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Berlinale
Wenn Filmemacher mit Konventionen brechen

Selbstbewusste Protagonisten, die allerlei gesellschaftliche Regeln brechen: Unter dem Motto "Uncovering Stories - Filmmakers breaking the rules" standen auf der Berlinale die Filme dreier Regisseure im Mittelpunkt, die gegen Beschränkungen in ihrer Gesellschaft kämpfen.

Von Bernd Sobolla | 13.02.2014
    "- Ich möchte ein Rad und mit Abdullah Rennen fahren.
    - So ein Quatsch! Du als Mädchen darfst überhaupt nicht Radfahren. Das weißt du doch.
    - Ja, und dann wird es für dich erst rech peinlich, wenn ich dich abhänge."
    In der saudischen Hauptstadt Riad träumt das 11-jährige Mädchen Wadjda von einem Fahrrad. Die Regisseurin Haifaa Al Mansour schickte ihre Protagonistin in dem Film "Das Mädchen Wadjda" in ein Rennen um Freiheit und Selbstbestimmung. Allerdings ging es Haifaa Al Mansour nicht darum, gesellschaftliche Konventionen anzugreifen:
    "Ich komme aus Saudi-Arabien und dort bricht man die Regeln schon, wenn man aus dem Haus geht. Als Künstlerin geht es mir mehr aber nur darum, ehrlich zu sein und Dinge zu sagen, an die ich glaube. Aber jedes Mal kommt jemand und meint, ich breche die Regeln. Darum geht es mir aber nicht. Ich arbeite intensiv an einer Geschichte und will Dinge, die mir wichtig sind, der ganzen Welt mitteilen."
    Zwar sind ihre Protagonistinnen selbstbewusst und brechen allerlei gesellschaftliche Regeln. Aber den Regisseurinnen geht es nicht darum, Rebellinnen zu zeigen, die einfach Unruhe stiften. Rebellion als Selbstzweck? Fehlanzeige! Marie Ka aus dem Senegal erzählt in ihrem Film "The other woman" zwar von der Liebe zwischen zwei Frauen, die zugleich Ehefrauen desselben Mannes sind. Aber sie sieht ihren Film nicht als Angriff auf die patriarchalische Gesellschaft:
    Rebellion als Selbstzweck? Fehlanzeige!
    "Die Geschichte, die ich erzählen wollte, war eine Art Hommage an die Fähigkeit der Frauen, sich von der Welt der Männer und des Mainstreams abzugrenzen, und wie sie in dieser Welt ihre Freiheit finden. Mir ging es aber nicht darum, eine lesbische Liebesgeschichte zu erzählen, sondern um einen intimen Blick auf Frauen, die einen Ehemann teilen. Ich wollte eine Dreiecksbeziehung zeigen und wie du dich mit der anderen Frau verbinden kannst, anstatt zur Rivalin zu werden."
    Etwas anders verhält es sich bei dem kurdisch-österreichischen Regisseur Umut Dag. In seinem Film "Risse im Beton" schildert er den Vater-Sohn-Konflikt in einer Migranten-Familie.
    "- Geh weg!
    - Mikail hat Probleme.
    - Welche Probleme? Du kommst zu mir, zu sagen, dass mein Kind Probleme hat. Seit wann kümmert dich Mikails Problem? Die letzten fünfzehn Jahre habe ich gebettelt, gebettelt, gedroht. Wo warst du? Arschloch."
    Wobei Umut Dag Musik als Ausdruck der Rebellion einsetzt:
    "Wir wussten, dass der Junge einen Traum braucht, und wir entschieden uns für Rap-Musik. Da ist seltsames Benehmen ja angesagt. Der Junge hat den Traum, ein großer Rapper zu werden, Geld zu verdienen, anerkannt und berühmt zu sein. Das half uns, den Mikrokosmos junger Leute zu ergründen."
    Alle drei berichten davon, dass es ihnen nicht um den Ausbruch aus der Gesellschaft geht, sondern dass sich ihre Protagonisten nur nach "Normalität" und Glück in der Gesellschaft sehnen. Sie sind bereit, hart dafür zu arbeiten und entschlossen, ihre Situation zu ändern. So lernt Wadjda auch intensiv für den Koran-Wettbewerb. Und die beiden Ehefrauen in "The other woman" durchbrechen das Gesellschaftsmodell zwar, indem sie nicht wie üblich Konkurrentinnen bleiben. Aber andererseits halten sie die Konventionen aufrecht, meint Marie Ka, da sie ihre Liebe nicht nach außen zeigen:
    Vom Sehnen nach Normalität und Glück
    "Zum Geschichtenerzählen ist es interessanter, liebenswerte und komplexe Charaktere zu haben. Die Gesellschaft ist ja sehr vielschichtig. Und ich glaube nicht, dass die ganze Verantwortung für unser System allein bei den Männern liegt. Es ist die Gesellschaft insgesamt, Männer und Frauen."
    Und ein Film wird nur dann gut, wenn er komplexe Charaktere zeigt. Dazu gehört auch, dass die Situation der Männer geschildert wird und unter welchem gesellschaftlichen Erwartungsdruck sie stehen, meint Haifa Al Mansour:
    "Es scheint, dass die Männer in Saudi-Arabien mehr Freiheit haben. Aber politisch können sie nicht an allem teilnehmen, und es gibt so viele Regeln. Eigentlich muss sich das ganze System ändern, sodass wir gesündere Beziehungen zwischen Männern und Frauen bekommen. Ich versuche, Geschichten zu schreiben, die die Werte respektiert und die Beschränkungen ein wenig löst. Das ist viel Arbeit. Einfacher wäre es, in Frankreich einen neuen Film zu drehen. Aber es geht um die Erweiterung unserer Möglichkeiten, um Raum für Kunst in unserer Gesellschaft."