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Berlinale als Frauenfilmfestival

Frauen seien neben dem osteuropäischen Film das Thema der 63. Berliner Filmfestspiele, so Festivalleiter Dieter Kosslick. Und tatsächlich, sie bestimmen auch die nun beginnende Schlussphase des Wettbewerbs.

Von Christoph Schmitz | 13.02.2013
    Festivalleiter schlagen durch das Dickicht ihrer Programme manchmal vorab ein paar Breschen. Zur leichteren Orientierung des Publikums. Berlinale-Chef Dieter Kosslick tut das besonders gerne. Sein Kinodschungel ist schließlich der größte unter den Festspielen, flächenmäßig betrachtet. Später suchen und finden die cineastischen Dschungelcamper dann ihre eigenen Pfade. In diesem Jahr aber scheint Kosslick eine echte Einflugschneise gebaut zu haben. Frauen seien neben dem osteuropäischen Film das Thema der 63. Berliner Filmfestspiele. Und tatsächlich, so gut wie nur über Frauen findet man in sie hinein, bis in die nun beginnende Schlussphase des Wettbewerbs.

    Mit der starken und ihrem männlichen Gegenpart mindest gleichrangigen Kungfu-Kämpferin Gong Er in Wong Kar Wais Eröffnungsfilm "The Grandmaster" hatte es zeichenhaft begonnen. Dann führte uns Ulrich Seidl durch die Hoffnungen und vor allem Leiden dicker Mädchen in einem Diätcamp. Am nächsten Tag begleiteten wir die deutsche Goldsucherin Emily Meyer in Thomas Arslans Film "Gold" durch die Wildnis Alaskas 1898.

    Doch nachdem die Männer des Trecks alle aufgegeben haben oder gestorben sind, ist es Emily, die möglicherweise als Einzige ihr Ziel erreicht. Am Sonntag erlebten wir im Wettbewerbsbeitrag des Chilenen Sebastián Lelio die knapp 60-jährige Titelheldin Gloria, wie sie nach der Scheidung souverän ihr Arbeits-, Familien- und Sexleben meistert. Der Sonntag überhaupt war durch und durch feminin. Nach Gloria erstritt sich in Guillaume Niclouxs "Die Nonne" die zwangsverklosterte Suzanne ihre Freiheit. Und direkt danach suchten die beiden Lesben und Exzuchthäusler "Vic und Flo" im gleichnamigen Film des Kanadiers Denis Côté ihren Frieden auf dem Land. So und doch immer unterschiedlich ging es weiter bis heute und so wird es vermutlich bis zum Ende des Festivals sein.

    Wobei die Frauen lange nicht immer nur tapfere Heldinnen sind. Herrschsüchtig, hinterhältig, verlogen, grausam können sie sein, wenn sie ihre Interessen durchsetzen wollen. Wie die gealterte Cornelia in "Child’s Pose" des Rumänen Calin Peter Netzer. Diese mit Goldschmuck, Nerz und Hochmut aufgetakelte Cornelia versucht mit allen Bestechungs- und Korruptionstricks der postsozialistischen Bourgeoisie ihren Sohn vor dem Gefängnis zu bewahren. Das war am Montag. Oder wie die ebenso bezaubernde wie skrupellos mordende Emily in Steven Soderberghs "Side Effects", die so lieb tun kann.

    Das war gestern, Dienstag, als auch Juliette Binoche in Bruno Dumonts "Camille Claudel 1915" den Wahn und die Leiden der Künstlerin in der Psychiatrie zeigte. Wenn all diese Frauen nicht psychisch zerbrechen, wie Camille Claudel, dann muss man sich vor ihnen sehr fürchten. Aber wenn sie lieben, dann zeigt niemand mehr Herzblut, wie die bosnische Roma-Mutter Senada heute Morgen. Senada kocht und putzt und sorgt sich um die Kinder und hört nicht auf zu kämpfen, als das Kind in ihrem Bauch tot ist, aber kein Arzt sie operieren will, weil das Geld fehlt. So erzählt es Danis Tanovic in "Eine Episode im Leben eines Schrotthändlers", der seine Senada am Ende rettet.

    Dann musste es auch so kommen, dass das Festival künstlerisch betrachtet nach anfänglich erschreckendem Mittelmaß erst mit einem Frauenfilm, nämlich mit der alten "Gloria" aus Chile am Sonntag an Fahrt gewann. Und "Child’s pose" des Rumänen Calin Peter Netzer mit seinem alten Drachen Cornelia war bislang der ästhetische Höhepunkt des Festivals. Hier kulminierte auch der allgegenwärtige kühle, fast dokumentarische Realismus mit seiner Lakonie, analytischen Schärfe und wackeligen Handkamera. Was aber nicht über manchen Durchhänger der vergangen sieben Tage hinwegtäuschen sollte. Unter ihnen Männer- und Frauenfilme. Und schließlich: So sehr uns das Weibliche auf dieser Berlinale hochgezogen hat, so wenige Regisseurinnen gibt es im Wettbewerb. Nur drei von 19. Da müsste Dieter Kosslick die Schneise noch stark verbreitern. Was schwer sein wird. Denn wie die Filmfestleitung ist auch das Regiefach nach wie vor in Männerhand.

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