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Berichterstattung über Corona
Sternstunde für die Regionalen

Die überregionalen Medien berichten längst nicht mehr über jede Neu-Infektion mit Corona. Nun schlägt die Stunde des Lokaljournalismus - zum Beispiel beim "Bonner General-Anzeiger".

Von Annika Schneider | 11.03.2020
Sicht auf das Haupthaus des Bonner "General-Anzeigers"
Das Haupthaus des "General-Anzeigers" im Bonner Westen (Deutschlandfunk/Annika Schneider)
In Zeiten des Corona-Virus wissen viele Bonnerinnen und Bonner ihren Lokaljournalismus zu schätzen, zum Beispiel das Privatradio, wie eine Umfrage zeigt:
"Ich hör viel Bonn-Rhein-Sieg und da bin ich eigentlich immer auf dem Laufenden." - "Über auch Artikel im Internet – 'General-Anzeiger' und so. Die Tagesschau wird ja jetzt nicht flächendeckend berichten, wie viele Kranke es jetzt genau in Bonn gibt oder welchen Stadtteil das betrifft oder welche Schulen jetzt geschlossen werden oder nicht." - "Also unsere Tochter ist ziemlich erkrankt. Da hören wir schon, wie sind die Einschläge hier so."
Eine Hand hält ein Smartphone, auf dessen Bildschirm das Plus-Abo der Schwäbischen Zeitung zu sehen ist.
Paywalls im Lokalen: Wer lesen will, muss bezahlen
Journalistische Texte sind im Netz meist kostenlos zugänglich. Doch damit scheint es bald vorbei zu sein: Immer mehr Verlage arbeiten mit sogenannten Plus-Modellen und verlangen Geld für ihre Texte. Aber funktioniert das auch?
Einer, der täglich über diese "Einschläge" berichtet, ist Nicolas Ottersbach. Der Lokalredakteur des "Bonner General-Anzeigers" sitzt an seinem Schreibtisch und blättert durch die jüngsten Ausgaben – überall Corona.
"Die Ausgabe vom Samstag ist ein schönes Beispiel, wie spontan sich so eine Situation dann auch verändern kann. Und zwar hatten wir dann schon alles fertig geschrieben am Abend, und dann bekamen wir plötzlich von einer betroffenen Schule die Nachricht, dass es da auch einen Corona-Virus-Fall gibt. Und dann mussten wir schnell am Abend noch alles ein bisschen umstricken und haben das eben da noch mit reingenommen."
Berichte auf Deutsch und Englisch
Seit Tagen hält das Virus die Redaktion auf Trab. Über 100 lokale und überregionale Artikel sind unter dem Stichwort "Corona-Virus" allein auf der Homepage des "General-Anzeigers" erschienen, auf Deutsch, aber auch auf Englisch – wegen der internationalen Leserschaft in der ehemaligen Bundeshauptstadt. Es habe in letzter Zeit kein Thema gegeben, das sie über so lange Zeit immer wieder beschäftigt habe, berichtet Nicolas Ottersbach – und das quer durch alle Ressorts.
"Es geht damit los, dass jetzt vielleicht Veranstaltungen abgesagt werden. Welche Lieferschwierigkeiten hat der lokale Importeur von italienischen Spezialitäten? Es werden Schulen geschlossen, man kann mit Familien sprechen, die in Quarantäne sind. Es ist eine unheimliche Themenvielfalt, weil es alle Lebensbereiche abdeckt, und da kann man im Lokalen natürlich aus dem Vollen schöpfen."
Kurze Dienstwege zu Interviewpartnern
Ein großer Vorteil der 15 Lokalredakteure in Bonn: Sie sind bestens vernetzt. Wenn Schulen Schüler und Lehrer nach Hause schicken, kennen sie Betroffene persönlich. Und eine Geschichte über eine Familie in Quarantäne kam zustande, weil Nicolas Ottersbach vor Jahren über den Vater berichtet hatte und dieser sich nun wieder bei ihm meldete.
"Wir kennen auch Ärzte an den Kliniken und haben da dann diese kurzen Dienstwege. Es ist auch eine kritische Berichterstattung, es wird nicht immer nur das heruntergebetet, was man in einer Pressemitteilung kriegt, sondern man muss das Ganze auch hinterfragen und das interessiert die Leute."
Außergewöhnliche viele Klicks
Wie sehr, das zeigt die Hitparade der meistgelesenen Online-Artikel. Das Corona-Virus hält sich seit Tagen auf den vorderen Plätzen – wie auch bei vielen anderen Medien. Die Überschriften im "General-Anzeiger" sind dabei sehr nachrichtlich gehalten – Sensationalismus oder Panikmache findet sich dort nicht. Trotzdem werden die Texte vielfach gelesen. Chefredakteur Helge Matthiesen beobachtet die Klickzahlen genau:
"Da kann man deutlich sehen, dass eben sobald neue Meldungen da sind über konkrete Corona-Fälle, gehen diese Zahlen in Minuten, in Stunden steil nach oben. Da erreichen wir Werte, die wir mit Unfallmeldungen nie haben. Aber da kann man sehen, wie groß das Interesse auch der Leser ist."
Gerüchte verbreiten sich per Whatsapp
Die Lokalmedien bilden einen wichtigen Gegenpol zur Gerüchteküche der sozialen Netzwerke und zu nicht-öffentlichen Messengern – auf Whatsapp verbreiten sich Meldungen zu Neuinfektionen schnell, auch oder gerade wenn sie gar nicht stimmen.
Aufgabe seiner Regionalzeitung sei es, Orientierung zu geben, praktische Fragen zu beantworten und Wissen zu vermitteln – so sieht es Chefredakteur Matthiesen. Denn Information sei das beste Mittel gegen Hysterie.
Vorbereitet auf Infektionen im Haus
"Wenn diese ganze Welle wieder abebbt mit der Zahl der Infektionen, dann wird sich das auch wieder beruhigen, aber solange werden Fragen da sein und so lange werden wir uns auch um dieses Thema kümmern und berichten."
Das gilt auch für den Fall, dass im eigenen Haus eine Infektion auftaucht. Man sei darauf vorbereitet, versichert der Chefredakteur. Der "Bonner General-Anzeiger" werde auch dann weiter erscheinen – zum Beispiel indem Journalistinnen und Journalisten von extern weiterarbeiten.