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Berliner CTM Festival
Die Grenzen unserer Welt zerfließen

"New Geographics" ist das Motto des CTM Festivals 2016 in Berlin. Künstler für experimentelle und elektronische Musik nehmen sich dieses Jahr die global-geografischen Veränderungen als Thema vor. Denn auch bei Kunst und Musik zerfließen die Grenzen immer mehr.

Von Florian Fricke | 29.01.2016
    Rabih Beani :
    "Die Flüchtlinge, die jüngsten Terroranschläge in Europa – wir mussten uns dem stellen. Es war einfach an der Zeit, auch um die Leute zu Diskussionen anzuregen und die Probleme anzuerkennen."
    Gast-Kurator Rabih Beani wurde im Libanon geboren. Seit vier Jahren wohnt er in Berlin, wo er elektronische Musik auf seinem eigenen Label Morphine Records veröffentlicht. Das CTM-Festival war in seiner Stellung als diskursives Avantgarde-Festival schon immer auch politisch ausgerichtet, doch dieses Jahr machen die Kuratoren richtig ernst. Sie wollen den Herausforderungen einer globalisierten Welt, deren Grenzen sich immer mehr aufzulösen scheinen und die vielerorts reaktionäre Kräfte erstarken lassen, einen ganz eigenen Optimismus entgegensetzen. Denn auch die Grenzen in Kunst und Musik zerfließen immer mehr, auch in den Ländern außerhalb des reichen Nordens. Und darin liegen viele ästhetische Chancen, so Kurator Rabih Beani:
    Musik aus aller Welt in neue Zustände transformieren
    "Das Motto dieses Jahr ist, dass wir traditionelle Musik aus aller Welt in neue Zustände transformieren. Die Künstler haben dazu alle einen verschiedenen Ansatz gewählt. Manche wählten elektronische oder Clubmusik, andere Jazz oder Avantgarde."
    "Zum Beispiel Maurice Louca aus Kairo. Normalerweise spielt er mit seiner Band Baladi, das ist ein Stil, der dort vor allem auf dem Land sehr populär ist. Für die CTM hat er diesen Stil mehr für die Konzertbühne adaptiert, in der klassischen Besetzung Schlagzeug, Bass und ihn an den Keyboards. Sehr interessant."
    Durch den Einfluss von Beani wird überhaupt viel hoch interessante Musik aus Nahost und Nordafrika zu hören sein. Diese Internationalität auf der CTM wird noch verstärkt durch die Kooperation mit dem schweizerischen Netzwerk Norient, das sich der Förderung subkultureller Popmusik aus der ganzen Welt verschrieb. Norient verantwortet in den Kunstwerken Bethanien die Ausstellung "Seismographic Sounds - Visions of a New World". Musik als Seismograf für die gesellschaftlichen Umbrüche. Dazu wurden zum Beispiel weltweit Musiker, Blogger und Journalisten gebeten, die fünf besten Videoclips ihres Landes zu schicken. Theresa Beyer hat die Ausstellung co-kuratiert.
    Sechs Kernthemen in der Ausstellung
    Theresa Beyer:
    "Dann sind ungefähr 2.000 Links bei uns eingetrudelt, und daraus haben wir Themen generiert. Was verarbeiten die am meisten, diese Clips, auf Soundebene, auf Textebene, auf Videoebene. Ja, wir haben das verschlagwortet und festgestellt, dass es Themen gibt, die sehr häufig wiederkommen und über die sich viele Musiker Gedanken machen. Und das sind die sechs Kernthemen dieser Ausstellung."
    Nämlich Exotik, Sehnsucht, Geld, Einsamkeit, Zugehörigkeit und Krieg. In speziellen Videoboxen ist eine Auswahl dieser Clips abrufbar. Die restlichen der 2.000 Clips werden von einem speziellen Algorithmus in einem endlosen sich stets ändernden Cutup-Remix gezeigt, in den der Besucher auch aktiv eingreifen kann. Die Ausstellung "Seismographic Sounds" wird wie das ganze Festival auch von Gesprächsrunden begleitet, auf denen man die uns noch unbekannten Künstler entdecken kann. Die Welt, sie ist viel näher zusammengerückt, aber wie viel wissen wir schon von unseren neuen Nachbarn? Die CTM schafft Räume, um die Folgen dieser kulturellen Umbrüche sinnlich zu erfahren und unseren eurozentrisch und amerikanisch geprägten Musikgeschmack herauszufordern.
    Und ein Superstar wird übrigens auch kommen: Die virtuelle Manga-Figur Miku Hatsune, für immer 16-jährig und in Japan sehr populär, steht im Zentrum der audiovisuellen Performance "Still be here" im HKW. Die Grenzen unserer Welt, sie zerfließen.