sagen, sowas müssten wir viel öfter machen, um zu sehen, wie weit dieses rechte Gedankengut bereits in die Gesellschaft gesickert ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.