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Berlinale
Das Ende des Analogfilms

Die letzten Filmkopierwerke sind pleite und die großen Filmrollen aus Celluloid sind reif für das Filmmuseum. Verdrängt wird der Analogfilm zunehmend vom digitalen Kinofilm. Und so knattern auf der Berlinale die 16- und 35-Millimeter-Projektoren nur noch bei der Retrospektive oder in der ehemaligen Kirche St. Agnes.

Von Andreas Becker |
    In dem engen Vorführraum des Berliner Sputnik Kinos, steht noch einer dieser schön rundlichen Bauer-Projektoren - aus den 60er-Jahren - immer noch startbereit. Flankiert jedoch von zwei eckigen, laut surrenden Klötzen mit Display.
    "Wir haben noch ganz viel in analoge Technik investiert."
    Es ist fast wie im Märchen von der technischen Revolution: Das Pferd bekommt noch sein Gnadenbrot – in diesem Fall eine 35-Millimeter-Rolle mit dem 70er-Jahre Kultfilm "Harold and Maude", aber die digitalen Traktoren laufen längst viel effektiver, so Kinochefin Andrea Stosiek:
    "Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie es heute funktionieren kann noch Filme vorzuführen. Weil, diese Kopie gehört eigentlich nicht dem Verleih, sondern einem Privatmann. Und wir haben vom Verleih, das ist die Paramount, die Rechte den Film vorzuführen gekauft."
    Die beiden, mit Fördergeldern angeschafften Computer-Projektoren, in denen mehrere zehntausend Euro stecken, erzeugen so viel Hitze, dass die 39-jährige Selfmade-Kinofrau auch gleich noch eine teure Klimaanlage einbauen musste. Und natürlich ein nagelneues Audiosystem für ihre zwei kleinen Kinos.
    "Der Digitalton ist ganz anders, hat wesentlich mehr Kraft. Und ich muss gestehen, er ist wirklich auch besser. Beim Bild kann man sich streiten, ob‘s schöner geworden ist, der Ton ist eindeutig besser!"
    Filmdaten brauchen auch Platz
    Jetzt aber ist Frage: Wohin mit den unendlichen Terabyte an Filmdaten? Löschen will sie nicht alles – vor allem nicht die schönen – und sehr erfolgreichen Kinderfilme!
    "Wir haben inzwischen eine Library mit, ich glaube, fünf Terrabite. Wir haben ganz viele externe Festplatten, aber einige Filme sind eben sehr groß. Zum Beispiel 'Der Zauberer von Oz' ist in der 3D-Version geliefert worden – obwohl wir kein 3D spielen – mit 3 bis 400 Gigabyte, oder ich muss mich von meinen Filmen wieder trennen. Das ist das, was meine Vorführer immer fordern: Wir müssen was löschen!"
    Die Berlinale hat für diese Megadatenmengen, Glasfaser-Anschlüsse in ihren Kinos. Das frühere Filmlager des Festivals, einst ein romantischer Hort der Filmrollen aus aller Welt, besteht heute fast nur noch aus Kabelsalat und ein paar Festplatten. Ein externer Dienstleister betreibt riesige Server, auf denen fast alle Berlinale-Filme zwischengespeichert werden. Die Herren über die Technik rasen in den Festivaltagen durch die Kinos der Hauptstadt, ziehen Strippen und decodieren. Doch da gibt es noch ein Problem: In den großen Kinocentern wurden fast alle Vorführer gekündigt.
    Beruf des Vorführers verschwindet
    Heute kann jeder Popcornverkäufer kostengünstig ganze Vorstellungen komplett mit Werbeblock, vom Smartphone oder Laptop aus steuern. Ein Beruf verschwindet. Und so versuchen Software-Spezialisten den letzten Vorführern beizubringen, wie man die Datenmengen entschlüsselt und kontrolliert. Ein äußerst komplexes Verfahren – und der Schlüsselcode ist zudem berlinale-spezifisch.
    Der Zuschauer soll von all dem ja nichts merken. Obwohl es in den letzten Jahren bei Vorstellungen immer wieder auch Pannen gab.
    Berlinale Forum Expanded
    Andernorts wird der Rollen-Projektor kurz vor seiner endgültigen Musealisierung zur Skulptur. Beim Berlinale Forum Expanded - in der ehemaligen Kirche St. Agnes. Hier sind Arbeiten von Video- und Filmkünstlern zu besichtigen. Eine zehntägige Performance - gewidmet auch dem Celluloid und dem aussichtlosen Kampf Analog gegen Digital. In jeder Ecke flimmert es. Aufbauchefin Angela Anderson, steht kurz vor der Ausstellungseröffnung noch auf einer Baustelle:
    "Wir haben zwei 35-Millimeter-Projektoren die im Loop laufen, ein 16-Millimeter-Projektor. Genau, analog. Hier auf der Bühne steht ein großes Kinoton FP 30 mit einem vertikalen Loopinggerät."
    Hier wird das gute alte Filmmaterial noch sichtbar – und die ehemals profane Kunst des Abspulens auf ein höheres Level gehoben. Anderson lüftet eine Plastikfolie und enthüllt ein obskures Kunstobjekt. Das Sinnbild einer vergangenen Epoche:
    "Dieser 16-Millimeter-Projektor, das ist ein Bauer, der hat eine besondere Anfertigung mit einer starken Lampe da drin. Das heißt, immer bei Filmprojektoren muss man den Film laufen lassen, bevor man Licht anmacht, sonst brennt der Film, und jetzt gibt’s einen kleinen elektrischen Knall."