Archiv


Berliner Opernwochenende des 20. Jahrhunderts

Ambitioniert. Der Underdog als Bohnenbüchsen-Transporter, von der Wiege bis zur Bahre. Wozzecks Leben schert sich fast ausschließlich hier um die Bohne. Fleißig löffelt er die gekochten Feldfrüchte aus der Dose. Etwas fahrig steht er gelegentlich am Bohnenbüchsen-Förderband und schichtet Konserven in die Versandkartons, die er dann durch die Gegend karrt.

Von Georg Friedrich Kühn |
    Es ist was mit ihm. Es ist was mit seiner Marie. Die geht Zuverdienen als Putze im Bohnenbüchsen-Betrieb, treibt’s dort nebenher mit dem sou chef hinterm Sofa. Am Ende schneidet Wozzeck ihr denn auch die Kehle durch mit einem Bohnenbüchsen-Deckel.

    Derweil der Sohn als letzte Hinterlassenschaft eine Bohnenbüchse in Geschenkpackung mit Umhängelöffel bekommt, und Wozzeck in einem Container von leeren Bohnenbüchsen ertrinkt.

    Klingt pfiffiger als es auf der Bühne funktioniert. Richard Jones hat das Bohnen-Menu aus der Büchse an der Berliner Komischen Oper angerichtet. Sein Bühnenbildner Paul Steinberg hat ihm dazu ein Ambiente gebaut, das mittels einer halbhohen Verblendung die Figuren, wenn sie auftreten, kopflos erscheinen lässt. Das Finish der Einrichtung ist garantiert Plastik, Holz-Imitat. Die Bühnentiefe ist verkürzt. Eng geht es auf dieser Bühne zu wie in einer Büchse.

    So etwas wie Spiel entfalten kann sich da nicht. Vermutlich war das vom Regisseur auch gar nicht beabsichtigt. Sehr kopfig wirkt das alles, zumal Jones jede der 15 Szenen abteilen lässt mit einem Weißvorhang. Um den Fluss der Musik der vom Komponisten Alban Berg ja als Symphonie gedachten Wozzeck-Oper kümmert er sich nicht. Freilich spielt das Orchester der Komischen Oper unter Manfred Honeck auch nicht gerade konzentriert. Oder nur uninspiriert?

    Die Sänger-Darsteller bleiben blass außer der Marie von Gun-Brit Barkmin. Der Hauptdarsteller Garry Magee hatte zu kämpfen mit den Folgen eines Bühnenunfalls bei der Generalprobe.

    Sehr viel braver geht es zu auf der Bühne der Staatsoper. Dort hat der bisher vor allem im Schauspiel tätige Christian Pade zusammen mit seinem Ausstatter-Partner Alexander Lintl Hans Werner Henzes 1961 in Schwetzingen uraufgeführte Elegie für junge Liebende herausgebracht. Es ist ihre zweite Opernarbeit.

    Henze selber hatte wiederholt dies Stück, seine Auseinandersetzung mit den ästhetischen Wegbereitern des Faschismus, dirigiert oder inszeniert. Im Mittelpunkt steht der Dichter Gregor Mittenhofer. Er ist die Karikatur eines Stefan George nachgebildeten Meister-Dichters. Der sammelt um sich herum einen Kreis ergebener Menschen. Die braucht er zur Steigerung seines Ego und als Stimulans seiner erlahmenden künstlerischen Schaffenskraft.

    Man trifft sich in einem Berghotel zur Sommerfrische. Deren Idylle wird getrübt durch den Sohn des begleitenden Arztes, Toni. Als Toni Mittenhofer die Geliebte Elisabeth ausspannt, begreift der das als Material wieder für ein neues Poem. Unter einem Vorwand schickt er die beiden in den Berg, ihren Tod im Schneesturm einkalkulierend. Anderntags trägt Mittenhofer sein neuestes Gedicht vor zur Feier seines 60.Geburtstags, auch wenn nur noch lallende Vokale dem Gehege seiner Zähne entfleuchen.

    Sehr stilisiert ist das von Pade und Lintl in Szene gesetzt. Als buchstäblich roter Faden dient ihnen ein Ariadnefaden, den Frau Mack zum Knäuel spult. Sie gehört zu des Dichters Entourage. Seit 40 Jahren wartet sie darauf, dass ihr im ewigen Eis verschollener Gatte wieder zum Vorschein kommt. Für Mittenhofer spinnt sie mit ihren Wahnideen die schönsten Fädchen für sein dichterisches Werk.

    Den rechten Biss hat das freilich alles nicht. Um heute das bedenkenlose Verheizen junger Menschen zum eigenen Ruhm zu zeigen, bedürfte es denn doch etwas stärkerer Bilder. Umso kräftiger ist der musikalische Eindruck. Und das ist vor allem ein Verdienst des Dirigenten Philippe Jordan.

    Höchst präzise ziseliert er die Henzesche Partitur, die auch vor ironisch-sarkastischen Tönen nicht zurück schreckt. Feinfühlig begleitet er das im Eis seine letzten Vokalisen verhauchende Liebespaar. Katherina Müller und Stephan Rügamer singen dies junge Paar. Andreas Schmidt gibt überzeugend den zynisch-berechnenden Dichterfürsten.

    Sichtlich gerührt nahm am Ende der inzwischen doch schon gebrechlich wirkende, fast 78-jährige Henze den Jubel des Publikums mit entgegen. Zumindest einen "diplomatischen" Erfolg konnte die Staatsoper mit dieser Produktion verbuchen. Trösten kann man sich mit der kommenden Saison. Da ist wohl einiges Interessantere in petto.