SED-Chef Walter Ulbricht vor Berliner Partei-Kadern am Abend des 16. Juni 1953 im Friedrichstadt-Palast. Unter den Zuhörern ist auch Käthe Miercke, damals beschäftigt in der Kulturabteilung des DDR-Außenministeriums.
Miercke:... Am Ende der Veranstaltung sagte Paul Verner fast wörtlich: Ich bitte Euch, den Heimweg nicht allein, sondern möglichst in Gruppen anzutreten. Sie streichen auf ihren chromblitzenden Fahrrädern um den Friedrichstadt-Palast herum wie die Schwälbchen vor dem Regen.
Das SED-Regime steht schwer unter Druck nach einem Tag, wie ihn Ost-Berlin seit Gründung der DDR noch nicht erlebt hat.
O-Ton RIAS:... Heute demonstrierte Ost-Berlin. Zuerst nur die Bauarbeiter von der Stalinallee, andere Arbeiter schlossen sich an.
Der deutsch-amerikanische Rundfunk-Sender RIAS, ebenfalls am Abend des 16. Juni.
O-Ton RIAS:Sie riefen: Wir fordern Normen- und Preissenkungen. HO macht uns k.o. Sie riefen: Wir fordern freie Wahlen. Weg mit der SED-Regierung
Die Ingenieur-Studentin Ingeborg Prowatschker hat schon morgens registriert, wie sehr es unter den Bauarbeitern in der Stalinallee gärt.
Prowatschker: Wir sahen an den Baustellen Gruppen von Arbeitern, die noch in ihrer Maurerkleidung lautstark auf den Staat schimpften. Das fanden wir ungewöhnlich, weil sonst immer nur im Geheimen protestiert wurde, doch wir dachten uns, dass sie vielleicht keine Prämie bekommen hätten oder betrunken wären.
Wachtmann: Es war irgendwie eine Unruhe zu spüren gewesen, denn sonst gingen die Bauarbeiten ja ziemlich zügig voran.
Marianne Wachtmann wohnt in unmittelbarer Nähe der Baustellen in der Stalinallee
Wachtmann: Dann steigerte sich das mit den Diskussionen und die Leute, die sich da angesammelt hatten, wurden immer mehr.
Springstubbe: Am 16. wurden gegen 11 Uhr die Mischmaschinen angehalten, man hat sich formiert, ist zum in der Nähe liegenden Krankenhaus Friedrichshain gezogen.
Der Maurerlehrling Harry Springstubbe vom Block 40 der Stalinallee.
Springstubbe: Dort stand man telefonisch in Kontakt mit den Kollegen dort und hat sich dort vereinigt. Und ist dann über den Alexanderplatz Richtung Potsdamer Platz zum Regierungsgebäude gezogen mit Parolen: wir sind Arbeiter und keine Sklaven. Wir lassen uns nicht länger ausbeuten.
Zu den Demonstranten gehört auch der Maurer Berthold Falkenthal
Falkenthal:In der Höhe vom Alex standen zwei bis drei Verkehrspolizisten und wollten uns den Durchgang verwehren. Diese wurden untergehakt und mussten wider Willen mitmarschieren.
Hartung:Also es waren keine rebellierenden wüsten Chaoten oder so was, sondern es waren Arbeitervertreter, die eben um ihre Rechte kämpften, das durchsetzen wollten.
Der Regierungsangestellte Martin Hartung trifft auf den Zug der Bauleute.
Hartung:Der Demonstrationszug ging genau unter den Linden lang und bog am Brandenburger Tor ein. Sie wollten ja zu Grotewohl in die Leipziger Straße, in das Haus der Ministerien.
Vor dem Regierungsgebäude beobachtet der Journalist Lutz Rackow die Demonstration der Arbeiter.
Rackow:Dort vor dem Eingang geht es schon hoch her. Jetzt haben sich auch mehr Menschen eingefunden. Ein Zimmermann steht auf einem Tisch und redet. Eine Szene, wie sie später in den Film mit Manfred Krug als Brigadier Balla gepasst hätte.
Hartung:Da hieß es dann, Grotewohl ist nicht da. Dann hieß es: Dann wollen wir Fritze. Soll Fritze kommen.
Rackow:Plötzlich erscheint Fritz Selbmann, Minister für die Schwerindustrie, roter Spanienkämpfer, gewiss nicht feige.
Auch der Regierungsangestellte Georg Scheller beobachtet den Versuch des Ministers, mit den Arbeitern zu sprechen.
Scheller:Und da war ein Tisch aufgebaut vor dem Haupteingang und da stieg er rauf. Er kam überhaupt nicht zum Reden. Die Bauarbeiter haben den so ausgepfiffen.
Hartung:Der Schlusssatz war so ungefähr: Ich kann Euch versprechen, wir werden das Problem lösen. Bitte geht jetzt nach Hause.
Hartung:Auch was Selbmann zu sagen weiß, scheint bei seinen Zuhörern keinen Eindruck zu machen. Er hat weder ein Mikro noch ein Megafon dabei. Einer wischt ihn alsbald mit dem Ellebogen beiseite.
Springstubbe: In dem Moment schlug dieser Arbeitskampf in eine politische Bewegung um, die ja gar nicht denkbar war, dass man so etwas in der DDR hätte organisieren können.
Falkenthal: Dann hieß es plötzlich, dass die Normenerhöhung zurückgenommen werde. Da die Bauarbeiter so erbost waren über die Hinhaltetaktik der Regierung, jagte man die Besatzung der Lautsprecherwagen raus. Es bestiegen Zimmerleute von unsrem Betrieb die Wagen und forderten alle Werktätigen zum Generalstreik auf.
Rackow: Ein Anführer gibt eine neue Parole aus und die Versammlung formiert sich wieder zu einem wandernden Haufen, der in die gegenüberliegende Wilhelmstraße einbiegt.
Vor dem Polizeipräsidium am Alexanderplatz kommt es zu einer Kraftprobe mit der Staatsmacht
Rackow:Die Scherengitter am Tor des Vopo-Hauptquartiers sind geschlossen. Vor dem Gebäude macht die Menge Rabatz. Da öffnet sich blitzschnell das Gitter einen Spalt und zwei Demonstranten werden ins Haus gezerrt.
Schnell ging das starke Eisengitter runter.
Rudolf Neuwald, einer der Demonstranten.
Neuwald: Pflastersteine flogen gegen das Gebäude. Wir riefen: Gebt sofort unsere Kollegen frei, sonst stürmen wir das Polizeigebäude und setzen es in Brand. Das Unglaubliche geschah. Das Eisengitter ging hoch und die gefangenen Kollegen waren frei.
Der Maurerlehrling Harry Springstubbe hat den Demonstrationszug schon am Nachmittag verlassen.
Springstubbe: Mir fiel die Aufgabe zu, zum RIAS Berlin zu fahren und dort über den Rundfunk zum Generalstreik aufrufen zu lassen. Und das habe ich auch getan.
O-Ton RIAS: Wir bereits um 18.30 kurz gemeldet, erschien heute Nachmittag eine Delegation der Demonstranten im RIAS. Die Delegation bestand aus zwei Arbeitern und einer Angestellten
Aber der Leitung des Senders geht die Forderung der Arbeiter mit Blick auf die prekäre politische Lage in Berlin zu weit.
Springstubbe: Dann haben sie beschlossen, nicht zum Generalstreik aufzurufen, sondern es als Nachricht zu bringen. die kam um 22 Uhr und die lautete: Die Bauarbeiter der Stalinallee haben beschlossen, morgen zum Generalstreik aufzurufen. Treffpunkt ist Strausberger Platz 7 Uhr
Miercke:... Am Ende der Veranstaltung sagte Paul Verner fast wörtlich: Ich bitte Euch, den Heimweg nicht allein, sondern möglichst in Gruppen anzutreten. Sie streichen auf ihren chromblitzenden Fahrrädern um den Friedrichstadt-Palast herum wie die Schwälbchen vor dem Regen.
Das SED-Regime steht schwer unter Druck nach einem Tag, wie ihn Ost-Berlin seit Gründung der DDR noch nicht erlebt hat.
O-Ton RIAS:... Heute demonstrierte Ost-Berlin. Zuerst nur die Bauarbeiter von der Stalinallee, andere Arbeiter schlossen sich an.
Der deutsch-amerikanische Rundfunk-Sender RIAS, ebenfalls am Abend des 16. Juni.
O-Ton RIAS:Sie riefen: Wir fordern Normen- und Preissenkungen. HO macht uns k.o. Sie riefen: Wir fordern freie Wahlen. Weg mit der SED-Regierung
Die Ingenieur-Studentin Ingeborg Prowatschker hat schon morgens registriert, wie sehr es unter den Bauarbeitern in der Stalinallee gärt.
Prowatschker: Wir sahen an den Baustellen Gruppen von Arbeitern, die noch in ihrer Maurerkleidung lautstark auf den Staat schimpften. Das fanden wir ungewöhnlich, weil sonst immer nur im Geheimen protestiert wurde, doch wir dachten uns, dass sie vielleicht keine Prämie bekommen hätten oder betrunken wären.
Wachtmann: Es war irgendwie eine Unruhe zu spüren gewesen, denn sonst gingen die Bauarbeiten ja ziemlich zügig voran.
Marianne Wachtmann wohnt in unmittelbarer Nähe der Baustellen in der Stalinallee
Wachtmann: Dann steigerte sich das mit den Diskussionen und die Leute, die sich da angesammelt hatten, wurden immer mehr.
Springstubbe: Am 16. wurden gegen 11 Uhr die Mischmaschinen angehalten, man hat sich formiert, ist zum in der Nähe liegenden Krankenhaus Friedrichshain gezogen.
Der Maurerlehrling Harry Springstubbe vom Block 40 der Stalinallee.
Springstubbe: Dort stand man telefonisch in Kontakt mit den Kollegen dort und hat sich dort vereinigt. Und ist dann über den Alexanderplatz Richtung Potsdamer Platz zum Regierungsgebäude gezogen mit Parolen: wir sind Arbeiter und keine Sklaven. Wir lassen uns nicht länger ausbeuten.
Zu den Demonstranten gehört auch der Maurer Berthold Falkenthal
Falkenthal:In der Höhe vom Alex standen zwei bis drei Verkehrspolizisten und wollten uns den Durchgang verwehren. Diese wurden untergehakt und mussten wider Willen mitmarschieren.
Hartung:Also es waren keine rebellierenden wüsten Chaoten oder so was, sondern es waren Arbeitervertreter, die eben um ihre Rechte kämpften, das durchsetzen wollten.
Der Regierungsangestellte Martin Hartung trifft auf den Zug der Bauleute.
Hartung:Der Demonstrationszug ging genau unter den Linden lang und bog am Brandenburger Tor ein. Sie wollten ja zu Grotewohl in die Leipziger Straße, in das Haus der Ministerien.
Vor dem Regierungsgebäude beobachtet der Journalist Lutz Rackow die Demonstration der Arbeiter.
Rackow:Dort vor dem Eingang geht es schon hoch her. Jetzt haben sich auch mehr Menschen eingefunden. Ein Zimmermann steht auf einem Tisch und redet. Eine Szene, wie sie später in den Film mit Manfred Krug als Brigadier Balla gepasst hätte.
Hartung:Da hieß es dann, Grotewohl ist nicht da. Dann hieß es: Dann wollen wir Fritze. Soll Fritze kommen.
Rackow:Plötzlich erscheint Fritz Selbmann, Minister für die Schwerindustrie, roter Spanienkämpfer, gewiss nicht feige.
Auch der Regierungsangestellte Georg Scheller beobachtet den Versuch des Ministers, mit den Arbeitern zu sprechen.
Scheller:Und da war ein Tisch aufgebaut vor dem Haupteingang und da stieg er rauf. Er kam überhaupt nicht zum Reden. Die Bauarbeiter haben den so ausgepfiffen.
Hartung:Der Schlusssatz war so ungefähr: Ich kann Euch versprechen, wir werden das Problem lösen. Bitte geht jetzt nach Hause.
Hartung:Auch was Selbmann zu sagen weiß, scheint bei seinen Zuhörern keinen Eindruck zu machen. Er hat weder ein Mikro noch ein Megafon dabei. Einer wischt ihn alsbald mit dem Ellebogen beiseite.
Springstubbe: In dem Moment schlug dieser Arbeitskampf in eine politische Bewegung um, die ja gar nicht denkbar war, dass man so etwas in der DDR hätte organisieren können.
Falkenthal: Dann hieß es plötzlich, dass die Normenerhöhung zurückgenommen werde. Da die Bauarbeiter so erbost waren über die Hinhaltetaktik der Regierung, jagte man die Besatzung der Lautsprecherwagen raus. Es bestiegen Zimmerleute von unsrem Betrieb die Wagen und forderten alle Werktätigen zum Generalstreik auf.
Rackow: Ein Anführer gibt eine neue Parole aus und die Versammlung formiert sich wieder zu einem wandernden Haufen, der in die gegenüberliegende Wilhelmstraße einbiegt.
Vor dem Polizeipräsidium am Alexanderplatz kommt es zu einer Kraftprobe mit der Staatsmacht
Rackow:Die Scherengitter am Tor des Vopo-Hauptquartiers sind geschlossen. Vor dem Gebäude macht die Menge Rabatz. Da öffnet sich blitzschnell das Gitter einen Spalt und zwei Demonstranten werden ins Haus gezerrt.
Schnell ging das starke Eisengitter runter.
Rudolf Neuwald, einer der Demonstranten.
Neuwald: Pflastersteine flogen gegen das Gebäude. Wir riefen: Gebt sofort unsere Kollegen frei, sonst stürmen wir das Polizeigebäude und setzen es in Brand. Das Unglaubliche geschah. Das Eisengitter ging hoch und die gefangenen Kollegen waren frei.
Der Maurerlehrling Harry Springstubbe hat den Demonstrationszug schon am Nachmittag verlassen.
Springstubbe: Mir fiel die Aufgabe zu, zum RIAS Berlin zu fahren und dort über den Rundfunk zum Generalstreik aufrufen zu lassen. Und das habe ich auch getan.
O-Ton RIAS: Wir bereits um 18.30 kurz gemeldet, erschien heute Nachmittag eine Delegation der Demonstranten im RIAS. Die Delegation bestand aus zwei Arbeitern und einer Angestellten
Aber der Leitung des Senders geht die Forderung der Arbeiter mit Blick auf die prekäre politische Lage in Berlin zu weit.
Springstubbe: Dann haben sie beschlossen, nicht zum Generalstreik aufzurufen, sondern es als Nachricht zu bringen. die kam um 22 Uhr und die lautete: Die Bauarbeiter der Stalinallee haben beschlossen, morgen zum Generalstreik aufzurufen. Treffpunkt ist Strausberger Platz 7 Uhr