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Berlin
Enteignungs-Initiative bringt die Republik zum Diskutieren

Mitte Juni beendet die Berliner Wohnraum-Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" ihre erste Unterschriftensammlung. Es bleiben viele Hürden. Mancher Befürworter sieht den Vorstoß trotzdem schon jetzt als Erfolg - weil er eine grundsätzliche Diskussion angestoßen habe.

Von Sebastian Engelbrecht | 06.06.2019
Protestplakat "Deutsche Wohnen und Co enteignen" an einem Wohnhaus an der Karl-Marx-Allee in Berlin-Friedrichshain.
Protestplakat der Initiative in der Karl-Marx-Allee in Berlin (imago/IPON)
Susanna Raab, Sprecherin der Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen", möchte nicht verraten, wie viele Unterschriften ihre Initiative seit dem 6. April gesammelt hat. Aber sie sagt, dass sie die in Umfragen gemessene Zustimmung der Berlinerinnen und Berliner täglich spürt:
"Wenn wir auf der Straße sind und Unterschriften sammeln, oder wenn wir mit den Mietern in der Deutsche Wohnen reden, dann merken wir, das ist genau die richtige Forderung zu genau der richtigen Zeit. Die Menschen sagen: Sie können nicht mehr, und sie wollen vor allem nicht mehr, und sie möchten aktiv werden. Und sie finden: Das ist endlich mal ein Vorschlag, der eine radikale Wende in der Wohnungspolitik herleiten würde."
Am 14. Juni werden die Aktivisten der Enteignungs-Kampagne die Unterschriftenlisten in der Berliner Innenverwaltung abgeben. Über 10.000 Unterschriften haben die Genossen der Berliner Linkspartei bis Ende Mai bereits gesammelt. 20.000 sind im ersten Schritt des Verfahrens nötig.
"Die Reaktionen sind ja schon bemerkenswert"
Die linke Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher unterstützt das Volksbegehren und widerspricht damit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller. Müller ist nicht der einzige, der darauf hinweist, dass die Enteignung aller privaten Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen sehr teuer würde und keinen zusätzlichen Wohnraum schaffen würde.
Katina Schubert, Landesvorsitzende der Linken Berlin mit der Zahl der übergebenen Unterschriften
Die Hälfte der nötigen Unterschriften hatten die Linke Katina Schubert und ihren Mitstreiter schon im Mai zusammen (Sebastian Engelbrecht / Deutschlandradio)
Die Landesvorsitzende der Linken, Katina Schubert, schwärmt jedoch:
"Die Reaktionen überhaupt auf die Volksinitiative bundesweit sind ja schon bemerkenswert. Also dass eine einzelne Volksinitiative in einer einzelnen Stadt, in der ganzen Republik, bis hin in internationale Medien, diskutiert wird, dass diskutiert wird, ob man das darf, das Grundgesetz in Anschlag zu bringen, um die kapitalmarktorientierten Wohnungsunternehmen an die Kandare zu bringen – da hat die Volksinitiative schon eine große Leistung erbracht."
"Man sucht nach Schuldigen für eine Mangelerscheinung"
Das Volksbegehren ist auch in der Zentrale der börsennotierten Deutsche Wohnen im bürgerlichen Westberliner Stadtteil Wilmersdorf ein "dominantes" Thema. Es habe "definitiv" zu Verunsicherungen unter den Mitarbeitern geführt, sagt Unternehmenssprecherin Manuela Damianakis. Für sie ist klar: An den rasant steigenden Mieten in Berlin ist nicht die Wohnungswirtschaft schuld, sondern das Land Berlin. Wohnraum zur Verfügung zu stellen, sei eine politische Aufgabe.
"Es ist ja so, dass diese Diskussion aufgeladen ist und man für eine Mangelerscheinung praktisch nach Schuldigen sucht. Und da ist nun von wesentlichen Teilen der veröffentlichten Meinung, also Initiativen und Teilen der Parteienlandschaft, halt die private Wohnungswirtschaft als Verursacher dieser Probleme auserkoren worden. Das ist dieser Wind, der uns jetzt ins Gesicht pfeift, wo man sogar sagt: Oh, die müssen wir jetzt enteignen."
Verunsichert waren auch die Aktionäre des größten Berliner Vermieters – mit etwa 111.000 Wohnungen allein in Berlin. Im April fielen die Aktienkurse deutlich, haben sich aber im Mai erholt. Die Sorge der Investoren, dass tatsächlich Enteignungen bevorstehen könnten, scheine "nicht besonders groß zu sein", kommentierte die FAZ.
Unterschreiben 180.000 Berliner für ein Volksbegehren?
Ohnehin wird sich das Volksentscheid-Verfahren noch hinziehen. Zunächst wird der Senat die eingereichten Unterschriften unter die Lupe nehmen. Susanna Raab von der Initiative gegen die Deutsche Wohnen:
"Es muss rechtliche Prüfungen geben, es muss überhaupt erst mal gezählt werden: Sind das denn überhaupt genug gültige Unterschriften? All das dauert natürlich sehr lange, und es ist sicherlich auch ein strategisches Mittel, was der Senat in der Hand hat, um solche Initiativen wie uns oder andere auch ein bisschen mürbe zu machen."
Susanna Raab, Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen
"Genau die richtige Forderung zu genau der richtigen Zeit", findet Susanna Raab von der "Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen" (Sebastian Engelbrecht / Deutschlandradio)
Der zweite Schritt hin zum Volksentscheid ist das Volksbegehren. Katina Schubert von der Berliner Linkspartei sieht hier die größte Hürde.
"In der zweiten Stufe brauchen wir noch einmal deutlich mehr, dann brauchen wir ungefähr 180.000 Unterschriften der Berlinerinnen und Berliner für das Volksbegehren, damit es dann, wenn diese zustande kommen, tatsächlich auch mit einem Volksentscheid entschieden werden kann."
Und selbst wenn die Berliner am Ende für die Enteignung aller Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen stimmen sollten – selbst dann kann die Initiative noch scheitern.
"Vergesellschaftung in Berlin gar nicht möglich"
Der Verfassungsrechtler Christian Waldhoff, Professor an der Humboldt-Universität, sieht für die Enteignung in Berlin keine Chance – obwohl sie nach Artikel 15 des Grundgesetzes möglich wäre. Waldhoff hat Ende Mai ein juristisches Gutachten mit dieser Pointe vorgelegt.
"Die besteht darin, dass in Berlin anders als in allen anderen Bundesländern eine Vergesellschaftung gar nicht möglich ist, weil sich der Berliner Verfassungsgeber 1995 nachweisbar und bewusst dafür entschieden hat, keine Vergesellschaftung zuzulassen."
Waldhoff erstellte sein Gutachten im Auftrag der Hilfswerk-Siedlung, einem evangelischen Wohnungsunternehmen mit 4.500 Wohnungen in Berlin. Geschäftsführer Jörn von der Lieth sorgt sich, dass auch sein Unternehmen von der Enteignung betroffen sein könnte. Dabei sei doch das Unternehmensziel, "sozial verantwortbare Wohnraumversorgung" sicherzustellen.
"Ich glaube das kirchliche Eigeninteresse ist tatsächlich, Gutes zu tun. Tätige Fürsorge, tätige Nächstenliebe."
Anders als bei der Deutsche Wohnen dienen die Gewinne der Hilfswerksiedlung nicht dazu, die Rendite von Aktionären zu erhöhen.
"Die werden nicht ausgeschüttet, sondern sie bleiben in der Gesellschaft und werden dazu genutzt, Wohnungsinstandhaltung zu machen, neu zu bauen, neu zu kaufen, energetische Sanierungen zu machen oder sich auch um ökologische Themen zu kümmern, wie zum Beispiel Wald zu kaufen, um Teil des CO2-Verbrauchs, den wir in unseren Wohnungen natürlich haben, auszugleichen."
Deutschen Wohnen - zu sehr auf den Kapitalmarkt geblickt?
Auch aus diesem Grund könne die Hilfswerksiedlung nicht enteignet werden, meint der Verfassungsrechtler Christian Waldhoff.
"Das Ergebnis ist, dass dieses Unternehmen nicht vergesellschaftet werden kann, weil es unverhältnismäßig wäre. Die Ziele der Vergesellschaftung werden ohnehin schon mustergültig erfüllt. Und da es dann trotzdem ein Eingriff sowohl in die Eigentumsfreiheitsgarantie als auch in die Religionsfreiheit wäre, wäre die Vergesellschaftung klar verfassungswidrig."
Übergabe der Unterschriften der Linkspartei an die Enteignungs-Aktivisten Ende Mai
Enteignung-Befürworter berufen sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Das sei aber in Berlin nicht einfach, sagen manche Juristen mit Blick auf die Berliner Verfassung. (Sebastian Engelbrecht / Deutschlandradio)
Dieses Argument könnte börsennotierte Unternehmen wie die Deutsche Wohnen am Ende nicht retten. Sprecherin Manuela Damianakis weiß, dass juristische Gutachten im Enteignungsstreit nicht ausreichen werden und dass die Wohnungsgesellschaft etwas für ihren öffentlichen Ruf tun muss. Man habe in der Vergangenheit zu sehr auf den Kapitalmarkt geblickt und zu wenig in der Öffentlichkeit Präsenz gezeigt, sagt sie.
"In Teilen hat die Deutsche Wohnen der Stadtgesellschaft den Rücken zugedreht. Und das ändern wir. Das ist viel Arbeit, da muss man sich hinstellen, muss in Einzelgespräche gehen, aber genau das passiert."
Und tatsächlich: Am 11. Juni will der Vorstandvorsitzende der Aktiengesellschaft, Michael Zahn, beim Leserforum der "Berliner Morgenpost" mit einem Enteignungsaktivisten und einem Linken-Politiker diskutieren.