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Berliner Charité
Aufnahmestopp für Kinderkrebspatienten

Die Berliner Charité nimmt vorübergehend keine neuen Kinderkrebspatienten auf - seit fünf Jahren ist jede fünfte Stelle in der Kinderonkologie nicht besetzt. Viele hoffen auf Abhilfe durch neues Personal aus dem Ausland - doch gerade die Spezialisten lassen sich nicht so leicht ersetzen.

Von Anja Nehls | 17.12.2019
Im Krankenhaus (Symbolbild), Ernie von Ernie und Bert und eine Puppe
Bundesweit fehlen 50.000 bis 100.000 Fachkräfte in der Kranken-, Kinder- und Altenpflege (dpa / ANP / Olaf Crack)
Vor acht Jahren erhielt Kathi Polenz die Diagnose Knochenkrebs. Die damals 12-Jährige war seitdem regelmäßiger Gast auf der Kinderonkologie-Station der Charité und bekam Chemotherapie – allerdings nicht immer auf der Kinderkrebsstation, erinnert sich ihre Mutter Kristina Polenz:
"Wenn dann die nächste Chemo anstand, mussten wir vorher anrufen, ob überhaupt ein Bett frei ist. Und dann aus Personalmangel wurden dann noch drei, vier Betten gesperrt. Wenn dann aber kein Bett auf der Onko frei ist, wird man auf irgendeine andere Station verteilt, da sind aber die Leute nicht geschult. Die können mit z. B. mit diesem Broviac-Katheter, den die haben, nicht mal umgehen."
Wechsel auf andere Station kann Lebensgefahr bedeuten
Und dann werde es für die betroffenen Kinder wegen der Infektionsgefahr ganz schnell lebensgefährlich. In der vergangenen Woche musste die Kinderonkologie der Charité wegen Personalmangels sogar zwei Patienten abweisen und zu anderen Behandlungszentren vermitteln. In der nächsten Woche sei der Personalengpass aber überwunden, verspricht Ulrich Frei von der Charité im rbb:
"Bis dahin können wir die Chemotherapien, die bereits laufen bei Kindern, die schon länger in Behandlung sind, durchführen. Dort sind wir zeitlich ein bisschen in Verzug gekommen, aber inzwischen ist das aufgeholt, sodass da keine Gefahr für die Kinder besteht und die Therapie sachgerecht weitergeführt werden kann."
Dass Patienten wegen Personalmangels an Kliniken in Deutschland gar nicht oder nicht optimal behandelt werden können, ist kein Einzelfall. Sogar Schwangere und Notfälle werden abgewiesen. Seit Beginn dieses Jahres gibt es für bestimmte Abteilungen in Krankenhäusern Pflegepersonaluntergrenzen, die das Bundesgesundheitsministerium eingeführt hat. Wenn es z. B. auf der Intensivstation nicht für 2,5 Patienten mindestens einen Pfleger gibt, müssen Betten gesperrt werden. Bundesweit fehlen 50.000 bis 100.000 Fachkräfte in der Kranken-, Kinder- und Altenpflege. Kathis Mutter erzählt, dass jeder Einzelne habe sich aber auf der Kinderkrebsstation der Charité über die eigenen Belastungsgrenze hinaus rührend um sie und ihre Tochter gekümmert habe. Besonders erinnert sie sich an den Moment, als Kathi das erste Mal die Haare ausfielen:
Auch Abweisungen von Schwangeren nicht mehr unüblich
"Und ich bin dann auch total in Tränen ausgebrochen. Und da braucht man dann einfach Leute, die einen auffangen, die einen in den Arm nehmen, die sagen: Komm wir gehen einmal kurz vor die Tür. Weil ich musste dann echt vor die Tür. Dann hat eine andere sich um Kathi gekümmert, in dem Moment. Da ist einfach intensivste Betreuung nötig, weil es auch von der Psychologie her wichtig ist, dass da jemand ist."
Personalmangel in der Pflege ist kein neues Problem. Nach sieben bis acht Jahren verlassen laut Ver.di im Durchschnitt Pflegekräfte erschöpft ihren Beruf. Er gilt als unattraktiv und schlecht bezahlt. An der Charité ist zur Zeit jede fünfte. Stelle in der Kinderonkologie nicht besetzt. Obwohl Krankenpfleger durchschnittlich 500 Euro mehr verdienen als Altenpfleger, obwohl die Charité einen guten Namen hat und obwohl sie mit einem Tarifvertrag vor drei Jahren Vorreiter war, sei Personal kaum zu finden, erklärt Ulrich Frei:
"Man wirbt, man geht auf Pflegemessen, man versucht alles Mögliche, um Pflegekräfte zu gewinnen. Geld allein ist es nicht. Wir haben den Eindruck, dass mehr andere Bedingungen in der Stadt, wie Wohnraum und solche Dinge, eine Rolle spielen. Und ganz besonders sind die Spezialisten, die Intensivmediziner, die in der Neonatologie arbeiten und die in der Krebsstation arbeiten. Diese Spezialisten fehlen ganz besonders und die kann man auch nicht durch Personal aus dem Ausland so leicht ersetzen."
Personal aus dem Ausland soll Pflege entlasten
Genau darauf setzt jetzt allerdings Bundesgesundheitsminister Jens Spahn – zumindest kurzfristig. Kranken- und Altenpfleger bräuchten bessere Arbeitsbedingungen, und das heiße vor allem weniger Stress und mehr Kolleginnen und Kollegen:
"Es geht darum in einem ersten Schritt die Probleme zu lindern. Ich sage ausdrücklich zu lindern. Weil angesichts der Größe der Aufgabe, es eben alleine mit mehr Ausbildung hier in Deutschland, mit mehr Umschulung, die wir ja auch zusätzlich finanzieren, mit besseren Arbeitsbedingungen rund um die Entlohnung oder die Dokumentation, alleine nicht reicht. Sondern wir eben auch Fachkräfte aus dem Ausland brauchen."
Aus Mexiko, den Philippinen oder dem Kosovo sollen diese Menschen kommen. Auch in der Charité arbeiten bereits Pflegekräfte aus dem Ausland. Langfristig sollen aber auch in Deutschland mehr Pflegepersonal ausgebildet werden. Durch die Abschaffung des Schulgeldes und eine Akademisierung soll dieser Weg für Schulabgänger attraktiver werden. Bessere Bedingungen seien längst überfällig, meint Kristina Polenz:
"Das ist einfach beschämend, dass wir in einem der reichsten Länder dieser Erde leben und da einfach für den Einzelnen so wenig bleibt, und die Schwestern sind echt an ihrem Limit. Die haben wirklich alles gegeben, aber die sind dann irgendwann am Limit."
Kathi Polenz ist inzwischen 21 Jahre alt und kämpft immer noch gegen den Krebs.