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Berlin
Einstieg von DDR-Fluchttunnel freigelegt

Die Berliner Wasserbetriebe legen in Prenzlauer Berg zurzeit einen unterirdischen Abwasser-Staukanal an. Dabei stießen Arbeiter auf Teile einer ehemaligen DDR-Grenzanlage: eine Panzersperre und den Einstieg in einen Fluchttunnel. Nicht nur für Archäologen ein Fund, am dem Herzblut hängt.

Von Manfred Götzke | 18.01.2018
    Archäologe Torsten Dressler vor DDR-Fahrzeugsperre
    Archäologe Torsten Dressler vor der DDR-Fahrzeugsperre, die bei Grabungen in Prenzlauer Berg gefunden wurde. Ein Fluchttunnel wurde ebenfalls entdeckt. (Deutschlandradio / Manfred Götzke)
    Mit Helm und gelber Sicherheitsjacke steht Polier Roger Ogorek am Rande einer Baugrube am Mauerpark in Berlin-Prenzlauer Berg. Einen knappen Meter unter ihm ragen Ruinen eines Gebäudes aus dem schlammigen Erdboden, daneben eine Betonplatte vier Mal fünf Meter groß.
    "Da ist der Fluchttunnel."
    Seit Wochen legen Ogorek und seine Kollegen genau da, wo bis vor gut 28 Jahren die Berliner Mauer stand, den Boden frei. Die Berliner Wasserbetriebe wollen hier einen unterirdischen Abwasser-Staukanal anlegen. Im Dezember hat Ogorek an dieser Stelle ein besonderes Objekt der deutschen Geschichte freigelegt:
    "Entdeckt hab' ich beim Baggern diese Panzersperre. Was wir wissen, dass die aufgestellt wurde, weil man gerne von der Eberswalder Straße gerne mit 'nem LKW durchbrechen wollte, Richtung Westberlin, wo die Mauer noch nicht so fest befestigt war."
    Aus der Betonplatte ragen noch rostige Stümpfe von Profilstahlträgern – die letzte Barriere vor der Mauer. Doch die Betonplatte allein ist es nicht, die diesen Ort auszeichnet, erzählt der Archäologe Torsten Dressler:
    "Hier haben wir gleich mehrere Sachen von der Grenzanlage freigelegt. Einmal eine Fahrzeugsperre, das Betonbett mit den einbetonierten Höckersperren. Auf der anderen Seite der Einstieg von einem Fluchttunnel. Also beides: Verhinderung der Flucht und tatsächliche Flucht."
    Der ehemalige Fluchttunnel, heute verfüllt mit dunkelgrauem Sand
    Als die Wasserbetriebe die Anlage freigelegt hatten, holten sie den Archäologen dazu. Die Berliner Mauer ist sein Spezialgebiet. Heute ist er hier, weil die Fahrzeugsperre wegen der Bauarbeiten versetzt werden soll. Um Punkt neun Uhr hebt einen Baukran die 28 Tonnen schwere Platte an, setzt sie 20 Meter von der Baugrube entfernt wieder ab.
    Dressler und ich können nun in die Baugrube hinab steigen. Der 50-jährige Archäologe zeigt auf eine Bodenstelle, die dunkler ist als die Umgebung – der ehemalige Fluchttunnel, heute verfüllt mit dunkelgrauem Sand.
    "Hier war mal der Güterbahnhof und hier war eine Kartoffelgroßhandlung, Gebäude die unmittelbar an der Grenzmauer standen. Sie könnten sich fast die Hand reichen. Die Tunnelgräber auf der Seite und die Grenzposten waren nur ein, zwei Meter auseinander. Der Tunnel ist von Westberlin gegraben worden aus, von dieser Stelle Richtung Ostberlin. Ziel sollte das Wohnhaus auf der anderen Seite sein."
    Ein Kran im ehemaligen Grenzgebiet der DDR am Berliner Mauerpark an einem freigelegten Eingang zu einem Fluchttunnel. 
    Im Vordergrund der freigelegte Eingang zu dem DDR- Fluchttunnel (dpa)
    Im März 1963 eineinhalb Jahre nach dem Mauerbau haben vier junge Männer hier im Kartoffel-Keller begonnen zu graben – 80 Meter in Richtung Osten.
    "Die Tunnelgräber konnten das ideal nutzen. Auf der Ostseite war ein Sichtschutz, damit die Ostberliner nicht in die Grenzanlage gucken konnten, hier waren die Gebäude. Und die Grenzer konnten ja nicht in das Haus reingucken und schon gar nicht unten in den Boden."
    Einer der Westberliner Fluchthelfer wurde von der Stasi erwischt
    Erfolgreich waren die Tunnelgräber mit dem Bau allerdings nicht - einer der Westberliner Fluchthelfer wurde von der Stasi erwischt, als er nach Ostberlin fuhr. Er wurde von der Gruppe als Kurier eingesetzt, um die Kontakte mit den potentiellen DDR-Flüchtlingen herzustellen.
    "Leider hatte er ein Techtelmechtel mit einer verheirateten Frau gehabt, die dummerweise mit einem Grenzoffizier verheiratet war. Die Sache flog auf und für den war das ein Leichtes, das an die Stasi weiter zu geben. Und als der Kurier ein letztes Mal rüberging, um die letzten Absprachen mit den Flüchtlingen zu treffen, wurde er nach dem Grenzübergang festgenommen."
    Die 21 fluchtwilligen Ostberliner wurden allesamt festgenommen und zu ein bis drei Jahren Haft verurteilt, der aufgeflogene Kurier bekam sogar sieben Jahre.
    Wenn die Bauarbeiten in zwei Jahren abgeschlossen sind, soll die Betonplatte wieder hier hin gesetzt werden. Die Gedenkstätte Berliner Mauer will hier ein offenes Museum anlegen, erzählt Archäologe Torsten Dressler. Denn dieses Objekt der Grenzanlage sei einzigartig.
    "Hier komprimiert sich halt alles. Wir haben auf engstem Raum, zehn mal zehn Meter, Grenze, Grenzmauer und die Flucht.
    Reporter: "Also für Sie etwas Besonderes?"
    "Ja, da ist das Herzblut mit dabei!"