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Berlin Wedding
Kostenmiete als Renditegarantie - trotzdem legal

Eine Kostenmiete kann ein Vermieter verlangen, wenn für eine Sozialwohnung die Anschlussförderung ausgelaufen ist. Eigentlich ist sie etwas Mieterfreundliches - doch in Berlin ist sie zu einer Renditegarantie für Eigentümer geworden und führt mitunter zu hohen Mieten.

Von Anja Nehls | 18.11.2015
    Die einfachen hellen und stellenweise bereits etwas dreckigen Wohnblöcke mitten im sozial schwachen Wedding sehen nicht aus wie Luxusherbergen, sollen aber ab sofort soviel kosten. Die Miete soll sich kurzerhand verdoppeln. Die Mieter sind fassungslos:
    "Eine Mieterhöhung von sechs auf zwölf Euro, da hat jeder mit dem Kopf geschüttelt, das geht gar nicht. Geht gar nicht. Ja, aber dann hieß es, es geht aber doch. Ich war auch geschockt und habe mich gleich mit ein paar Nachbarn getroffen, die ich gut kannte und wir haben uns am Wochenende hingesetzt und überlegt, was ist das. Und wir haben festgestellt, es ist tatsächlich möglich, weil es ja auch um Kostenmiete geht."
    Bewohner von rund 28.000 Wohnungen
    Die Kostenmiete kann ein Vermieter immer dann verlangen, wenn für eine Sozialwohnung die Anschlussförderung ausgelaufen ist. Das betrifft in Berlin nicht nur die 500 Menschen in der Weddinger Koloniestraße, sondern Bewohner von rund 28.000 Wohnungen. In die Kostenmiete kann der Vermieter alle Kosten hineinrechnen, die ihm mit der Immobilie entstanden sind. Deshalb soll die schwerbehinderten Susanna Troschke aus dem vierten Stock jetzt für ihre 66 Quadratmeter nicht mehr 630, sondern 1.030 Euro bezahlen. Das geht in Berlin nicht mit rechten Dingen zu, sagt Sebastian Jung von der Initiative Mieterstadt Berlin.
    "Die Kostenmiete ist etwas Mieterfreundliches. Nur in Berlin ist sie von einem Mieterschutzinstrument zu einer Renditegarantie für Eigentümer geworden. Letzen Endes hat das Land Berlin schon vor etlichen Jahren Kostenmieten genehmigt, die niemals hätten genehmigt werden dürfen."
    Eine rechtliche Altlast aus der ehemaligen Westberliner Wohnungsbauförderung. Damals seien die Baukosten von Sozialwohnungen wegen attraktiver Steuersparmodelle künstlich in die Höhe getrieben worden. Und noch heute werden sie in dieser Höhe bei der Berechnung der Kostenmieten für Sozialwohnungen zugrunde gelegt. Das weiß man auch in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, sagt Sprecher Martin Pallgen:
    "Das ist in der Tat ein Problem, weil Mieten in Sozialwohnungen höher liegen, als auf dem freifinanzierten Markt. Das kann nicht sein. Dafür sind Sozialwohnungen nicht da. Dort einzugreifen in dieses Kostenmietsystem ist aber sehr komplex."
    Und wird deshalb erstmal aufgeschoben. Dabei wäre eine Lösung eigentlich ganz einfach - und hätte schon beim in der vergangenen Woche in Berlin beschlossenen Wohnraumversorgungsgesetz festgeschrieben werden können, meint Sebastian Jung:
    "Indem man gesetzlich klarstellt, dass der Vermieter nur die Kosten abrechnen darf, die er auch tatsächlich zu tragen hat, dann hätte man ungefähr eine Kostenmiete von sechs bis sieben Euro in diesem Objekt."
    Unglaublich, aber legal
    Und das klinge schon besser als zwölf Euro. Weil 70 Prozent der Mieter in der Koloniestraße ohnehin auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, profitiere damit auch der Steuerzahler. Schöne Idee, meint man auch bei der Senatsverwaltung, und hat immerhin schon mal eine Expertengruppe gegründet, die das Ganze prüft. Der Vermieter der Koloniestraße will nämlich für die Miete auch die Kosten geltend machen, die ihm selber gar nicht entstanden sind. Gekauft hatte er das Objekt für zehn Millionen Euro, berechnet werden aber 32 Millionen, weil es in dieser Höhe in den 80er-Jahren mal finanziert wurde. Unglaublich, aber bis jetzt ist das ganz legal. Für Kristina Schmydarjew, die mit Mann und zwei Kindern jetzt 1.730 Euro bezahlen soll, ist es eine persönliche Katastrophe:
    "Mein Mann ist Berufsanfänger, ich habe mich nicht lange her selbstständig gemacht und bin gerade aus Sozialleistungen rausgekommen. Das geht nicht. Wir überlegen sogar, jemanden bei uns einziehen zu lassen, aber das wird schwierig, weil ich auch von zuhause arbeite."
    Wer die hohe Miete nicht zahlen kann oder will, dem kann gekündigt werden. Der Streit ist jetzt beim Gericht. Es geht darum, ob die Wohnungen in der Koloniestraße überhaupt noch Sozialwohnungen sind oder nicht. Wenn nicht, gilt, das ganz normale System, der ortsüblichen Vergleichsmiete. Die liegt in Berlin bei knapp 5,90 und ist paradoxerweise ein paar Cent niedriger als der durchschnittliche Preis für Sozialwohnungen - und viel niedriger als die sogenannte Kostenmiete von zwölf Euro pro Quadratmeter, die in der Koloniestraße aufgerufen wird. Ausgerechnet da, wo die wirklich sozial Schwachen wohnen.