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Berlin
Kopftuchstreit in Neukölln

Eine muslimische Berlinerin türkischer Herkunft möchte ihr juristisches Referendariat beim Bezirksamt Neukölln in Berlin machen. Weil sie ein Kopftuch trägt, will das Bezirksamt erst überprüfen, ob das rechtlich möglich ist. Ohne das Ergebnis abzuwarten, geht die junge Juristin in die Offensive.

Von Kemal Hür | 10.06.2015
    Eine junge Frau mit Kopftuch, die Klägerin, läuft am 24.09.2014 in Erfurt (Thüringen) am Behördenschild mit der Aufschrift "Bundesarbeitsgericht" vorbei.
    Im März hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss das pauschale Kopftuchverbot für Lehrerinnen für verfassungswidrig erklärt. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Betül Ulusoy trägt ein türkises Kopftuch und einen beige-braunen Anzug. Die 26-Jährige ist in Berlin geboren und hat hier Rechtswissenschaft studiert. Vor ihrem zweiten Staatsexamen wollte die Juristin im Rahmen ihres Referendariats beim Bezirksamt Neukölln arbeiten und fühlte sich wegen ihres Kopftuchs diskriminiert. Denn das Bezirksamt wollte zunächst überprüfen, ob sie mit einem Kopftuch die Stelle antreten darf. Die Entscheidung des Bezirksamtes lautet nun: Ja, sie darf. Ulusoy ist erleichtert.
    "Na, das ist zumindest geltendes Recht in Berlin, und das wird eben angewandt. Und vorher war das eben unklar, ob das Bezirksamt überhaupt geltendes Recht anwenden möchte und nicht eher nach persönlichem Empfinden keine Kopftuchträgerin in seinem Amt haben will. Das war so meine Befürchtung."
    Wohl wegen dieser Befürchtung wartete Ulusoy die Überprüfung des Bezirksamtes nicht ab, sondern sie wandte sich an die Presse und ließ verbreiten, das Bezirksamt habe ihr zuerst zugesagt. Nachdem der Leiter des Rechtsamtes sie aber mit dem Kopftuch gesehen habe, habe er die Zusage zurückgenommen. Die Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey widerspricht dieser Darstellung. Das Bezirksamt habe zu keiner Zeit Betül Ulusoy eine Absage erteilt, beteuert Giffey.
    "Sie hat keine definitive Zusage erhalten, sondern lediglich die Aussage, dass es die Möglichkeit gibt, weil ein Platz frei ist und dass sie mit ihren Unterlagen bei uns vorbeikommen soll. Das hat sie auch getan. Und ihr wurde einen Tag später dann mitgeteilt, dass aufgrund der Tatsache, dass sie Kopftuch trägt, diese Frage geprüft werden muss. Wie wir damit umgehen, welche Aufgaben erfolgen können und wie ihr Einsatz hier dann entsprechend passiert."
    Viel Lärm um nichts, könnte man meinen. Doch so einfach ist es nicht. Im März hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss das pauschale Kopftuchverbot für Lehrerinnen für verfassungswidrig erklärt. Seitdem prüft das Land Berlin, ob und wie das Berliner Neutralitätsgesetz überarbeitet werden muss. Nach diesem seit 2005 geltenden Gesetz ist das Tragen von religiösen Symbolen in Schulen, bei der Polizei und Justiz verboten. Das Land Berlin müsse Rechtsklarheit schaffen, fordert Bezirksbürgermeisterin Giffey.
    "Ich finde es richtig, dass hoheitliche Aufgaben nicht mit religiösen Symbolen verknüpft werden und dass an dieser Stelle, wo der Staat hoheitlich auftritt, die Neutralität des Glaubensbekenntnisses auch gültig sein sollte. Dieses ist in der Tat zu prüfen auf Landesebene. Und hier ist die Rechtsgrundlage noch nicht gegeben.!
    Das Bezirksamt hat nun mit Beteiligung aller Dezernenten entschieden: Betül Ulusoy darf beim Rechtsamt die gewünschte Stelle antreten, aber sie darf keine hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Das heißt, sie darf in der Amtsstube Rechtsgutachten schreiben, aber sie darf den Bezirk zum Beispiel bei Gericht nicht vertreten. Ulusoy ist zurzeit beim Berliner Kammergericht als Referendarin angestellt. Auch dort ist sie vertraglich von hoheitlichen Aufgaben entbunden. Diese Regelung übernimmt das Bezirksamt Neukölln und bietet ihr an, ab dem 1. Juli ihre Stelle anzutreten. Ulusoy aber möchte die Frage, ob sie die Stelle annehmen möchte, nicht beantworten.
    "Ich möchte auf jeden Fall das persönliche Gespräch mit Frau Giffey noch mal suchen und gerne auch nochmal mit ihr sprechen."
    Warum sie das nicht getan hat, bevor sie die Presse über eine angebliche Absage informiert hat, darüber ist Franziska Giffey irritiert.
    "Es ist wichtig, dass dieses Thema im Land Berlin auf die Tagesordnung kommt. Insofern war die Debatte nicht umsonst. Aber es ist für mich natürlich enttäuschend, wenn sich dann herausstellt, dass jemand eine Debatte, eine Kampagne vielleicht losgetreten hat, ohne tatsächlich bei uns arbeiten zu wollen."
    Betül Ulusoy, die in ihrem Blog und in der Öffentlichkeit das Kopftuch vehement verteidigt, sagt, es ginge ihr nicht nur um ihre Person, sondern auch um die allgemeine Debatte um das Kopftuch.
    "Ich erhoffe mir zumindest einen gesellschaftlichen Diskurs darüber, wie wir damit umgehen auch in Zukunft vor allem auch mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, das ja ganz klar gesagt hat, Neutralität und Kopftuch widersprechen sich nicht. Und ich finde, darüber man in Berlin auch diskutieren und schauen, inwiefern man das umsetzt auf Landesebene."