Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv

Berlin Graphic Days
Auf Kriegsfuß mit dem Establishment

Jim Avignon ist einer der bekanntesten deutschen Pop-Art-Künstler. Jetzt ist er das Aushängeschild der Berlin Graphic Days, wo am Wochenende Straßenkünstler, Illustratoren, Drucker und Grafiker aus aller Welt ihre Arbeiten zeigen und vor allem verkaufen wollen.

Von Monika Hebbinghaus | 30.01.2015
    Der Künstler Jim Avignon hat auf dem Innenhof des Tagesspiegels am 21.06.2014 in Berlin ein Wandbild gemalt.
    Der Künstler Jim Avignon hat auf dem Innenhof des Tagesspiegels am 21.06.2014 in Berlin ein Wandbild gemalt. (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    "Das ist eine Art Karneval der Mobiltelefone, die im Prinzip die Herrschaft über den Menschen übernommen haben."
    Auf Strümpfen huscht Jim Avignon über den Dielenboden seines Wohnzimmers und entrollt zwischen Sofa und Ikearegal die Bilder, an denen er gerade arbeitet.
    "So ein bisschen fast ein sadomasochistisches Ensemble. Das eine Telefon schwingt die Peitsche und reitet auf einem am Boden knienden Typen, der dem anderen Telefon das Bein abschleckt."
    Politisch und poppig
    Avignons leichtfüßiger Witz hält das Thema in der Schwebe. Dabei ist es ihm ernst mit seiner Kritik am Wahn der Dauerkommunikation. Avignons Bilder sind politisch und poppig, manche verspielt wie Kinderzeichnungen, andere zeigen düstere Gestalten, die grinsenden Münder voller Reißzähne. Humor ist ihm wichtig.
    "Ohne Humor ließen sich viele Dinge gar nicht darstellen. Oder sie wären so frustrierend, dass sie eigentlich nicht machbar wären - zumindest für mich nicht. Ich will die Betrachter meiner Bilder ja auch mit einem positiven Gefühl aus meinen Ausstellungen entlassen - obwohl sie über schwere Dinge nachdenken."
    Billige Kunst für jeden erschwinglich
    Wenn ihn jemand bittet, bemalt Avignon auch Wände, aber eigentlich ist ihm Papier genauso lieb, oder einfach Pappe. "Cheap Art" nennt er das, billige Kunst, jeder soll sie sich leisten können. Überhaupt werde Pappe unterschätzt, meint er. Er hat dem Material sogar ein Lied gewidmet.
    Jahrelang war Avignon der Haus- und Hofkünstler der Technoszene, machte Bühnenbilder für DJ-Sets, malte an einem Abend einen ganzen Club an. Schnelligkeit ist Teil seiner Kunst. Schließlich traute er sich, selbst Musik zu machen. "Neoangin" heißt seine Ein-Mann-Heimelektronik-Band, auch seine Konzerte sind Pop-Art: Zum Leben erweckte Cartoons.
    "Ich hab Bühnenbilder, meist noch in mehreren Ebenen mit vorgebauten Sachen, ich trag die Masken.... Es ist am Anfang, als würde man einen Clip auf Youtube sehen, und dann realisiert man aber, ich bin tatsächlich live da drin. Singe auch, spiele Instrumente. Nicht jedermanns Fall."
    Witz, Coolness, Massen-Appeal
    Auf Kriegsfuß mit dem Establishment zu stehen, ist das Markenzeichen von Jim Avignon. Und dafür liebt ihn das Establishment wiederum. Sein Witz, seine Coolness, sein Massen-Appeal - davon will auch die Wirtschaft ein Stück. Und so hat Avignon im Auftrag einer Airline schon Flugzeuge bemalt oder Uhren entworfen. Gleichzeitig ärgert es ihn, wenn Street Art von Unternehmen vereinnahmt wird. Ein Widerspruch, den er nicht auflöst.
    "Es ist eines der tragischen Elemente der Kulturgeschichte, dass der Kapitalismus in der Lage ist, so gut wie jede Sache, die passiert, auf ihre Möglichkeiten abzuklopfen und zu umarmen und sich untertan zu machen. Inzwischen kann man bei jeder zweiten bemalten Hauswand nicht mehr sicher sein, ob das eine Auftragsarbeit für irgend eine Werbung ist. Jeder zweite Werbespot hat irgendwo ein Street Art Motiv, oder jemand, der da gerade an der Wand was malt oder sprayt oder klebt."
    Neue Künstlergeneration
    Das nervt. Und so schätzt Jim Avignon eine Veranstaltung wie die Berlin Graphic Days - weil hier eine neue Künstlergeneration versucht, einen anderen Weg zu gehen. Keine Anbiederung an die Industrie, kein Klinkenputzen bei Galerien, keine unmoralischen Preise. Und keine Hemmschwellen für die Besucher. Das hat auch etwas Befreiendes, sagt er.
    "Da reiht sich Tisch an Tisch, und dahinter stehen Street Art Künstler, auch viele Drucker, auch viele Zeichner, die dann im Prinzip wühltischartig ihre Zeichnungen ausstellen. Wahnsinnig großer Andrang, man sieht tatsächlich das Bedürfnis der breiteren Masse, sich so etwas anzuschauen, und sich dann aber auch für zwanzig, dreißig, vierzig Euro Arbeiten zu kaufen."
    Endlich nicht mehr unbezahlt zu arbeiten - für viele junge Künstler ist das der Reiz und das Versprechen der Graphic Days. Ob das, was hier verkauft wird, immer die Klasse und Originalität eines Jim Avignon hat, ist offen.