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Bern relativ

In Bern verbrachte Albert Einstein nicht nur sieben Jahre seines Lebens, dort veröffentlichte er 1905 auch seine bahnbrechenden Arbeiten zur Relativitäts- und Quantentheorie. Ein Jahrhundert später versuchen die Universität und die Stadtoberen diesen Monolithen der Physik zu würdigen - und das mit einer ganz besonderen Attraktion: dem Einstein-Pfad Bern.

Von Michael Marek | 09.01.2011
    "Verehrte An- und Abwesende! Der Urquell aller technischen Errungenschaft ist die göttliche Neugier und der Spieltrieb des bastelnden und grübelnden Forschers und ..."
    Albert Einstein

    "... und Einstein war eine starke Persönlichkeit, die vielfältig interpretiert werden konnte. Also, der Antiautoritäre wird mit der ausgestreckten Zunge zitiert ..."
    Gerd Graßhof

    "Albert Einstein wurde am 17. März 1879 in Ulm geboren. Nun möchte ich Sie bitten, zu schauen möglichst zur Gerechtigkeitsgasse Nummer 32. In seiner Berner Zeit zog Albert Einstein sieben Mal um ..."
    Stadtführerin in Bern
    Die Altstadt von Bern: Die leuchtend rote Straßenbahn fährt vorbei an klassizistischen Häuserfassaden, an mittelalterlichen Brunnen und geschmückten Arkadengängen mit vielen kleinen Boutiquen und Cafés.

    Seit 1983 gehört der historische Ortskern mit der berühmten Zytglogge, dem Zeitglockenturm-Turm, zum UNESCO-Weltkulturerbe. Hier, in der kopfsteingepflasterten Schweizer Hauptstadt, hat Albert Einstein eine naturwissenschaftliche Revolution in Gang gesetzt. Hier verbrachte er nicht nur sieben Jahre seines Lebens, in Bern veröffentlichte er 1905 auch seine bahnbrechenden Arbeiten zur Relativitäts- und Quantentheorie. Ein Jahrhundert später versuchen die Universität und die Stadtoberen diesen Monolithen der Physik zu würdigen – und das mit einer ganz besonderen Attraktion: dem Einstein-Pfad Bern.
    "Wie kann man eigentlich eine Biografie vermitteln – anders als nur über Bücher, nur über Kurzfilme, die relativ wenig Ausschnitte vermitteln können und auch dauerhaft vermitteln können?"
    ... sagt Gerd Graßhoff, Direktor am Berner Institut für Philosophie und ausgewiesener Einstein-Kenner:
    "Das sind jetzt insgesamt 88 Orte in Bern geworden ... wo sich Einstein, seine Freunde, Gesprächspartner, Lehrer aufgehalten haben. Und [...] Wir haben uns gewundert, es ist nur ein Gebäude, was nicht mehr existiert auf diesen Stationen. Der Rest steht noch so wie vor 100 Jahren."

    Eine "geographische Biografie" ist so entstanden, die Einsteins Leben und Wirken während seiner Berner Zeit beschreibt. Dazu haben Graßhoff und seine Mitarbeiter einen Stadtplan entworfen – anschaulich und "bewegend" zugleich, wenn man zu Fuß, mit dem Fahrrad oder der Straßenbahn den Einstein-Pfad erobern will. Mit Hilfe der Karte lässt sich schnell erkennen, wo der berühmte Physiker wohnte oder wo er mit Freunden zum abendlichen Diskutieren zusammentraf:
    "Und wir wollen heute eine symbolische Übergabe dieser Schilder an die Stadt vornehmen – mit dem wir hoffen, dass [...] er viele Interessierte und Touristen nach Bern bringt und dass die Stadt florieren möge [...] Ich freue mich, dass der Stadtpräsident mit mir dieses vollziehen wird ..."

    Alexander Tschäppät:
    "Es freut mich, für Bern mit dem heutigen Tag ... erlebbar zu machen. Und deshalb werden wir jetzt diese ersten Plakate enthüllen! Wollen wir? Ja!"

    Bern ist stolz auf "seinen" Einstein. Wissenschaft, Politik und Tourismus gehen Hand in Hand. Aber: Zum Glück gibt es in noch keine Albert-Einstein-Andenken-Industrie, keine Kaffeetassen mit seinem Konterfei, keine Schokoladen oder T-Shirts mit seinem Namenszug.

    Gerd Graßhoff:
    "Einstein bevorzugte das Kirchfeld ... in das Viertel zog ... kleine Villen mit mehr Einkommen ... Das Bild vom kleinen armen Beamten, das stimmt einfach nicht. Und das sieht man sofort, wenn man durch das Quartier geht ... genoss diesen Lebensstil ... Das sieht man nur, wenn man dort hingeht."

    Seine erste Berner Junggesellenwohnung in der Gerechtigkeitsgasse 32 meldete Einstein dem Wohnsitzregister der städtischen Polizei. Im Frühjahr 1905 lebte Einstein zusammen mit seiner ersten Frau Mileva und dem einjährigen Söhnchen Hans Albert in einer möblierten Wohnung an der Kramgasse 49, wo unter anderem seine theoretischen Arbeiten entstanden.

    Aber all diese ortsgebundenen Geschichten und Geschichtchen – reduzieren sie nicht Leben und Werk des Albert Einsteins auf die bloße Materialität von Häuserfassaden und Straßennamen? Besteht da nicht die Gefahr, Biografisches zu banalisieren - beispielsweise, dass Einstein immer in Filzpantoffeln zur Arbeit ging? Gerd Graßhoff:
    "Anekdoten haben oftmals einen durchaus realistischen Kern. Es ist bekannt, Einstein wurde vom Militärdienst freigesetzt ... Er hatte Schweißfüße, dass er militäruntauglich war. Und das führte dazu, dass es ihm unangenehm war, mit geschlossenen Schuhen zu gehen ... Da versteht man, warum Einstein, der sehr in dieser Zeit Wert legte auf gepflegte Kleidung, sich mit Filzpantoffeln bewegte ... und das hat nichts mit der Figur Einsteins zu tun."

    Stadtführerin:
    "Albert Einstein wurde am 17. März 1879 in Ulm geboren. Sein Vater war ... Nun möchte ich Sie bitten, zu schauen möglichst zur Gerechtigkeitsgasse Nummer 32. In seiner Berner Zeit zog Albert Einstein sieben Mal um ..."

    Schauspielerin:
    "Ja, Sie haben recht! Ich bin Mileva Maric, Einsteins erste Frau. Ich habe Albert ... kennengelernt ... Und wir waren sehr verliebt. Und dann haben wir das Lieserl bekommen ... Beamtenlaufbahn beschädigt ... Albert ist so ein Schussel ... Schlüssel liegen gelassen in der Hochzeitsnacht ..."
    Warum Albert Einstein vom Hausmeister der Hochschule für einen Russen gehalten wurde, was Einstein mit Elvis Presley gemeinsam hat und wie es ihm gelang, im Berner Patentamt die Kosmologie zu revolutionieren - damit beschäftigt sich "Einstein relativ". Eine Schauspielerin und ein Stadtführer entführen die Teilnehmer auf die Spuren des Einstein-Pfades, lesen aus Briefen, und philosophieren über Einsteins weltliches Kloster in Bern:
    "Man kann sich vorstellen, was hat der Mensch gesehen, als er hier durchgegangen ist, was hat er vielleicht gedacht, was waren die Probleme",
    ... sagt Rohri Jain, Soziologe und Stadtführer:

    "Das ist noch ein Schritt weiter zum Nacherleben von Geschichte. Beim Café Bollwerk war Einstein oft mit seinen Freunden ... dort wird ein Schauspiel angesiedelt. Und Maurice Solovine, sein Freund aus der 'Akademie Olympia', wird dort heraustreten Fantasie anregen und erzählt, was dort gerade passiert ist in der Kneipe"

    Heute beherbergt das Haus am Bollwerk 21 eine einfache, schmucklose Kneipe, die tagsüber gut besucht ist. Einstein verbrachte viel Zeit in der ehemaligen Brasserie, die heute Café Bollwerk heißt. Doch schon geht es weiter. Knapp eineinhalb Stunden dauert die Stadtführung. Ein herrlicher Wintertag mit blauem Himmel begleitet die etwa 20 Teilnehmer. Es geht zu, fast wie auf einem Familientreffen.
    Zitator:
    "Mir geht es gut, ich bin ehrwürdiger eidgenössischer Tintenscheißer mit ordentlichem Gehalt. Daneben reite ich auf meinem alten mathematisch-physikalischen Steckenpferd und fege auf der Geige."

    Sobald er das geforderte Pensum an Patenten bearbeitet hatte, soll Einstein seine Manuskripte aus der Schublade hervorgezogen und sich mit physikalischen Arbeiten vergnügt haben. Danach hätte er seine Aufsätze in der Pause, auf dem Heimweg oder beim Abendessen mit Freunden diskutiert, erzählt die Stadtführerin. Heute gehört das schöne Gebäude dem Telekommunikationsriesen Swisscom, aber Einsteins Arbeitszimmer, das ist erhalten geblieben. Nur hinein kommt man nicht – wegen der vielen Touristen und Schaulustigen:
    Stadtführerin:
    "Nun, zuerst möchte ich Sie darauf hinweisen, dass wir von hier aus das Hauptgebäude der Universität sehen, dass zu Einsteins Zeiten gebaut wurden ... Ich möchte ihnen nun einen Ausschnitt aus einer Rede Albert Einstein vorspielen ..."

    Albert Einstein:
    "Nach Wohlleben und Luxus strebte ich nie und habe sogar ein gut Teil Verachtung dafür. Meine Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit hat mich oft in Konflikt mit den Menschen gebracht, ebenso meine Abneigung gegen jede Bindung und Abhängigkeit, die mir nicht notwendig erscheint. Ich achte stets das Individuum und hege eine unüberwindbare Abneigung gegen Gewalt und gegen Vereinsmeierei. Aus all diesen Motiven bin ich leidenschaftlicher Pazifist und Antimilitarist, lehne jeden Nationalismus ab, auch wenn er sich nur als Patriotismus gebärdet."

    Gerd Graßhoff:
    "Als Einstein früher hier saß und die Presse sich anmeldete, dann nahm er immer einen Kamm und produzierte sein Haar wie man es dann auch kannte!' Etwas wirr, etwas ... Das war also etwas, was von Einstein durchaus gepflegt wurde ... Er war also nicht nur Verfolgter dieses öffentlichen Bildes, sondern auch Gestalter."

    Stadtführerin:
    "Obwohl er nie wieder nach Bern zurückkam, blieb ihm Bern in guter Erinnerung ... Auch war hier seine fruchtbarste Zeit seines Leben ... Ich hoffe, dass wir Ihnen mit diesem Rundgang den Menschen Albert Einstein etwas näher bringen konnten und möchte mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit bedanken ..." (Applaus)
    Der Einstein-Pfad in Bern führt zu Wirkungsstätten des berühmten Physikers.
    Der Einstein-Pfad in Bern führt zu Wirkungsstätten des berühmten Physikers. (Michael Marek)