Sonntag, 28. April 2024

Archiv

Berliner Ausstellung "Belong anywhere"
Zwischen Kunst und Künstlichkeit

"Belong anywhere" ist der Slogan des Übernachtungsdienstes Airbnb. Dahinter steckt das Versprechen, sofort zur lokalen Kultur dazuzugehören, egal, wohin man reist. Dieses Versprechen hinterfragen Künstlerinnen und Künstler in Berlin. Sie kapern eine typische Airbnb-Wohnung und machen sie zu Kunst.

Von Christoph Möller | 30.01.2017
    Ein Schlüsselanhänger mit Schlüssel mit dem Logo der Online-Plattform Airbnb liegt auf einem Tisch und einem Notizbuch in einer Ferienwohnung.
    Aufgepfropft auf Kulturarbeit: Airbnb in Berlin (dpa / Jens Kalaene)
    Eine Wohnung in einer angesagten Gegend in Berlin Kreuzberg. Am Eingang steht Johannes Büttner und verteilt blaue Plastikschuhe an die Besucher, die sich in die Wohnung drängeln.
    "Das ist ja eine Airbnb-Wohnung und die müssen wir ja auch in einem guten Zustand wieder zurückgeben und deswegen gebe ich Ihnen solche Überzieher für die Schuhe."
    Dann geht es hinein in die schicke Altbauwohnung. Im Flur hängen die Einzelteile eines Staubsaugers, auf dem Küchentisch liegt ein riesiger starrer Block aus Cornflakes, in der Eckwanne im Badezimmer schwimmen kleine Urzeitkrebse.
    "Da ist einer … oh, zwei sogar …"
    Die Wohnung ist heute gekapert worden - von der Ausstellung "Belong anywhere". "Belong anywhere" ist der Slogan des Wohnungsvermittlungsportals Airbnb. Das Unternehmen hat exklusive Markenrechte. Nur unkommerzielle Kunst darf den Slogan benutzen.
    "Belong anywhere" - ist das wirklich so leicht?
    "Das ist ja diese interessante Begebenheit, dass 'belong anywhere' auch sehr stark die Klassengesellschaft widerspiegelt …"
    Erzählt Kuratorin Nina Hollensteiner.
    "… weil, wer hat die Möglichkeit, 'belong anywhere' zu sein?"
    Cornflakes-Block in Altbau-Küche
    Cornflakes-Block in Altbau-Küche (Christoph Möller )
    Also überall sofort dazuzugehören? Die Ausstellung kritisiert die leeren Versprechungen der so genannten "Sharing Economy", also von Diensten wie Facebook, Google oder Airbnb. Was zur Ausstellung gehört, und was nicht - schwer zu sagen. Die nach Farbe geordneten Bücher, die Goethe-Gesamtausgabe im Schlafzimmer - Kunst oder Einrichtung? In der Airbnb-Wohnung, so scheint es, liegen Kunst und Künstlichkeit nah beieinander. Nina Hollensteiner sagt:
    "Wenn man so diese Airbnb-Wohnungsprofile durchschaut, dann schmücken die sich ja auch nahezu damit, dass der und der Designklassiker drin steht und künstlerische Arbeiten."
    Aber machen sich die Künstlerinnen und Künstler nicht zu Komplizen des Großkonzerns, wenn sie seine Struktur nutzen?
    "Nein, wir machen es nicht, weil wir mit der Behauptung spielen, es wäre eine Airbnb-Wohnung. Eigentlich ist die ganze Wohnung eine künstlerische Arbeit oder Installation."
    - "Das heißt, es ist gar keine Airbnb-Wohnung?"
    "Nein, das ist keine Airbnb-Wohnung", sagt Nina Hollensteiner.
    Auf der Weltreise und doch am gleichen Nicht-Ort
    Im Wohnzimmer dreht eine Schallplatte ihre Runden, von der Decke baumeln Webcams anstelle einer Lampe. Kurator Helge Peters hat die Idee der Ausstellung in einem langen Online-Text erklärt. Es gehe um die ästhetische Überformung von Räumen, die am Ende alle gleich aussehen. Helge Peters:
    "Man kann eigentlich die ganze Welt bereisen mit Airbnb und immer wieder am gleichen Ort sein. Was ja dann so eine besondere Ironie zu diesem Slogan von Airbnb hinzufügt, 'belong anywhere'. Denn was die dort verkaufen, ist eigentlich dieses Gefühl des authentischen Dazugehörens zu einem spezifischen Ort. Aber was man tatsächlich erlebt, ist so ein Gleiten über den Globus, wo man eigentlich immer im gleichen Nicht-Ort ist."
    Peters meint, Unternehmen wie Airbnb seien zudem Nutznießer von Kunst und Kultur. Sie profitieren vom Schein des Aufregenden und Neuen. Wozu natürlich auch die Ausstellung zählt. Ironie oder nicht: Nur eine Gehminute von der "Fake Airbnb-Wohnung" entfernt, eröffnet Google demnächst einen neuen Startup-Campus, im denkmalgeschützten Umspannwerk Kreuzberg. Helge Peters:
    "Warum ist das eine interessante Location? Weil hier viele Leute schlecht oder gar nicht bezahlt Kulturarbeit machen, Wohnzimmer-Ausstellungen organisieren, wie eine in der wir hier gerade sind. Und das lädt natürlich bestimmte Räumlichkeiten in der Stadt mit einem symbolischen Wert auf, an den sich diese Startup-Kultur dann quasi aufpfropft und halt sagt: Wir sind Teil dieser größeren kulturellen Innovationstätigkeit, wir sind die Zukunft."
    Hier zeigt sich im Großen, was die Ausstellung im Kleinen zeigen will: Google übernimmt den coolen Flair des Viertels und gibt ihn als seinen eigenen aus. Genau wie Airbnb-Wohnungen durch Kunst aufgewertet werden.
    Kritische Gedanken werden nicht deutlich
    Die Verbindung aus Kunst und Online-Kapital zu zeigen ist spannend, die Ausstellung aber etwas lieblos. Viele Gegenstände wirken wie Spielereien von Kleinkindern: Ein Aquarium in der Badewanne, ein Kühlschrank voll Spaghetti - keine besonders innovativen Ideen. Auch die umfassenden kritischen Gedanken, die hinter der Ausstellung stehen, sprechen nicht aus den Gegenständen selbst. Sie müssen erst umständlich erklärt oder im Internet nachgelesen werden.
    "Können wir schon einsteigen? Jo, einfach rein!"
    Eine Entspannung zur überfüllten Wohnung: Der zweite Teil von "Belong anywhere". Eine Fahrt in einem vermeintlichen Taxi des Fahrtenvermittlungsdienstes Uber. Zum "Weberlied" von Heinrich Heine sprechen Computerstimmen Texte von der Unternehmenshomepage.
    "Du möchtest gerne als dein eigener Chef unterwegs sein und dir deine Zeit flexibel einteilen? Dann melde dich jetzt als Partnerfahrer an."
    Was da nun wieder hinter steckt? Liest man am besten im Internet nach.