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Berliner Festival "Kunst am Spreeknie"
Gemeinschaft statt Kommerz

Lange galt der Bezirk Schöneweide im Osten Berlins als Angstzone und totgesagter Kiez, dann hat ihn die Gentrifizierung erfasst. Inzwischen residieren hier 400 Kulturschaffende in leerstehenden Gewerbeetagen und alten Fabrikhallen. Einmal im Jahr laden sie ein, um ihre Werke der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Von Susanne Arlt |
    Steffen Blunk gerät ins Schwärmen, wenn er seine Gäste durch die Fabrikhallen aus der Kaiserzeit in Berlin-Schöneweide führt. Hinter einer alten, grauen Eisentür liegt eine imposante Werkshalle. 25 Meter hoch, mehr als 250 Meter tief, spitze Dachfenster aus Glas. Bedrückende Leere soweit das Auge reicht. Vor mehr als 100 Jahren gründete hier der deutsche Großindustrielle. Emil Rathenau "Elektropolis", Zentrum der Elektrizitätswirtschaft seit der Kaiserzeit. Zu DDR-Zeiten eines der größten Industriegebiete Europas. Nach dem Mauerfall kam dann der tiefe Absturz. 25.000 Arbeitsplätze gingen. Die Menschen zogen weg. Leere machte sich breit. Ein idealer Nährboden für Künstler.
    Genau das macht den Reiz des zehntägigen Festivals "Kunst am Spreeknie" aus.Junge avantgardistische Kunst, eingebettet in den morbiden Charme alter Kulissen. Manche Werke knüpfen an diese Idee an. Zum Beispiel die von Sabine Burmester. Die Künstlerin aus Lübeck sammelt verrostetes Material vom Schrottplatz. Seine Patina nutzt sie als Oberflächenstruktur für ihre Acrylbilder. Zum dritten Mal stellt sie
    hier aus, in ihrer Heimat Lübeck wären solche Ausstellungsräume unbezahlbar, sagt Sabine Burmester.
    "Es ist alles sehr hanseatisch schick. Bei uns gibt es im Hafengebiet auch so herrliche alte Hallen, aber es ist keiner bereit, die uns zur Verfügung zu stellen, oder sich dafür zu opfern, mal eine Kunstausstellung in so alten Räumen zu machen und das ist faszinierend für mich. Ich liebe dieses Gelände, ich liebe diese Rathenauhallen, die einzelnen Ateliers, das funktioniert hier untereinander
    unheimlich gut. Und die Ausstellung hat für mich immer diesen besonderen Reiz diese alten Hallen zu bespielen."
    Umfangreiches Angebot
    Mehr als 300 Künstler nehmen in diesem Jahr an dem Festival teil. Die meisten von ihnen arbeiten auch in Schöneweide. Für das Kunstfestival öffnen sie ihre Ateliers und zeigen ihre Werke: Malereien, Fotografien, Skulpturen, Videoinstallationen. Zusätzlich zu den offenen Ateliers gibt es zahlreiche Veranstaltungen, die über das alte AEG-Industriegelände verteilt an mehr als 30 Veranstaltungsorten stattfinden: Ausstellungen, Performances, Collagen, Filme, Tanz- und Musik-Sessions. Es gibt auch Vorträge. Der emeritierter Ästhetik-Professor Bazon Brock aus Wuppertal zum Beispiel macht sich Gedanken über die Arbeitsbedingungen junger Kunstschaffender. Sein Vortrag lautete heute Abend: Arbeitssklaven in Katar werden beweint, Arbeitssklaven des Kunstmarkts sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst. Steffen Blunk, Künstler und Festivalorganisator in einem, hofft, dass das umfangreiche Angebot möglichst viele Berliner nach Schöneweide lockt.
    "Ich glaube, dass wir damit auch eine Chance haben, Berlinern zu zeigen, Schöneweide ist ja immer noch so ein bisschen außen vor und weit, weit weg. Und denen eben auch zu zeigen, dass es hier solch ganz einzigartige Atmosphäre hat dieser Stadtteil, die sehr, sehr spannend ist, die entdeckenswert ist, gerade auch weil sie sich als Kunststandort etabliert."
    Wer sich ob der Fülle an Kunst und Kulturveranstaltungen einen ersten Überblick über das Festival verschaffen möchte, der sollte in der Zentralstation beginnen. Die ehemalige Fabrik liegt direkt an der Spree. Geht es nach ihren Besitzern, dann würden hier bald Lofts entstehen. Doch noch ist die kreative Zwischenmietung möglich. In den sechs Hallen einer ehemaligen Galvanisierungsfabrik präsentieren 99 Kunstschaffende aus Schöneweide je ein Objekt von sich. Ganz am Anfang hängt ein Porträt von Willy Brandt. Jürgen Dräger hat es Anfang der 90er gemalt. Als Reisebegleiter durfte er gleich nach dem Mauerfall den SPD-Politiker und Friedensnobelpreisträger auf seinen Reisen durch die neuen Bundesländer begleiten. Daneben hängt abstrakte Malerei, entworfen von Daniel Eltinger. In Schönweide habe er eine neue Heimat gefunden, sagt der gebürtige Schwabe.
    "Hier herrscht ein wunderbarer Geist unter uns Künstlern, wir sind eigentlich alle befreundet nebenher und das ist eine große Freude, das zusammen zu entwickeln und selber auf die Beine zu stellen, so als Künstlerschaft insgesamt."
    Statt Kommerz geht es den meisten hier eben noch um Gemeinschaft.