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Berlin als Integrationswerkstatt

Ein Tannenbaum leuchtet im Hof, und auch das Foyer vom Türkischen Konservatorium in Berlin-Kreuzberg unterscheidet sich kaum von anderen Musikschulen: an den Wänden Fotos von Schülern, die allerdings anstelle der Gitarre stolz ihre Laute in die Kamera halten. Auch der etwa zwanzigköpfige gemischte Chor der Erwachsenen bedient sich des klassischen türkischen Repertoires. Vor fast 30 Jahren haben Halime Karademirli und ihr Mann einen türkischen Chor gegründet, aus dem inzwischen eine komplette private Musikschule erwachsen ist.

Von Jacqueline Boysen |
    140 Schüler aller Altersgruppen erlernen hier das Klavierspiel, üben mit türkischen Zupfinstrumenten oder nehmen klassischen Gesangsunterricht - bei türkischen Lehrern in deutscher Sprache

    " Die kommen von Familien, die bisschen Niveau haben. Die aufpassen, dass sie Kultur lernen, beide Sprachen, das sind glückliche Kinder. Davon gibt's draußen wenige, die gehen dann anders ans Leben heran, nicht aggressiv, zum Einen und zweitens lernen sie beide Musik, westliche und türkische Musik. Und die macht die Kinder besser, selbstbewusst, die bessern sich auch in der Schule, werden disziplinierter, haben Respekt. "

    Im Büro der Geschäftsführerin des Konservatoriums hängt ein Bild von Kemal Atatürk. Selbstverständlich seien die meisten ihrer Schüler türkischer Abstammung, aber auch arabische, französische oder deutsche kämen in ihre Musikstunden, die weit mehr als türkische Folklore bieten würden: Hier finden die Schüler zu ihren Wurzeln - und das, ohne ihre Identität als Deutsch-Türken leugnen zu müssen.

    Die Frage nach Herkunft, Verwurzelung und Selbstbild junger Migranten der zweiten oder dritten Generation versucht auch Annette Hartmann von den theaterpädagogischen Aktionen zu klären.

    " Seid ihr bereit zu spielen? Wir sind bereit zum Zuhören. "

    In der Werkstatt der Kulturen in Neukölln nähert sie sich mit Schülern verschiedener Herkunft über Rollenspiele der Frage, wie stark die eigene Kultur und Tradition diese Jugendlichen prägt. Die Hauptschüler aus sieben Nationen wissen kaum, warum ihre Eltern nach Deutschland gekommen sind, die Familiengeschichte sei - außer bei den Bürgerkriegsflüchtlingen - zuhause nicht Thema, ebenso wenig wie die Kultur der Herkunftsländer. Wohl aber sei er seiner Tradition verhaftet, sagt ein 14-jähriger Kurde:

    " Ich möchte meine Religion und meine Tradition beibehalten. Ich möchte nicht, dass einer sagt, du bist Schande! "

    Wie stark ihre kulturelle Prägung ist, merken die Schüler beim Spielen einer imaginäre Alltagsszene: die Tochter einer kurdischen Familie verliebt sich in einen Schwarzen aus christlichem Elternhaus:

    " Also ich bin sprachlos, dass es ein Dunkelhäutiger, ein Schwarzer ist, er ist Christ, das geht gar nicht.
    Wir müssen unsere Kultur leben, wir sind Muslime.
    Das passt gar nicht zu uns.
    Aber ich liebe sie!
    Liebt sie dich auch?
    Irgendwann ist es vorbei, da hast Du die Kinder am Hals. "

    Die Werkstatt der Kulturen versucht, Kontakt zwischen Einwanderergruppen zuknüpfen, so Paul Räther, zuständig für die Musiksparte der staatlich geförderten Werkstatt

    " Schwerpunkt ist Weltmusik, wir organisieren Konzerte vorwiegend mit in Berlin und Brandenburg ansässigen Gruppen, auch in die klassische Szene hinein, sofern es sich um interkulturelle Fusion handelt. Wir beginnen jetzt mit einer Reihe, die sich mit Rap und Hiphop beschäftigt aus dem Neuköllner und Kreuzberger Migrantenmilieu. Wir haben das vernachlässigt, es ist uns aufgefallen, das wir da hinterherhinken. "

    Im besten Fall werde nicht allein das eigene kultiviert, sondern Neues entsteht - das ist auch der Ansatz der Berliner Kulturpolitik gegenüber den rund 450 000 ausländischen Einwohnern der Hauptstadt.

    " Berlin braucht eine neue Identität und diese wir ein Stück Einwanderungsidentität sein. Und dieses Angebot machen die Künstler. Und das wahrzunehmen und sie nicht in die Ecke der Migrantenkultur zu stellen, das ist die Aufgabe, die der Senatsbeauftragte zu machen hat. "

    Der Beauftragte des Senats für Integration und Migration, Günter Piening will Kultur von Migranten nicht länger als Folklore verstanden wissen. Längst hätten die überwiegend jungen Berliner nicht-deutscher Herkunft ihre eigene Kultur geprägt

    " Dieses hineinwirken zu lassen in die Bildung, die sozio-kulturellen Strukturen und Prozesse, ist eine Aufgabe, die Kultur leisten muss und leisten wird in den nächsten Jahren. "