"Das Theater als flüchtige Kunstform hat schon die Möglichkeit, auch tagesaktuell zu reagieren, und tut dies auch. Kunst hat immer die Aufgabe, Fragen zu stellen und den Finger in die Wunde zu halten",
sagt Yvonne Büdenhölzer, die Leiterin des Berliner Theatertreffens. Auch diese 53. Ausgabe arbeitet massiv gegen immer wieder gern geäußerte Vorurteile an, das Theater sei eine hoch subventionierte Kunstform für die "happy few", die ohnehin nicht mehr überzeugt werden müssen. Oder, wie die "WELT" unkte, das Theater sei ein "Geisterhaus toter Avantgarden", weil es nur noch an Performances, Flüchtlinge und Vergangenheitsbewältigung glaube und nicht mehr an die eigenen Mittel.
In seiner Eröffnungsrede bestätigt Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, den Befund indirekt und entlarvt ihn zugleich als gegenstandslos:
"Wieso ist das deutschsprachige Theater immer noch so interessant? Beim diesjährigen Theatertreffen gibt es kein einziges Stück, außer 'The Situation', bei dem man sagen kann, es wird noch vom Blatt gespielt. Heute Abend, das 'Schiff der Träume' nach Federico Fellini. Es ist die Zeit der offenen Formen, der Installationen, der Archiv-Simulationen wie bei Hans-Werner Kroesinger, der skulpturalen Setzungen wie bei Ersan Mondtag. Wir erleben mehr Flexibilität in dem, was Bühnen produzieren, mehr Nähe und Involviertheit der Zuschauer, die Community rückt näher an die Werke - und die Karten werden dadurch noch knapper."
Denn das Schöne am Theater wie an den ritualisierten Scheingefechten drum herum ist doch: Es gibt immer alles, und gleichzeitig, in dieser inzwischen auch in die Liste des immateriellen UNESCO-Welterbes aufgenommenen grandiosen deutschen Theaterlandschaft: Die Klassikervergegenwärtigung, das hochartifizielle Experiment, die demokratisierende Form der Bürgerbühne, das etwas andere Musical.
Aktualität auch auf der Bühne
Das Theater ist von dieser Welt, und es wird von Globalisierung und Digitalisierung und ja, auch von der Flüchtlingskrise genau so umgetrieben wie jede andere kritische Institution in dieser Gesellschaft. Das kann man beklagen, wie der Dramatiker Lothar Kittstein vor kurzem, der nur "altkluge postdramatische Orthodoxie" im derzeitigen Theater findet, dessen Aktionismus längst vom Kritischen ins Affirmative umgeschlagen sei.
Staatsministerin Monika Grütters, die bei der Eröffnung die Vielfalt der Auswahl lobte, hat demgegenüber eine sehr präzise Vorstellung von der kritischen Aufgabe des Theaters:
"Theater sind als eine Art Vexierspiel unserer Gesellschaft Unruhestifter im besten Sinne. Es sind Orte demokratischer Öffentlichkeit, an denen eine Gesellschaft ihre Werte mit der Wirklichkeit konfrontiert, ihre glücklichen Ereignisse und Konflikte verhandelt und sich natürlich auch ihren Defiziten und Widersprüchen stellt. Wir brauchen diese Orte der Selbstvergewisserung heute mehr denn je. Denn Kultur schafft Identität und ist unser stärkster Integrationsmotor."
Aber Achtung: Damit ist nun wirklich anderes gemeint als "sozialpädagogischer Reparaturbetrieb und outgesourceter Kunstunterricht". Sehr schön war das an der Eröffnungspremiere zu sehen, Karin Beiers "Schiff der Träume" vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, mit einem trauschönen, theater-selbstironischen, marthalerisch anmutenden Beginn und mit dem Einbruch der Wirklichkeit durch afrikanische sog. Flüchtlinge, die sehr selbstbewusst ganz bald uns sehr unangenehme Fragen stellen:
"Wir sind nicht nur gekommen, um euch zu helfen, sondern um eure Probleme mit euch zu teilen. Wir möchten eure Probleme haben. Wir lieben eure Probleme! Shall I eat my sushi with Teriyaki sauce or with Wasabi sauce? Shall I be a vegetarian or a vegan? Soll ich meine Kinder in einen staatlichen Kindergarten geben oder in einen Montessori?!”
Initiation und Energie reichen aus
Damit sind die Schrecken der Wirklichkeit noch nicht gebannt und nicht ansatzweise gelöst. Aber aufgehoben in einer anderen Form, durch Kunst neu sichtbar gemacht. Man muss daran nicht glauben, und die wenigsten werden danach ihr Leben ändern. Viel Irritation, viel Energie, das reicht. Und das hat das Theatertreffen schon jetzt reichlich.