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Berlin in Europa

Als im November 1989 die Berliner Mauer fiel, trafen West- und Osteuropa in der neuen, alten Hauptstadt aufeinander. Der polnische Journalist und Botschafter Wojciech Pomianowski erinnert sich an das Geschehen. Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster berichten.

    Die polnische Botschaft liegt ganz im Westen Berlins. In einer alten Villa im noblen Stadtteil Grunewald. Im Salon der Botschaft sitzt Wojciech Pomianowski und gießt sich eine Tasse Tee ein. Dann erinnert sich der stellvertretende Botschafter an den Fall der Mauer. Damals arbeitet er als Journalist in Warschau und berichtet über einen Staatsbesuch:

    "Das war der erste Tag des Besuchs in Warschau von Bundeskanzler Helmut Kohl. Er kam und als er die Botschaft bekam, dass die Mauer fiel, hat er sich entschieden, am nächsten Tag nach Deutschland zu reisen."

    Kohl unterbricht seinen Staatsbesuch für 24 Stunden, reist nach Berlin und kehrt zurück nach Warschau. Dort warten die Journalisten, aber auch die polnische Öffentlichkeit auf eine Erklärung zur Oder-Neiße-Grenze. Vergeblich.

    "Was keine Befürchtungen, aber doch gewisse Irritationen geweckt hat, war dieser Eiertanz mit der Oder-Neiße-Grenze."

    Pomianowski schüttelt den Kopf. Ein monatelanges Tauziehen beginnt. Erst die Zwei-plus-vier-Verhandlungen im Sommer 1990 und der deutsch-polnische Grenzvertrag im November des selben Jahres bringen Klarheit. Da arbeitet Wojciech Pomianowski schon als Korrespondent in Berlin. Mit Wohnsitz in der Karl Marx-Allee.

    "Halbes Jahr zu spät - natürlich, aber rechtzeitig, um die spannende Zeit vor der Einheit, nach der Einheit mitzuerleben. Das war wirklich die spannenste Zeit meines Lebens. meiner journalistischen Tätigkeit."

    Seine Lieblingsgeschichte damals? Der studierte Journalist und Germanist muss nicht lange überlegen. Es ist eine sehr kurze Geschichte, sagt der 57-Jährige. Sie beginnt damit, dass er den bekannten polnischen Oppositionellen Adam Michnik durch Berlin führt. Auf dem Mauerweg.

    "Und wir haben auf diesem Wege auch eine Kneipe gefunden, die sich im ehemaligen Wachturm in Kreuzberg befand und haben damals bei roten Wein - hieß in dieser Kneipe 'Breschenews Blut' oder sowas - überlegt, wie weit sind wir schon von diesen Erlebnissen, von der Mauer, der Unterdrückung entfernt. Wobei das sehr nahe war, zeitlich gelegen."

    "Wahnsinn", sagt Pomianowski. Aus dem verfolgten Oppositionellen Michnik war eine politische Lieblingsfigur geworden. Auf dem ehemaligen Todesstreifen, konnte man Wein trinken. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich alles verändert. Und heute?

    "Sicher kann man nicht immer in Aufbruchstimmung leben. Das kenne wir in Polen aus der Solidarnosc-Zeit 1980 und 1981. Nach jedem Aufbruch muss eine Phase der Beruhigung kommen, die manchmal auch langweilig werden kann, wobei das in Berlin nie langweilig war."

    Pomianowski bleibt - mit Unterbrechungen - in Berlin. Verfolgt als Korrespondent den Hauptstadtbeschluss, dann den Regierungsumzug der Regierung. Auch er selbst wechselt: vom Korrespondenten zum Diplomaten, in Berlin, dem Labor für das Zusammenwachsen von Ost und West.

    "Es ist auch ein Treffpunkt von Ost und West. Berlin ist wirklich ein Werkstatt der Deutschen und auch natürlicherweise europäischen Einheit. Die Grenzen sind gefallen, die Polen, die Russen, Tschechen, Ungarn können reisen, wohin sie möchten. Die Wessis haben auch Interesse am gegenseitigen Kennenlernen, Berlin ist der beste Treffpunkt dafür."


    Programmtipp: "Gesichter Europas", 10. November, 11.05 Uhr: "Osteuropäer in Berlin - Erinnerung an den Fall der Mauer"