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Berliner Inititative
Wie junge Muslime gegen Antisemitismus kämpfen

Religiöses Mobbing und Diskriminierung an Schulen verhindern: Das ist das Ziel einer Initiative von jungen Berliner Muslimen. Für ihren Kampf gegen Antisemitismus bekommen die Macher gerade viel Lob. Doch sie fordern auch von ihren Kollegen an den Schulen noch mehr Einsatz.

Von Claudia van Laak | 06.04.2018
    Der Spruch "Gegen jeden Antisemitismus!" prangt an einer Toilettenwand der Philipps-Universität in Marburg.
    In Fortbildungen lernen die Teilnehmer, wie man sich gegen gegen Antisemitismus stark macht. (picture alliance / dpa/ Arne Dedert)
    Gestern Abend im Berliner Roten Rathaus – aus den Händen der Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement Sawsan Chebli erhalten fünf Junge Leute ein Zertifikat. Zwei Jahre lang haben sie sich fortgebildet, jetzt gehen sie in Schulen, Jugendzentren und Moscheegemeinden, werben für Toleranz. Die SPD-Politikerin und Muslima Sawsan Chebli:
    "Diese jungen Leute sind ja Multiplikatoren. Sie sind Vorbilder. Sie zeigen: Du musst Deine Religion nicht abgeben und ablegen, sondern Du kannst Dich als Muslim einbringen und gerade aus der Religion heraus den Auftrag nehmen, Dich für die Gesellschaft einzusetzen und Dich gegen Antisemitismus stark zu machen."
    Der 23-jährige Cihad Colak ist einer der Multiplikatoren – der Informatik-Student geht in Schulklassen mit vielen Migranten, führt Workshops zum Thema Antisemitismus durch. Sein Vorteil: Er gibt keine Noten - und er ist einer von ihnen.
    "Die Erfahrung ist wirklich: Oft sagen die Schüler oder Jugendlichen: Wow, jetzt können wir endlich über diese Themen sprechen, in so einem Rahmen auch noch! Dass sie sich häufig sogar freuen."
    Reaktion auf Beschimpfungen
    Die Fortbildung der Jugendlichen findet unter dem Dach der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus statt. Ihr Vorstandsvorsitzender Dervis Hizarci ist selber Lehrer an einer Berliner Sekundarschule. Ich interveniere sofort, wenn ich auf dem Schulhof die Beschimpfung "Du Jude" höre, sagt der 34-Jährige.
    "Was hat Du da gesagt? Komm mal kurz her. Öh, nein. Sag mal, ist das fair? Haben wir nicht schon einmal darüber gesprochen, dass auch Muslime blöd angemacht werden. Wie geht´s Dir dabei? Kommt in der Regel keine Antwort. Warum machst Du das dann? Ist das nicht das Gleiche in Grün? Was soll der Mist, lass das doch."
    Dervis Hizarci weiß, dass nicht alle im Kollegium so reagieren wie er, dass manchmal auch gerne weggehört wird. Er als Lehrer mit türkischen Wurzeln erfahre ja Respekt von den männlichen Jugendlichen, hört er manchmal klagend von den anderen Lehrerinnen und Lehrern.
    "Na ja, Du, Dervis, Du schaffst das ja, aber ich als blonde Frau, die hören mir ja gar nicht zu. Das ist fast eine Bankrotterklärung. Wir dürfen uns das nicht zu einfach machen. Da bitte ich um mehr Selbstreflexion bei den Kolleginnen und Kollegen, die sich das da zu einfach machen wollen."
    Dervis Hizarci ist derzeit vom Unterricht freigestellt – das Land Berlin zahlt sein Gehalt weiter, damit er sich ganz der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus widmen kann. Eine Reaktion der Bildungsverwaltung auf immer mehr antisemitische Vorfälle in Berliner Schulen – speziell von muslimischen Schülern. Erst vor kurzem wurde eine jüdische Grundschülerin mit dem Tod bedroht. Das jüdische Gymnasium nimmt im Jahr etwa zehn Schüler auf, die aufgrund antisemitischer Bedrohungen ihre staatliche Schule verlassen.
    Hass an der Wurzel bekämpfen
    Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick rät zu mehr Prävention. Bei menschenverachtenden Hasstaten reiche eine Schulkonferenz nicht aus, man müsse an die Wurzeln gehen; nötig sei ein Zugang zu den Milieus. Genau dies leistet die Kreuzberger Initiative mit ihrer Ausbildung muslimischer Multiplikatoren. Dafür brauchen wir Zeit, wirbt Dervis Hizarci, wir müssen eine persönliche Beziehung zu den Jugendlichen aufbauen.
    "Wir starten nicht mit einer Antisemitismus-Definition und sagen, das ist richtig und das ist falsch. So einfach ist das nicht. Wir beginnen unsere Workshops mit dem Thema Identität. Wer bist Du, was macht Dich aus? Wir nehmen uns Zeit, denn diese Zeit braucht man. Dies ist aber auch eine gut investierte Zeit, weil das Ergebnis durchweg positiv ist. Mir selber fällt kein Fall ein, wo man das Gefühl hatte, was sollte eigentlich der Mist, das hätte ich mir sparen können. Ganz im Gegenteil."
    Übermorgen starten 18 muslimische Jugendliche in eine neue, zweijährige Fortbildungsrunde, die sie zu Experten in punkto Antisemitismus und islamischer Radikalisierung macht. Finanziert wird das Ganze unter anderem von der Friedrich Christian Flick-Stiftung.