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Berlinale
Von Dichtern und Helden

Eine Spieluhrenwelt im Zuckerbäckerstil von Wes Anderson zur Eröffnung und einige historische Rückblicke, die allesamt Parabeln sind: Die Auftaktfilme der Berlinale überzeugten nicht alle, dennoch hat das Festival gut begonnen.

Von Christoph Schmitz | 08.02.2014
    Kinofans stehen Schlange vor den Kartenvorverkaufsschaltern in den Potsdamer Platz Arkaden in Berlin.
    Andrang: 400.000 Zuschauer werden bei der Berlinale erwartet. (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    Geschichten aus der Geschichte bietet die Berlinale an den ersten Tagen. Ein filmisches Historien-Seminar aus 200 Jahren europäischer Kultur und ihrem Verlust. Schon mit dem Eröffnungsbeitrag "The Grand Budapest Hotel" hatte es begonnen, Wes Andersons Film über eine Luxusherberge zwischen Erstem und Zweiten Weltkrieg, in dem eine Epoche zu Ende geht und eine neue unter den Krämpfen des Totalitarismus beginnt. Inszeniert in einer Spieluhrenwelt im Zuckerbäckerstil. Die Geschichte diente Anderson allerdings nur als Material für einen skurrilen Bilderkosmos zum Zwecke der Unterhaltung.
    Dominik Grafs "Die geliebten Schwestern" hat da eine ganz andere Ausrichtung. Auf den ersten Blick zeigt Graf einen Kostümfilm am Vorabend der französischen Revolution, die leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen Friedrich von Schiller und den Schwestern Caroline und Charlotte von Lengefeld. Schiller heiratete Charlotte, im Film ist er der Geliebte beider Frauen, die sich den Dichter teilen. Eine von Dominik Graf imaginierte Menage à trois, die er aber nutzt, weniger um ein Zeitporträt zu entwickeln, sondern um den Gefühlen und Gefühlsverwirrungen des modernen Menschen auf die Spur zu kommen. In intimen Dialogen und rezitierten Briefen samt Erzählstimme aus dem Off folgt er den geheimen Wegen des Verlangens, des Begehrens, der Sehnsucht des Eros. Eine lebendige und sehr gegenwärtige Seelenkunde, wunderbar leicht erzählt. Am Schluss ruht die Kamera auf Schillers Wohnhaus in Weimar, in dem er wenige Sekunden zuvor gestorben ist. Und ins Bild treten Fußgänger von heute, Einheimische und Touristen auf Besuch beim Klassiker.
    Zweifelhafte historische Tatsachen
    So erweisen sich diese historischen Rückblicke allesamt als Parabeln, denn auch George Clooney erzählt in seinen "The Monuments Men" nur vordergründig vom Kunstraub der Nazis und wie eine Gruppe US-amerikanischer Kunstexperten vor und hinter der Front gegen Ende des Krieges die in Privathäusern und Bergwerken versteckten Kulturgüter aufspüren, retten, vor der Zerstörung bewahren: Werke von Michelangelo, Da Vinci, Rembrandt, Van Eyck, Monet, Rodin, Picasso. Gleich am Anfang macht der von George Clooney gespielte Chef der glorreichen siebenköpfigen Mannschaft klar: Wenn wir die Kunstwerke retten, retten wir Gedächtnis, Erinnerung, Kultur, ohne die der Mensch keine Zukunft hat. Sehr zweifelhaft sind die historischen Tatsachen, die der Film behauptet, zumal er auf dem gleichnamigen Sachbuch von Robert M. Edsel beruht. Edsel ist vor allem auf Spannung aus und scheut sich nicht vor der Kolportage. Spannend will auch Clooney erzählen, aber das klappt nicht so recht. Zusammengeschustert wirkt seine Geschichte, wirr, sentimental, pathetisch und mit schlappen Witzen aufgelockert. Da hilft ihm auch das Staraufgebot nicht.
    Ohne Stars kommt Yann Demanges "’71" aus über den eskalierenden Bürgerkrieg in Nordirland. Die Paramilitärs der "loyalen" Protestanten und der revoltierenden Katholiken, Straßengangs auf beiden Seiten und das britische Militär samt Undercoveragenten haben sich heillos ineinander verbissen. Demanges Film ist vor allem ein Antikriegsfilm, eine Parabel über die Sinnlosigkeit des Abschlachtens, wie Hass und Rache sich potenzieren, aber niemals auflösen. Eine Reise ins Herz der Finsternis, gesehen und gehört mit den Augen und Ohren der Beteiligten - so nah ist die Kamera am Kampf. Ein Schlachtgemälde, das echter wirkt als all die kopierten Gemälde in Clooneys "Monuments Men". Dennoch hat die Berlinale gut begonnen.