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Berliner Theaterstück
Was ist der Dschihad?

Was hat der europäische Kolonialismus mit dem Dschihad zu tun? Einiges, wie das Stück "El Dschihad" von Regisseurin Claudia Basrawi zeigt, das morgen im Ballhaus Naunynstraße in Berlin Premiere feiert. Sie lässt darin Schauspieler Interviews nachsprechen, die sie mit Islamwissenschaftlern, Militärhistorikern und einem Imam zum Thema Dschihad geführt hat. Ästhetisch eher langweilig, inhaltlich aber hochinteressant.

Von Oliver Kranz | 31.08.2015
    Die Regisseurin, Schauspielerin und Autorin Claudia Basrawi
    Die Regisseurin, Schauspielerin und Autorin Claudia Basrawi (imago/stock&people/gezett)
    "Ich möchte erst einmal alle Anwesenden ganz herzlich begrüßen. Mein Name ist Claudia Basrawi. Es ist mir ganz wichtig, dass sie am Anfang etwas über meine Motivation erfahren..."
    Die Regisseurin steht selbst auf der Bühne. Claudia Basrawi wurde 1962 in Beirut geboren und studierte in den späten 80er-Jahren in Damaskus. Sie hatte in Syrien die vielleicht beste Zeit ihres Lebens. Daher war es für sie besonders schmerzhaft, als dort 2011 der Bürgerkrieg ausbrach:
    "Und dann habe ich erst mal angefangen zu recherchieren - im Internet, Zeitungsartikel, alles Mögliche - ganze Nächte lang..."
    Das Theaterstück, das jetzt zu sehen ist, ist ein Ergebnis dieser Recherche.
    Hat Islamwissenschaftler, Militärhistoriker und einen Imam zum Thema Dschihad befragt. Und lässt jetzt Schauspieler die Interviews nachspielen.
    Erdinç: "Ey Müsülmanlar, bilinzki devletimiz İslamiyetin addû vecahnu olan Moskov, İngliz ve Fransiz hukümetleriyle muharib bulunuyor. Emir-il-Müminin Hazretleri Sizleri Cihad'adavet ediyor!"
    So in etwa könnte es geklungen haben, als 1915 im Gefangenenlager Wünsdorf im Süden Berlins zum Dschihad aufgerufen wurde. Mehrere Tausend Muslime waren dort inhaftiert. Sie wurden gut behandelt, durften ihren Glauben ausüben und hatten sogar eine Moschee. Einige von ihnen wurden später als Agenten im Nahen Osten eingesetzt. Claudia Basrawi zitiert eine Richtlinie des deutschen Diplomaten Max Freiherr von Oppenheim, die sie im Archiv des Auswärtigen Amtes gefunden hat:
    "Die Idee von Oppenheim war ja, dass es mehrere Sabotageakte geben sollte. Es sollten auch Ölquellen brennen und dergleichen. Und vor allen Dingen wollte sich Deutschland quasi als Schutzmacht für die unterdrückten Völker, die unter der Kolonialherrschaft litten, darstellen."
    Dschihad heißt wörtlich übersetzt so viel wie Anstrengung oder Bemühung
    - Unter der Kolonialherrschaft der Briten und Franzosen, versteht sich. Schon 1898 hatte der deutsche Kaiser in Damaskus eine Rede gehalten und sich zum Schutzpatron aller Muslime erklärt. In vielen Moscheen wurde während des Ersten Weltkriegs für Deutschland gebetet. Doch große Aufstände blieben aus:
    "Die Idee des Panislamismus, die war ja damals noch recht neu als Reaktion auf die Vormachtstellung der Europäer. Die hat noch nicht gezündet. Eine Gruppe von Leuten aufzuwiegeln gegen die Fremdherrschaft, das war noch irgendwie möglich, aber nicht übergreifend von Marokko bis nach Indien das alles zusammenzufassen."
    Heute hingegen gibt es weltweit operierende islamistische Gruppen. Die Kämpfer von Al Kaida oder dem IS kommen aus vielen verschiedenen Staaten. Ihre Nationalität ist für die Islamisten nicht so wichtig. Was zählt, ist ihre Treue zu den dschihadistischen Zielen.
    Das Wort "Dschihad" wird heute in Deutschland oft als Heiliger Krieg verstanden. Doch das ist falsch, sagt Claudia Basrawi. Im Grunde könne man jedes größere Projekt zu seinem Dschihad erklären. Der Begriff heißt wörtlich übersetzt so viel wie Anstrengung oder Bemühung. Im Ersten Weltkrieg gab es im Gefangenenlager in Wünsdorf eine Zeitung, die "Dschihad" hieß. Heute wird das Wort von Islamisten benutzt, um im Westen Angst und Schrecken zu verbreiten:
    Frau K: "Heute erleben wir, dass der IS mediengerechte Portionen Propaganda veröffentlicht und fest damit rechnet, damit ein weltweites Echo zu erlangen, was oftmals auch geschieht. Insbesondere dann, wenn der IS sich wieder eine besonders perfide Methode des Mordens ausgedacht hat. Terrorismus lebt also ein Stück weit davon, dass die Medien über ihn berichten und ihm somit Bedeutung beimessen."
    Keine neuen deutschen Schuldgefühle wecken
    Im Stück folgt Interview auf Interview auf Interview. Mal sprechen die Darsteller direkt miteinander, mal werden sie gefilmt. Ästhetisch ist das eher langweilig, doch inhaltlich hochinteressant. Durch die Gegenüberstellung historischer und aktueller Dokumente wird klar, dass das, was man heute Terrorismus nennt, schon immer ein Mittel der Politik war.
    "Diese Barbarei ist einfach ein Kriegsmittel, um Leute einzuschüchtern und zu demoralisieren vor Ort. Da ist jedes Mittel recht. Genau solche Mittel wurden auch von Europäern eingesetzt."
    Besonders in den Kolonialkriegen. Da wurden Heiligtümer zerstört und Gefangene öffentlich hingerichtet - im Namen der europäischen und auch der deutschen Kultur. Doch Claudia Basrawi geht es mit ihrer Inszenierung nicht darum, neue deutsche Schuldgefühle wecken.
    "Eher Deutschland klarzumachen, dass diese Begriffe wie Islam oder Dschihad immer neu aufgeladen werden. Das ist nichts Festes. Das ist immer in Bewegung. Ich wollte nur, dass man sich in Deutschland erinnert, dass man dieser Sache mal ganz anders gegenüber stand."