Donnerstag, 02. Mai 2024

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Berliner Studenten in Palästina

Der Berliner Student Stephan Lanzinger ist erst 25 Jahre alt und hat schon seine eigene NGO. Vor fünf Jahren war er nach dem Abi zum ersten Mal in Israel und Palästina. Vor drei Jahren war es dann soweit, er gründete mit einem palästinensischen Freund die Organisation Karama. Seitdem verbringt er fast jeden Sommer im Flüchtlingslager Deheishe bei Bethlehem, um dort mit anzupacken.

Von Christina Bramsmann | 10.11.2004
    Karama bedeutet Würde, weil es darum geht, den Leuten ein Stück Würde zurückzugeben oder ihnen zu ermöglichen, dass sie ihre Würde nicht verlieren.

    Stephan Lanzinger sitzt gerade im Karama-Büro und versucht, ein Konzept für einen Austausch zwischen Studierenden aus Berlin und Bethlehem zu schreiben. Es müssen noch Sponsoren gefunden werden. Nebenan ist der Theaterworkshop zu hören. Zwei Berliner Studentinnen sind nach Deheishe gekommen um drei Wochen lang vor allem mit Mädchen zu arbeiten.

    So konkret waren die Vorstellungen noch nicht, als Karama vor drei Jahren gegründet wurde. Aber Stephan Lanzinger und seinem Freund Jasser Al-Haj aus Deheishe war klar, warum etwas getan werden muss:

    Das sind so die kleinen Dinge, dass die einfach nicht raus kommen, auch keine Bewegung haben, dass es hier keine Spielplatze gibt. Und dass sie dann auch täglich mit der Gewalt konfrontiert sind, miterleben wie Häuser zerstört werden, miterleben, dass Verwandte erschossen werden und dass sie sogar zum Teil selbst verletzt sind. Und das erleben sie Tag für Tag und das hinterlässt natürlich Spuren.

    Im Flüchtlingslager Deheishe wohnen etwa 12.000 Menschen auf nur einem Quadratkilometer. Die meisten Familien sind schon seit über 50 Jahren hier. Zwar wohnen sie nicht mehr in Zelten, haben meist Strom und Wasser, aber es sind andere Dinge, die das Leben schwer machen. Die vielen Kleinigkeiten sind auch Tom Eickhof erst nach ein paar Tagen aufgefallen. Er hat im Sommer bei Karama gearbeitet und im Camp bei einer Familie gelebt:

    Diese Enge und den hohen Lautstärkepegel, der ständig da ist und den Gestank, den man in jeder Gasse findet, das setzt einem mit der Zeit schon zu. Zu den Kleinigkeiten gehört einfach, dass man sehr, sehr oft schmutzige Kinder sieht, die wirklich einfach sich in keinem physisch guten Zustand befinden, also im Prinzip verwahrlost sind. Es sind die traurigen Gesichter, die einem teilweise entgegengucken, es sind die zerstörten Häuser, die man nach und nach entdeckt.

    Trotzdem ist der Eindruck, den Tom Eickhof nach seinem ersten Besuch in Palästina mit nach Hause nimmt sehr positiv:

    Der Nahe Osten, den man sonst in der Tagesschau sieht, dass ist, glaube ich, nicht der Nahe Osten, den man hier erlebt. Ich denke, was wir in der Tagesschau sehen, dass sind die Straßenkämpfe, das sind die Attentate in Israel. Was man hier erlebt, die konkrete Not vor Ort, die kleinen alltäglichen Probleme. Aber auch die Gastfreundschaft der Menschen, die hier einfach umwerfend ist. Die Freundlichkeit mit der man empfangen wird, mit der man zu Hause aufgenommen wird in der Familie, mit der man zum Essen eingeladen wird, zum Tee.

    Auch Jessica Hentschel ist von der Herzlichkeit im Flüchtlingslager überrascht. Sie will für ein Jahr als Volontärin bei Karama arbeiten:

    Ich hab grad meine Schule beendet und wollte danach erstmal praktisch arbeiten, neue Länder und Kulturen kennen lernen und mich auch etwas sozial engagieren, mit Kindern arbeiten und ihnen ein bisschen Bildung beibringen.

    Bildung ist auch für den Karama-Mitgründer Jasser Al-Haj eines der Hauptziele der Organisation:

    Jetzt gibt es einige Kinder, die etwas lernen wollen und können und das gibt ihnen Hoffnung. Ich glaube, so viele Menschen sind froh über Karama, weil sie wissen, dass ihre Kinder dort etwas neue Dinge lernen können.

    Aber auch den Müttern und jungen Frauen will Karama neue Perspektiven bieten. Zum Beispiel durch Vorträge zum Thema Erziehung, Gewalt in der Familie oder zum Umgang mit traumatisierten Kindern, so Stephan Lanzinger:

    Das Camp ist noch sehr traditionell geprägt, dass heißt der traditionelle Platz der Frau ist im Haus. Und das liegt gar nicht mal immer nur an den Männern oder an den Familien sondern zu Teil auch an den Frauen selbst, dass die das gar nicht kennen oder gewohnt sind Veranstaltungen außerhalb des Hauses zu besuchen.

    Damit in Zukunft noch mehr Menschen bei Karama mitmachen können, ist zur Zeit ein größeres Haus der dringendste Wunsch von Stephan Lanzinger und seinen Kollegen. Und im nächsten Sommer soll dann der Studentenaustausch Berlin-Bethlehem starten.