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Berlins Kulturstaatssekretär: Bahn verhält sich peinlich und provinziell

Nachdem die Deutsche Bundesbahn unter Hinweis auf technische Gründe einen Halt des "Zugs der Erinnerung" in Berlin abgelehnt hat, hat der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz mit Empörung reagiert. Dass das öffentliche Unternehmen außerdem 100.000 Euro für die Nutzung der Gleise verlange, sei ein Skandal, sagte Schmitz. Der "Zug der Erinnerung" informiert über die Deportationen jüdischer Kinder durch die Reichsbahn während der NS-Zeit.

Moderation: Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: Seit dem 8. November ist der "Zug der Erinnerung" unterwegs, in Deutschland und in Nachbarländern. Eine Dampflokomotive zieht die alten Waggons, in deren Inneren die Schicksale jüdischer Kinder dokumentiert werden, die mit der Reichsbahn in die Konzentrationslager deportiert und dort ermordet wurden. Aber auch die Täter und Organisatoren werden gezeigt, wenn denn dem Zug die Stationen an dem Bahnhof nicht verweigert oder die rollende Ausstellung nach wenigen Tagen wieder vertrieben wird, wie es in Köln und im Hamburg geschehen ist.

    Bahnchef Mehdorn war mit diesem von privater Hand initiierten "Zug der Erinnerung" nie ganz einverstanden, ließ darum eine hauseigenen Ausstellung für mehrere Städte in Deutschland zum Thema organisieren. Und nun will die Deutsche Bahn verhindern, dass der "Zug der Erinnerung" auf seinem Weg nach Auschwitz ab kommenden Sonntag Halt im Berliner Hauptbahnhof macht.

    Sicherheitsbedenken, weil wegen des Lokomotivdampfes die Rauchmelder abgestellt werden müssten, Platzmangel wegen zu geringer Gleiskapazitäten, so die Argumente der Bahn. Aber auch am Güterbahnhof Grunewald, einst zentraler Deportationsort, soll der Zug nicht halten dürfen. Der Berliner Senat finanziert den "Zug der Erinnerung" mit. Kulturstaatssekretär André Schmitz, verstehen Sie die Deutsche Bahn?

    André Schmitz: Nein, ich glaube, die versteht im Moment gar keiner mehr. Wie man sich so rufschädigend für die Bundesrepublik Deutschland verhalten kann, unvorstellbar.

    Ch. Schmitz: Ich muss nach den Gründen noch einmal fragen, ich hab sie vorhin erwähnt. Halten Sie die nicht für nachvollziehbar, Dampf einer Dampflokomotive im Hauptbahnhof Alarmanlage, Rauchmelder usw., muss man da nicht über Alternativen nachdenken?

    A.Schmitz: Ja, da sollte man über Alternativen nachdenken, die den Zug trotzdem möglich machen im Hauptbahnhof. Der Hauptbahnhof ist mit Milliarden gebaut, der modernste Bahnhof, den im Moment Europa zu bieten hat. Da wird es wohl Möglichkeiten geben, technischer Art, diesen Zug dort zu zeigen. Am Dampf kann es wohl nicht liegen.

    Ch. Schmitz: Woran liegt es denn, was denken Sie?

    A.Schmitz: Das müssten Sie die Deutsche Bahn fragen. Ich kann nur feststellen, dass ich dieses Verhalten als peinlich und provinziell nur bezeichnen kann. Und es schadet auch, ich kann ja hier nur für das Land Berlin sprechen, unseren gemeinsamen Bemühungen in der Stadt, im ehemaligen Machtzentrum des Nationalsozialismus, verantwortungsvoll mit unserer Geschichte umzugehen.

    Ch. Schmitz: Haben Sie mit der Bahn schon gesprochen?

    A.Schmitz: Ja, wir haben versucht, da zu vermitteln hinter den Kulissen, aber das ist uns nicht geglückt, und deshalb, denke ich, kann jetzt nur auch nur die öffentliche Stellungnahme hier was bewirken.

    Ch. Schmitz: Sie haben Gespräche geführt inhaltlicher Art. Wie gingen die vonstatten?

    A.Schmitz: Ja, über solche Gespräche würde ich jetzt nur ungern öffentlich reden. Aber ich finde, das ist auch ein so großes Unternehmen, muss in der Lage sein, hier diese technischen Gegebenheiten sicherzustellen. Und es passt allerdings in die Reihe der letzten Monate, wie die Bahn mit diesem Projekt "Zug der Erinnerung" umgegangen ist. Sie haben es ja selber auch schon angesprochen, es gab Probleme in Hamburg, in Köln und hier in Berlin, dort, wo die Shoa geplant und beschlossen worden ist, kann man diesen Zug nicht verhindern. Das ist mir völlig unvorstellbar.

    Ch. Schmitz: Wo sollte denn der rollende Erinnerungsort in Berlin gezeigt werden? Nur am Hauptbahnhof?

    A.Schmitz: Wir haben in Grunewald, das ist einer der Hauptpunkte, wo die Deportationen von Berlin nach Osten und vor allen Dingen nach Auschwitz abgegangen sind, ein sehr würdiges Mahnmal, Gedenkort errichtet. Dort sollte er gezeigt werden. Wenn es nach mir geht, können Sie das an jedem Berliner Bahnhof zeigen, weil man mit dieser Erinnerungsarbeit, mit dieser Aufklärung über unsere gemeinsame deutsche Geschichte möglichst viele Besucher, Berlinerinnen und Berliner und auch die auswärtigen Besucher, in Berührung bringen sollte. Von daher kann es gar nicht Bahnhöfe genug geben.

    Ch. Schmitz: Hat denn die Deutsche Bahn keine Alternative in Berlin vorgeschlagen?

    A.Schmitz: Diese Fragen, die Sie mir jetzt stellen, müssten Sie eigentlich alle an die Bahn stellen. Ich kann nur sagen, wir haben uns bemüht, hier finanziell auch zu helfen, weil wir den "Zug der Erinnerung" für eine richtige Gedenkarbeit empfinden. Und ich kann nur sagen, dass die Bahn jetzt noch Bahngleisbenutzungsgebühren nehmen will für diesen Zug, die gleichen Gleise, auf denen womöglich früher die Deportationen nach Auschwitz stattgefunden haben, halte ich für einen Skandal.

    Ch. Schmitz: Davon ist die Bahn anscheinend auch nicht abgewichen. 100.000 Euro etwa will man haben für die Trassennutzung und für die Bahnhofsnutzung. Was sagen Sie dazu?

    A.Schmitz: Das finde ich einen Skandal. Da könnte man ja fast zu einem Befürworter der Privatisierung der Bahn werden, was ich ausdrücklich nicht bin, weil ich finde, die Bahn gehört uns allen. Aber sie sollte sich, bitte ich, als gemeinnütziges und öffentliches Unternehmen auch entsprechend ihrer Verantwortung verhalten.

    Ch. Schmitz: Was können Sie denn tun, außer dass Sie nun die gescheiterten Verhandlungen publik machen, um die Bahn zum Einlenken zu bewegen? Gibt es Kooperationen Ihrerseits mit anderen Institutionen, um die Bahn weiter ins Gespräch zu bringen?

    A.Schmitz: Hier kann man nur appellieren an das Verantwortungsgefühl, das Geschichtsbewusstsein der Bahn. Und ich bin sicher, dass es hier verantwortliche Menschen geben wird, die hier die richtigen Entscheidungen in ganz absehbarer Zeit fällen werden.

    Ch. Schmitz: Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz über die Weigerung der Deutschen Bahn, den "Zug der Erinnerung" am Hauptbahnhof der Hauptstadt Station zu gewähren.