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Berichterstatter in eigener Sache

Wie schon im ersten Teil von Peter Zadeks Autobiografie kann man auch im zweiten Band viel lernen über das Theater und noch mehr über das Theatermachen, seine Schwierigkeiten, Sehnsüchte und Höhenflüge. Im Mittelpunkt von "Die heißen Jahre 1970-1980" steht Zadeks mittlerweile schon legendäre Zeit als Intendant des Bochumer Schauspielhauses.

Von Shirin Sojitrawalla | 03.05.2006
    Eine der schönsten Anekdoten, die dieser Band neben vielen anderen erzählt, ist die über Rainer Werner Fassbinder, der unter dem Intendanten Peter Zadek am Bochumer Schauspielhaus als Regisseur verpflichtet war. Ihr Verhältnis war spannungsgeladen, um es vorsichtig zu formulieren. Und auch deswegen taufte Fassbinder seinen Hund auf den Namen Zadek. Mit Vorliebe lief er nun mit dem Hund durch die Gänge des Hauses und brüllte immer wieder "Zadek, Fuß! Zadek, Fuß!"" Nicht Peter Zadek selbst erzählt diese Anekdote, sondern Traute Eichhorn, seine langjährige Souffleuse.

    Doch auch Peter Zadek, geboren 1926, reichert seine Erinnerungen wieder mit viel Nähkästchengeplauder an und führt damit fort, was er im ersten Teil seiner Autobiografie, die vor acht Jahren unter dem Titel "My Way" erschienen ist, angefangen hat. Diesmal nimmt er sich die Zeit zwischen 1970 und 1980 vor, nicht nur im Theater heiße Jahre. Natürlich lässt er sich nicht auf diesen Zeitraum begrenzen, sondern springt vor und zurück und benimmt sich dabei ganz so wie ein redseliger Onkel, der nie um eine Geschichte verlegen ist. Dabei erweist sich Zadek wie schon im ersten Teil seiner Autobiografie als erschütternd ehrlicher, aber auch eloquent vergnüglicher Berichterstatter in eigener Sache. Er schont niemanden, auch nicht sich selbst. Unumwunden listet er Frauengeschichten auf, referiert Animositäten und Liebeleien im Verhältnis zu seinen Schauspielern, meckert über diesen, verherrlicht jene und erdenkt sich familienartig arrangierte Theaterensembles.

    Mag sein, dass Zadek zuweilen arrogant und eitel ist, womöglich auch selbstverliebt und überheblich. Aber er ist eben auch schonungslos und offen, erzählt geradeheraus und warmherzig. Dass er "Vom Winde verweht" für den größten Film aller Zeiten hält, spricht vielleicht nicht gerade für ihn, doch das schert einen wie Peter Zadek ohnehin nicht. Er ist keiner, der sich einfügt, sondern einer, der seinen eigenen Weg geht. Eigensinnig. Wie schon im ersten Teil seiner Autobiografie kann man auch in diesem Band viel lernen über das Theater und noch mehr über das Theatermachen, seine Schwierigkeiten, Sehnsüchte und Höhenflüge.

    Im Mittelpunkt steht Zadeks mittlerweile schon legendäre Zeit als Intendant des Bochumer Schauspielhauses. Dort hatte er 1972 einen furiosen Start mit seiner Revue "Kleiner Mann, was nun?" nach dem Roman von Hans Fallada. Das Stück wurde ein rauschender Erfolg, und Zadek erlebte zum ersten Mal, wie nicht nur das Team selbst, sondern auch die folgenden Inszenierungen von solch einem Rausch profitieren.

    Die 70er Jahre waren aber auch die Zeit der großen Mitbestimmungsdebatten, um die auch Zadek nicht herumkam. Er war kein Freund des totalen Mitspracherechts und schlug doch neue Wege ein, stärkte die Mitbestimmung und Selbstverantwortung der Schauspieler, brachte Farbe in graue Theatergänge, öffnete das Theater und war sich nicht zu schade, kräftig Werbung dafür zu machen. Vieles von dem, was heute an Theatern gang und gäbe ist, verwirklichte Zadek in Bochum auf damals noch rebellische Art und Weise.

    Seine liebsten Inszenierungen in Bochum waren nach eigener Aussage "Hamlet" und "König Lear". Shakespeare ist einer von Zadeks Theatergöttern, die anderen sind Ibsen und Tschechow. Von seiner immerwährenden Arbeit an und stetig wachsenden Liebe zu Shakespeare ist auch in diesem Buch wieder viel die Rede. Und damit zusammenhängend auch von seiner Beziehung zum Ausnahmeschauspieler Ulrich Wildgruber, der unter Zadeks Regie in Bochum den Hamlet wie König Lear verkörperte. In einem wertvollen Anhang, der außer einem beeindruckenden Werkverzeichnis auch einige Kritiken zu seinen Inszenierungen enthält, finden sich in diesem Buch auch Nachrufe Zadeks auf einige seiner Schauspieler, darunter auch ein lesenswertes Gespräch über Wildgruber, in dem Zadek ihn als seine Projektion beschreibt:

    "Er war mein Alter ego. Er hat all die Dinge gemacht, die ich mich im Leben nie trauen würde zu machen. Vielleicht war er mein Mephisto."

    Auch über die Besonderheiten von Zadeks Probenarbeit erfährt der Leser wieder einiges, was sich ansonsten nur in der Praxis lernen lässt. Zadek gibt zu, dass ihm mit den Jahren die Vorbereitung einer Inszenierung fast mehr Spaß bereite als die Inszenierung selbst. Aus allen Sparten der Kunst und der Populärkultur lässt er sich inspirieren, saugt alles zum Thema auf, bis ihm der Kopf schwillt, den er in seinen Einfällen entlädt. Als Besessener erweist er sich noch immer. Über einzelne Szenen, und liegen sie auch Jahrzehnte zurück, gerät er heute noch regelrecht aus dem Häuschen.

    Dabei sieht er durchaus die Fehler eigener Arbeiten. Zimperlich ist er nicht, mit anderen schon gar nicht, mit seiner eigenen Gesundheit lange Jahre auch nicht. Dass das Theaterleben nicht gerade im Verdacht steht, ein gesundes zu sein, wusste man schon. Bei Peter Zadek erfährt man aus erster Hand, wie man seinen Körper überlastet, ohne es richtig wahrzunehmen. Seine Biografie ist so auch Rechenschaftsbericht, der nicht nur seiner Theaterarbeit gilt, sondern auch einem schon lang gelebten Leben.