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Berliner Klassik

Berlin im Jahre 1786. Mit dem Tod Friedrichs des II. endet eine jahrzehntelange autoritäre und gegen Ende mehr und mehr verkrustete, der modernen Kunst abweisend gegenüberstehende Herrschaft. Und plötzlich entfaltet sich in der angehenden Metropole eine Kultur- und Bürgergesellschaft ungeahnten Ausmaßes: die Gebrüder Humboldt machen sich auf, das deutsche Bildungswesen zu reformieren.

Von Eva-Maria Götz | 18.10.2007
    Schriftsteller und Philosophen wie Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck, Friedrich Schleiermacher und Johann Gottlieb Fichte treffen sich in den Salons von Rahel Varnhagen und Henriette Herz zum Tee, zum heftigen Disput und zu leidenschaftlichen Affären, Baumeister wie Carl Friedrich Schinkel und Carl Gotthard Langhans planen die Topographie des modernen Berlins zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz nach klassizistischen Grundzügen. Dazwischen wird Theater gespielt, gefeiert und gestritten. Ein Forschungsvorhaben der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften beschäftigt sich mit dieser spannenden Zeit.

    " Dem Schauspiel, dass Berlin gewährte, kam in Deutschland kein anderes gleich. Berlin, im Mittelpunkt des nördlichen Deutschlands, kann sich als den Brennpunkt der Aufklärung und des Lichts betrachten, "

    schreibt die so kluge wie kapriziöse französische Schriftstellerin Germaine des Stael in ihrem Reisebericht "De L'Allemagne", den sie im Jahr 1810 herausgibt, nachdem sie mehrere Wochen erst in der thüringischen Residenzstadt Weimar und dann in der preußischen Hauptstadt zugebracht hat.

    " Berlin ist eine große Stadt, mit breiten geraden Strassen, schönen Häusern, und von regelmäßiger Bauart. Da sie größtenteils neu gebaut ist, finden sich wenige Spuren älterer Zeiten. Unter den modernen Gebäuden erheben sich keine gotischen Monumente, und das Neue wird in diesem neu gebildeten Lande auf keine Weise durch Altes unterbrochen und eingezwängt. "

    Großzügige Alleen führen die zum Schlossplatz , der Alexanderplatz heißt noch Ochsenplatz, ist aber auch schon imposant und in Richtung Tiergarten, der seinem Namen noch alle Ehre macht, trennt das nagelneue Brandenburger Tor die aufstrebende Metropole von der Natur. Das Tor im griechischen Stil ist mehr als der profane Durchgang in Richtung Westen, es ist ein Zeichen neuen Nationalbewusstseins, ein Symbol des Bürgerstolzes in der Stadt, die sich mit ihren rund 170.000 Einwohnern auf dem Weg zur Metropole befindet.

    " Das ist ein Bürgertor, das ist ganz wichtig zu wissen, ein griechisches Tempeltor. Die Alternative heißt: römisches Triumphtor, also ein Rundbogen, durch das die Heeressäule marschieren kann, wenn sie als Sieger nach Hause kommen. Und genau das ist verweigert worden. Es sind 6 Säulen mit 5 Durchlässen, da müssen sich die Leute aufteilen. Das ist eigentlich für Spaziergänger gemacht. Und zwar von der Stadt in den Erholungsbereich, in den Tiergarten, und zurück, "

    meint der Germanist Prof. Conrad Wiedemann, Erfinder und Leiter des Forschungsvorhabens "Berliner Klassik".

    Entworfen wurde das Tor vom renommierten Baumeister Carl Gotthard Langhans, die Quadriga, die das Portal krönt, stammt von Hofbildhauer Johann Gottfried Schadow. Seine Karriere verläuft ungewöhnlich.

    " Er war Schneidersohn, ist früh entdeckt worden, mit einer ungewöhnlichen Begabung und hat dann aber danach das ganze Gegenteil von solchen "Parvenues" wie man zu sagen pflegt getan: er hat sich nicht unterworfen unter die Gewohnheiten, er hat angeboten bekommen, die Tochter des Hofbildhauers zu heiraten, das hat er nicht getan, sonder er hat eine wesentlich ältere, schöne Jüdin geheiratet mit einem unehelichen Kind. Nicht grade karrierefördernd. Und ist mit ihr nach Rom geflohen. Rom, das war wichtig. Man musste damals eine Weile in Rom sein. Und er war auch dort erfolgreich. Er kam zurück mit zwei Kindern und wurde trotzdem sehr schnell der Hofbildhauer, und diese sehr großen Aufträge, die Prinzessinnengruppe, das Grabmal Alexanders von der Mark oder eben die Quadriga auf dem Brandenburger Tor bekommen. "

    Ein unorthodoxer Schneidersohn, der sich Zeit seines Lebens nicht verbiegen lässt und immer sagt und macht, was er denkt wird der Star der Kunstszene. Der Musikdirektor Zelter ist von Hause aus Maurer. Der Schriftsteller Karl Philipp Moritz, der in der Akademie Vorträge vor vollem Hause hält, hat den Weg aus ärmsten Verhältnissen bis zum gefeierten Geisteswissenschaftler hinter sich hat. Auch das ist Berlin um 1800: eine Gesellschaft, die sich von der in anderen deutschen Städten durch eine gewisse Durchlässigkeit unterscheidet, und zwar sowohl vertikal von den unteren zu den oberen Schichten als auch horizontal zwischen den verschiedenen Geschlechtern und Religionsgemeinschaften, eine "neuständische Gesellschaft", wie Prof. Reinhard Blänkner von der Viadrina Frankfurt/Oder anlässlich des Symposiums "Berlin 1800- 1830- Emanzipation einer Metropole" am Forschungszentrum Europäische Aufklärung in Potsdam meint.

    " Wenn man die Kommerzialisierung mit all ihren kulturellen, ökonomischen Aspekten als einen Grundvorgang ansieht, dann kann man natürlich in der Mitte des 18. Jahrhunderts ansetzen mit dieser neuständischen Gesellschaft, aber das ist regional unterschiedlich. Es gibt Regionen, da kommt es gar nicht an und dann gibt es welche, da setzt es forciert ein. "

    In Berlin lässt sich der Zeitpunkt, an dem sich die Gesellschaft zu verändern beginnt, an einem genauen Datum ablesen. Es ist der 17. August 1786. Der Todestag Friedrichs des II.. Conrad Wiedemann:

    " Als Friedrich der Große stirbt, tritt ja ein Autokrat ab, ein Alleinherrscher, ein Selbstherrscher. Und zwar auch auf dem Gebiet der Kultur. Und im selben Moment, wo er weg ist, entfaltet sich diese traumhafte Bürgerkultur, und zwar auf ganz unterschiedlichen Ebenen. "

    46 Jahre hatte Friedrich Preußen regiert, zuletzt mehr und mehr isoliert und vor allem weit entfernt von den Intellektuellen und Künstlern seines Landes. Drei Jahre nach seinem Tod beginnt in Frankreich die Revolution. Zwei Ereignisse, die das Leben in Berlin einschneidend verändern sollten. Thron- Nachfolger Friedrich Wilhelm der II. beginnt augenblicklich mit der Modernisierung und Umgestaltung der Hauptstadt, schon um sich von der Rokoko- Vorliebe des verhassten Onkels abzugrenzen. Ebenfalls im Gegensatz zu seinem Vorgänger fördert er die deutschsprachige Literatur und Wissenschaft, er liebt das Theater und das gute Leben und interessiert sich mehr für seine Mätressen als für die Politik. Das selbstbewusst gewordene Bürgertum weiß den Freiraum zu nutzen. Und dann kommt in Berlin auch noch eine interessante Bevölkerungszusammensetzung dazu, so Wiedemann:

    " Wir können getrost sagen: die Emanzipation der Juden und ihr Eintritt in die westliche Welt geht von Berlin aus aufgrund des Ruhmes von (Moses) Mendelsohn. Und es gibt seit über 100 Jahren eine ganz starke französische Kolonie, die immer noch überwiegend französisch spricht, so dass auch die Berliner Bildungsschicht mindestens so französisch spricht, wie sie heute englisch sprechen will. Und dann diese Deutschen, die sich von Friedrich II. emanzipieren wollen und eine eigenständige bürgerschaftliche Kultur hier installieren. "

    Es herrscht kreative Aufbruchstimmung: überall wird neu gebaut oder restauriert, werden Schlösser und Privathäuser mit Säulen und Giebeln nach griechischem Vorbild verschönert, Denkmäler und Statuen in Auftrag gegeben. Künstler haben Konjunktur. Allein den Umbau des Berliner Stadtschlosses lässt sich der neue König 230.000 Taler kosten- das ist mehr als die Hälfte des gesamtes Staatsetats. Viel Geld fließt in die Kassen der Baumeister und Kunsthandwerker. Berlin boomt.

    " Das betrifft nicht nur Architektur, sondern auch die ganze Alltagswelt, also die Warenwelt, die Produkte, die in den Manufakturen hergestellt werden, die zu der Zeit dann auch verstärkt gegründet werden. Mode, Textilindustrie, das ist ein ganz wichtiger Bereich in Preußen. Und das geht eben so schlagartig los und es gibt gleichzeitig noch einen Gesinnungswandel, so eine Art veränderte Ideologie, die mit dem Klassizismus zusammenhängt, weil es ja um die Antikenverehrung geht, "

    sagt Claudia Sedlarz, die zuständig ist für Fragen des Stils und Geschmacks im Forschungsprojekt Berliner Klassik. "Klassizismus" heißt die angesagte Mode, die in den stilprägenden Metropolen London und Paris schon länger en vogue ist. In der Ausrichtung auf das feingeistige Menschenbild und die Bildungsideale der Antike finden sich die Geschmäcker von Adel und Bürgertum vereint, mit der Sehnsucht nach Schönheit und wohlgeordneten Proportionen kann sich jeder gebildete Mensch identifizieren - ohne Ansehen der Herkunft oder wie Conrad Wiedemann meint:

    " Die klassizistische Plastik hat bekanntlich sich auch an die zahlungskräftigen Bürger gewandt, also Klassizismus in der Bildhauerei heißt: der Kommerzienrat in der Toga. Dann war er plötzlich wer. Vorher war er nur ein Kleinunternehmer und in der Toga war er plötzlich eine Figur. "

    Seit sieben Jahren erforschen Conrad Wiedemann und seine Mitarbeiter nun das gesellschaftliche Leben in Berlin zwischen 1786 und 1815. Anfangs wurden sie dabei argwöhnisch beobachtet, schon der Name "Berliner Klassik" erregte Aufsehen. Wiedemann:

    " Nun, ganz am Anfang war es so, dass der Name einfach provozieren sollte. Es gibt in der Vorstellung der heutigen Literaturgeschichtsschreibung einfach nur die "Weimarer Klassik", die früher deutsche Klassik hieß und jetzt eben als Weimarer Klassik firmiert. Und da haben wir uns geleistet, um Aufmerksamkeit zu erregen, den Namen "Berliner Klassik" dagegen zu setzen. Und er ist gerechtfertigt dadurch, dass die Bildungsphasen dieser Zeit, dieser ganzen 30 Jahre die Ausrichtung auf das Altertum ist. In Berlin wird das humanistische Gymnasium erfunden. In Berlin wird die moderne Forschungsuniversität erfunden, ebenfalls von Wilhelm von Humboldt mit der Leitwissenschaft Altertumswissenschaft, mit der Leitwissenschaft Archäologie und Altphilologie. "

    Mittlerweile hat sich der Forschungsansatz von Conrad Wiedemann durchgesetzt. Auf der Webseite www.berliner-klassik.de kann man sich über die bisherigen Forschungsergebnisse informieren, eine Datenbank gibt Auskunft über die Protagonisten der Zeit, ein virtueller Stadtplan hilft, sich ein Bild von der damaligen Stadt zu machen. Ebenso verweist die Seite auf kommende Veröffentlichungen und Veranstaltungen des bis 2010 datierten Projektes. Der Umfang und die Qualität des zu erforschenden Materials ist enorm: mit rund 2000 Personen ist die Dichte an Intellektuellen und Künstlern in Berlin um 1800 außergewöhnlich hoch. Zwei Akademien stehen für die Ausbildung von Wissenschaftlern und Kunsthandwerkern zur Verfügung, sie wirken stilprägend in die Gesellschaft, wie die Kunsthistorikerin Claudia Sedlarz weiß:

    " Bisher hat ja immer der Hof den Geschmack vorgegeben und jetzt wird das abgegeben an die Institutionen. Und gleichzeitig lässt der Hof sich auch beraten von den Akademikern und zwar nicht nur für offizielle Kunsteinkäufe, sondern es gibt auch den ganz privaten Unterricht. Es gibt verschiedene Hofmitglieder, die Kunstmalunterricht bekamen von Mitgliedern der Akademie und so was wird immer wichtiger und das ist dann schon bürgerliches Wissen, dass der Hof sich dann auch aneignen will. "

    Doch auch in Berlin hat die Liebe zur Kultur ihre Grenzen. Und die sind damals wie heute vor allem finanziellen Engpässen geschuldet: Sedlarz:

    " Und es lässt sich dann auch an der Akademiegeschichte zeigen, dass wie immer in Preußen auch heute, dann auch immer gespart wurde. Eine wichtige Sache ist die das beide Akademien, die Akademie der Künste und die der Wissenschaften, waren im gleichen Gebäude untergebracht wie der Marstall und so standen direkt unter den Räumen der Akademie die Pferde und die haben natürlich auch gerochen und haben durch ihren Urin die ganz Gebäudestruktur verändert. Die Akademie hat immer wieder Anträge gestellt, dass sie doch eben ein neues, eigenes Gebäude haben möchten. Sie haben mal versucht, Geld zu bekommen für den anstehenden Neubau, der aber dann nie durchgeführt wurde. "

    Einen Akademieneubau gibt es erst 100 Jahre später, dafür wird 1810 die Universität gegründet und dafür räumt sogar der Hochadel seinen Platz: im Palais des Prinzen Heinrich, Unter den Linden und direkt gegenüber der königlichen Oper gelegen, kann Wilhelm von Humboldt seine Vorstellung von der "Einsamkeit und Freiheit der Wissenschaften" verwirklichen.

    Doch würde man der Stadt wohl nicht gerecht, ginge es bei der "Berliner Klassik" nur um Fragen des Geschmacks und der Bildung. Auch das Nachtleben ist eine gründliche Erforschung wert.

    " Berlin setzt um 1800 einen eigenen, neuen, dynamisierenden Effekt. Dann kommt natürlich etwas hinzu, was eine Besonderheit darstellt: die jüdische Welt, die jüdischen Salons, die es eben in anderen bedeutenden Städten so nicht gibt, "

    meint Professor Reinhard Blänkner auf der Potsdamer Tagung am vergangenen Wochenende. Die Treffen der intellektuellen Welt in Rahel Varnhagens Dachstube in der Jägerstrasse oder bei Henriette Herz in der Neuen Friedrichstrasse sind schon für die Zeitgenossen eine Herausforderung. Hier finden auch die bislang an den gesellschaftlichen Rand gedrängten gesellschaftlichen Gruppen Aufmerksamkeit und Gehör: die gebildeten Frauen und die jüdischen Gelehrten. Freisinnig geht es zu und freizügig, der Besuch erforderte eine Einladung und einigen Mut. Conrad Wiedemann:

    " Wer wollte, konnte sich da treffen. Es war nicht ganz ungefährlich. Man konnte auch sein Renommee verspielen, einige waren der Meinung, das sei doch zu freizügig, was da passierte, und es gab ja neben den beiden Salons von Rahel und Henriette Herz ganz viele Vereine und Salons, die mindestens so wichtig waren wie die beiden, historisch gesehen sogar wichtiger, weil da politisches passiert ist oder bildungsgeschichtlich Wichtiges, aber insgesamt war das, was dort passierte natürlich eine Sensation. Jedenfalls gab's da auch eine gewisse erotische Freizügigkeit. Die ganze Affäre von diesem preußischen Heros Louis Ferdinand spielte sich im Salon der Rahel ab, dort hat er seine Traumfrau Pauline Wiesel, die eine Hugenottin war, gefunden, und hat seinen erotischen Briefwechsel mit ihr geführt. "

    Als diskursmächtig und unkonventionell beschreiben die Wissenschaftler auf der Potsdamer Tagung das besondere Flair des aufstrebenden Berlin vor zweihundert Jahren. Doch sie warnen vor einer Idealisierung der damals noch nicht als "Salon" sondern als "literarische Tees" bezeichneten Zusammenkünfte bei den jüdischen Bürgerinnen, die sich bei aller Anerkennung auch immer wieder antisemitischen Verunglimpfungen und Ausgrenzungen ausgesetzt sehen.

    Allergnädigster König und Herr,
    zu Gewinnung eines Raumes für das Vergnügen der Einwohner , wodurch größere Einnahmen und also ein beträchtliches Kapital für den Pensionsfond gewonnen werden könnte, wage ich es, zwei Plane des geheimen Oberbauraths Langhans vorzulegen.
    Ich ersterbe Euer Königlichen Majestät untertänigster Iffland.


    Der Brief des Intendanten August Wilhelm Iffland an den im Volksmund leger als "Dicker Wilhelm" bezeichneten König Friedrich Wilhelm II datiert vom 25. November 1798. Vier Jahre später, am 1. Januar 1802 ist das neue Theater fertig, entworfen von Carl Gotthard Langhans, der auch schon für das Brandenburger Tor verantwortlich gezeichnet hatte. Es steht am Gendarmenmarkt zwischen der französischen und der deutschen Kirche, bietet in einem Theatersaal Platz für 2000 und in einem darüber liegenden Konzertsaal Platz für 1000 Zuschauer und nennt sich " Nationaltheater". Das literarische und das amüsierwillige Berlin hat einen neuen Mittelpunkt.

    " Mittelpunkt war es insofern, da eben die Schauspieler, die Autoren, die Komponisten, die Tänzer, die Theatermaler zusammengekommen sind. Und vor allem die Kritiker und das ist das Besondere eben, dass mit der Öffnung dieses Baus sich in Berlin eine tägliche Theaterkritik entwickelt hat und das ist einmalig in Deutschland, "

    meint Klaus Gerlach, der für das Forschungsprojekt "Berliner Klassik" die Theatergeschichte untersucht und die Ergebnisse heute und morgen auf einer Konferenz zu diesem Thema an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften vorstellt.

    " Es gibt ja damals nicht wie jetzt verschiedene Theater, die zum Beispiel Boulevard bringen oder die Komödie bringen oder die die Klassik pflegen und spielen, sondern es gibt nur ein Theater. In diesem Theater findet alles statt, es findet die große französische Komödie statt, es wird dort Shakespeare aufgeführt, Lustspiele werden aufgeführt von Kotzebue und Iffland, es wird Ballett aufgeführt, Oper, Operette, Singspiel, und es gibt in Berlin überhaupt noch nicht diese Differenzierung. Im Nationaltheater sitzen die noch alle zusammen friedlich, die Reichen und die Armen, der Pöbel, und die Gebildeten. "

    Die großen Autoren der Zeit, Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller lassen sich in Weimar genaustes und regelmäßig berichten, was da im entfernten Berlin vor sich geht. Zumal mit Iffland der berühmteste Schauspieler seiner Zeit ein ambitioniertes Ensemble leitet, das alle Klassiker, aber auch die Zeitgenossen im Repertoire hat. Gerlach:

    " Die saßen in Weimar, aber gespielt wurden sie in Berlin. "Die Jungfrau von Orleans" ist das erfolgreichste Stück überhaupt. Damit hat das Berliner Theater auch eine große Bedeutung für die Herausbildung des Kanons. Es wurde halt diskutiert über die Aufführungen, über den Inhalt der Stücke. "

    Die Ausstrahlungskraft des neuen Nationaltheaters war so groß, dass Friedrich Schiller kurzzeitig erwägt, seinen Wohnsitz vom beschaulichen Weimar in das quirlige Berlin zu verlegen, was allerdings an seinem schlechten Gesundheitszustand scheitert. Aber seine Stücke erfreuen sich großer Beliebtheit, werden oft gespielt und heiß diskutiert. Klaus Gerlach:

    " Es wurden auch in dieser Zeit Kulturjournale gegründet, zum Beispiel "Der Freimüthige" oder "Ernst und Scherz" oder "Die Zeitung für die elegante Welt" und alle diese Journale brachten auch Theaterkritiken, Das heißt, dass eine Debatte in Gang kam, das also verschiedene Leute mit verschiedenen ästhetischen Meinungen über die Stücke, über die Schauspieler, über die Tänzer, über die Opernsänger, die Opern, es wurde ja auch Musik aufgeführt in diesem Theater, gesprochen haben und es entstand wirklich eine unglaubliche Debatte, eine unglaubliche Stimmenvielfalt, Man sprach damals sogar von einer ästhetischen Prügelei nicht um irgendein Theater, nicht das Weimarer, nicht das Hamburger Theater, sondern der Fokus richtete sich wirklich auf dieses Berliner Theater. "

    Als das Nationaltheater auf dem Gendarmenmarkt im Jahre 1817 abbrennt, ist auch eine Epoche des Aufbruchs und der Liberalität an ihrem Ende angelangt. Der neue König Friedrich Wilhelm der III. interessiert sich spätestens nach dem Tod seiner Frau, der feinsinnigen und beliebten Königen Luise nicht mehr für die schönen Künste. Mit den Bestimmungen des Wiener Kongresses und der Karlsbader Beschlüsse tritt ein restaurativer Geist auf, Zensur und Militär tun das Ihrige, um Kunst und Wissenschaft unter Druck zu setzen.: die Blütezeit der "Berliner Klassik" ist vorbei.