Warum sollte ein ordentliches Abwassersystem in Gaza dem Friedensprozess nützen? Was haben chinesische Gastarbeiter in Tel Aviv mit dem Nahostkonflikt zu tun? Eine ganze Menge, meint Bernard Wasserstein, Professor für Geschichte an der Universität Glasgow. Am Ende, so seine Einschätzung, werden bestimmte Sachzwänge die beiden Seiten wieder an den Verhandlungstisch und zu einem Abkommen bringen.
Zwischen den Wasserressourcen, von denen Israelis und Palästinenser gleichermaßen abhängen, kann keine Mauer errichtet werden. Sie sind wie siamesische Zwillinge, die einen wichtigen Lebensstoff miteinander teilen. Auf lange Sicht kommen sowohl die Israelis als auch die Palästinenser zu der Einsicht, dass die Zusammenarbeit nicht nur wünschenswert, sondern unvermeidlich ist.
Die Medien mögen hauptsächlich von Terroranschlägen und Vergeltungsaktionen berichten. Leise, unverdrossen und sehr effektiv sorgt ein israelisch-palästinensisches Wasserkomitee trotz der gewaltsamen Auseinandersetzungen noch immer dafür, dass Abwasser eben nicht ungehindert in das Grundwasser oder an die Strände Gazas fließen. Für die so genannten Endstatus-Verhandlungen, in denen auch die Verwaltung der Wasserressourcen geregelt werden muss, dürften die langen Jahre vertrauensvoller Zusammenarbeit von unschätzbarem Wert sein. Irgendwann einmal!
Und die Chinesen in Tel Aviv? Sie bringen, glaubt Wasserstein, den zionistischen Traum eines demokratischen, jüdischen Staates genauso in Gefahr wie es die Besatzung der West Bank und des Gazastreifens tut. Seit dem Beginn der Intifada vor drei Jahren dürfen Palästinenser aus den besetzten Gebieten sich nur noch in absoluten Ausnahmefällen legal in Israel aufhalten, geschweige denn dort arbeiten. Weil die israelische Wirtschaft aber auf billige Arbeitskräfte nicht verzichten will, holte man Gastarbeiter aus Rumänien, Thailand, der Ukraine, aus der Türkei, Ghana, den Philippinen und China ins Land. Sie verfügen nur über Kurzzeit-Verträge und sollten – theoretisch wenigstens – bald wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Die meisten jedoch bleiben.
Einige Stadtviertel im Süden von Tel Aviv wurden zu ethnischen Enklaven dieser Arbeiter mit unverwechselbaren Charakteristika, gesellschaftlichen Bräuchen und Institutionen wie Kirchen, sozialen Einrichtungen und Bordellen für die allein stehenden jungen Männer.
Fast 300.000 Gastarbeiter leben inzwischen in Israel, zwei Drittel davon illegal. Will Israel die Gastarbeiter nicht brutal aus dem Land schmeißen, wird man sie eines Tages integrieren müssen: eine neue nicht-jüdische Minderheit, die die demographische Balance verändert.
Das Wasser und die Chinesen - zwei Aspekte, die willkürlich ausgewählt scheinen, die aber symptomatisch sind für die Absurdität des Nahostkonflikts. Was der anderen Seite nützt, kann uns doch nur schaden, glauben offensichtlich noch viele. Dabei liegt, wie simpel, die Lösung in der Kooperation. Wenn Palästinenser wieder in Israel arbeiten dürften, wäre beiden Seiten geholfen. Eine Handvoll weitsichtiger Unternehmer hat das offensichtlich begriffen. Sie sind dazu übergegangen, schreibt Wasserstein, wieder in Industrieparks an der Grenze zu den palästinensischen Gebieten zu investieren. Arme Nachbarn, wissen sie, sind schlechte Nachbarn. Jobs schaffen auch mehr Sicherheit.
Wassersteins Buch ist eigentlich nur ein Büchlein von knapp 150 Seiten. Trotzdem ist es informativer als die halben Bibliotheken, die schon zum Nahostkonflikt verfasst wurden. Er bemüht nicht immer die gleichen Bilder vom ewigen Kreislauf der Gewalt, dem beide Seiten verhaftet seien. Ganz so, als könnten die Beteiligten wie in einer griechischen Tragödie ihrem Schicksal nicht entrinnen. Er behandelt den Konflikt nicht von den Ursprüngen bis zur Gegenwart. Doch er verzichtet auch nicht auf die Geschichte. Wasserstein bündelt seine Themen schlicht anders, beschreibt "Die Menschen", "Die Gesellschaften", "Die Umwelt" und "Das Territorium". So stellt er andere Zusammenhänge her, verfolgt die Entwicklung beider Gesellschaften, räumt mit alten Mythen auf.
Ein Beispiel: Den Palästinensern sei es nicht zuzumuten, sich auch nur mit einem Zentimeter weniger als der gesamten West Bank, Gazas und Ost-Jerusalems zufrieden zu geben, betonte PLO-Chef Yasser Arafat beim Verhandlungsgipfel von Camp David im Juli 2000. Schließlich handele es sich bei diesen Gebieten nur noch um 22 Prozent des historischen Palästina. Nur gab es nie ein klar definiertes Land Palästina. Als den Briten 1920 das Mandat übertragen wurde, stritt man heftig über den Grenzverlauf. Denn unter türkischer Herrschaft war das Gebiet in vier Verwaltungsdistrikte geordnet, die Teile des heutigen Libanon, Syrien, Jordanien, Israel und Palästina umfassten. Die Grenzen für Palästina wurden von den Kolonialherren so willkürlich gezogen wie alle anderen Grenzen des Nahen Ostens. Wo ein jüdischer und wo der palästinensische Staat entstehen sollte, entschieden die Vereinten Nationen schlicht nach der jeweiligen Bevölkerungsmehrheit. Und genau das, so der Historiker Wasserstein, werde nun wieder geschehen: Denn trotz heftigen Siedlungsbaues ist es Israel nie gelungen, eine wirklich nennenswerte jüdische Bevölkerung in West Bank und Gaza zu verankern. Die meisten Siedlungen sind rund um Jerusalem angeordnet, in den besetzten Gebieten befinden sich fast nur kleine Enklaven mit ein paar hundert Einwohnern. Fast erleichtert stellt Wasserstein fest:
Angesichts der zahlreichen demographischen Untersuchungen, in denen eine arabische Mehrheit zwischen Jordan und Mittelmeer vorausgesagt wird, muss Israel bald eine Entscheidung über seine endgültigen Grenzen treffen. Im Zweifelsfall auch einseitig.
Im Nahen Osten werden Meinungen gerne für Tatsachen gehalten und politische Vorgänge oft über Gebühr emotionalisiert. Weil sie schon so viel gelitten hätten, könnten sie nicht aufhören zu kämpfen, ist von palästinensischer Seite zu hören. Israelis bemühen das alte Trauma der Verfolgung. Noch immer gehe es den Palästinensern darum, den jüdischen Staat von der Landkarte zu wischen. Gelassen, unpolemisch und kein bisschen trocken rationalisiert Wasserstein den Konflikt:
Weder Juden noch Araber sind wahnsinnige Psychopathen. Sie kämpfen um klar definierte Interessen, stützten sich auf verständliche Wertesysteme und verfolgen nachvollziehbare Ziele.
Das mag der Grund für den durchweg optimistischen Unterton des Buches sein: Mit klar definierten Interessen und nachvollziehbaren Zielen lässt sich umgehen. Sein Buch konzentriere sich vor allem auf einige vernachlässigte Aspekte des Konfliktes und stütze sich dabei in hohem Maße auf die Arbeit israelischer, arabischer, amerikanischer und europäischer Historiker, die, so Wasserstein, den Blick auf den Nahostkonflikt in den letzten Jahren wesentlich verändert haben:
Eine der ermutigenderen Entwicklungen war die allmähliche Annäherung vieler israelischer und palästinensischer Historiker an einen Konsens über bislang umstrittene Themen. Sie kommunizieren miteinander und haben häufig Übereinstimmungen entdeckt, nachdem sie lange aneinander vorbeigeredet haben.
Wenn das nicht hoffen lässt.
Sylke Tempel stellte das neue Buch von Bernard Wasserstein vor. Der Titel: Israel und Palästina. Warum kämpfen sie und wie können sie aufhören. Das Taschenbuch ist im Verlag C.H. Beck erschienen. 172 Seiten sind zum Preis von 9 Euro 90 erhältlich.
Zwischen den Wasserressourcen, von denen Israelis und Palästinenser gleichermaßen abhängen, kann keine Mauer errichtet werden. Sie sind wie siamesische Zwillinge, die einen wichtigen Lebensstoff miteinander teilen. Auf lange Sicht kommen sowohl die Israelis als auch die Palästinenser zu der Einsicht, dass die Zusammenarbeit nicht nur wünschenswert, sondern unvermeidlich ist.
Die Medien mögen hauptsächlich von Terroranschlägen und Vergeltungsaktionen berichten. Leise, unverdrossen und sehr effektiv sorgt ein israelisch-palästinensisches Wasserkomitee trotz der gewaltsamen Auseinandersetzungen noch immer dafür, dass Abwasser eben nicht ungehindert in das Grundwasser oder an die Strände Gazas fließen. Für die so genannten Endstatus-Verhandlungen, in denen auch die Verwaltung der Wasserressourcen geregelt werden muss, dürften die langen Jahre vertrauensvoller Zusammenarbeit von unschätzbarem Wert sein. Irgendwann einmal!
Und die Chinesen in Tel Aviv? Sie bringen, glaubt Wasserstein, den zionistischen Traum eines demokratischen, jüdischen Staates genauso in Gefahr wie es die Besatzung der West Bank und des Gazastreifens tut. Seit dem Beginn der Intifada vor drei Jahren dürfen Palästinenser aus den besetzten Gebieten sich nur noch in absoluten Ausnahmefällen legal in Israel aufhalten, geschweige denn dort arbeiten. Weil die israelische Wirtschaft aber auf billige Arbeitskräfte nicht verzichten will, holte man Gastarbeiter aus Rumänien, Thailand, der Ukraine, aus der Türkei, Ghana, den Philippinen und China ins Land. Sie verfügen nur über Kurzzeit-Verträge und sollten – theoretisch wenigstens – bald wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Die meisten jedoch bleiben.
Einige Stadtviertel im Süden von Tel Aviv wurden zu ethnischen Enklaven dieser Arbeiter mit unverwechselbaren Charakteristika, gesellschaftlichen Bräuchen und Institutionen wie Kirchen, sozialen Einrichtungen und Bordellen für die allein stehenden jungen Männer.
Fast 300.000 Gastarbeiter leben inzwischen in Israel, zwei Drittel davon illegal. Will Israel die Gastarbeiter nicht brutal aus dem Land schmeißen, wird man sie eines Tages integrieren müssen: eine neue nicht-jüdische Minderheit, die die demographische Balance verändert.
Das Wasser und die Chinesen - zwei Aspekte, die willkürlich ausgewählt scheinen, die aber symptomatisch sind für die Absurdität des Nahostkonflikts. Was der anderen Seite nützt, kann uns doch nur schaden, glauben offensichtlich noch viele. Dabei liegt, wie simpel, die Lösung in der Kooperation. Wenn Palästinenser wieder in Israel arbeiten dürften, wäre beiden Seiten geholfen. Eine Handvoll weitsichtiger Unternehmer hat das offensichtlich begriffen. Sie sind dazu übergegangen, schreibt Wasserstein, wieder in Industrieparks an der Grenze zu den palästinensischen Gebieten zu investieren. Arme Nachbarn, wissen sie, sind schlechte Nachbarn. Jobs schaffen auch mehr Sicherheit.
Wassersteins Buch ist eigentlich nur ein Büchlein von knapp 150 Seiten. Trotzdem ist es informativer als die halben Bibliotheken, die schon zum Nahostkonflikt verfasst wurden. Er bemüht nicht immer die gleichen Bilder vom ewigen Kreislauf der Gewalt, dem beide Seiten verhaftet seien. Ganz so, als könnten die Beteiligten wie in einer griechischen Tragödie ihrem Schicksal nicht entrinnen. Er behandelt den Konflikt nicht von den Ursprüngen bis zur Gegenwart. Doch er verzichtet auch nicht auf die Geschichte. Wasserstein bündelt seine Themen schlicht anders, beschreibt "Die Menschen", "Die Gesellschaften", "Die Umwelt" und "Das Territorium". So stellt er andere Zusammenhänge her, verfolgt die Entwicklung beider Gesellschaften, räumt mit alten Mythen auf.
Ein Beispiel: Den Palästinensern sei es nicht zuzumuten, sich auch nur mit einem Zentimeter weniger als der gesamten West Bank, Gazas und Ost-Jerusalems zufrieden zu geben, betonte PLO-Chef Yasser Arafat beim Verhandlungsgipfel von Camp David im Juli 2000. Schließlich handele es sich bei diesen Gebieten nur noch um 22 Prozent des historischen Palästina. Nur gab es nie ein klar definiertes Land Palästina. Als den Briten 1920 das Mandat übertragen wurde, stritt man heftig über den Grenzverlauf. Denn unter türkischer Herrschaft war das Gebiet in vier Verwaltungsdistrikte geordnet, die Teile des heutigen Libanon, Syrien, Jordanien, Israel und Palästina umfassten. Die Grenzen für Palästina wurden von den Kolonialherren so willkürlich gezogen wie alle anderen Grenzen des Nahen Ostens. Wo ein jüdischer und wo der palästinensische Staat entstehen sollte, entschieden die Vereinten Nationen schlicht nach der jeweiligen Bevölkerungsmehrheit. Und genau das, so der Historiker Wasserstein, werde nun wieder geschehen: Denn trotz heftigen Siedlungsbaues ist es Israel nie gelungen, eine wirklich nennenswerte jüdische Bevölkerung in West Bank und Gaza zu verankern. Die meisten Siedlungen sind rund um Jerusalem angeordnet, in den besetzten Gebieten befinden sich fast nur kleine Enklaven mit ein paar hundert Einwohnern. Fast erleichtert stellt Wasserstein fest:
Angesichts der zahlreichen demographischen Untersuchungen, in denen eine arabische Mehrheit zwischen Jordan und Mittelmeer vorausgesagt wird, muss Israel bald eine Entscheidung über seine endgültigen Grenzen treffen. Im Zweifelsfall auch einseitig.
Im Nahen Osten werden Meinungen gerne für Tatsachen gehalten und politische Vorgänge oft über Gebühr emotionalisiert. Weil sie schon so viel gelitten hätten, könnten sie nicht aufhören zu kämpfen, ist von palästinensischer Seite zu hören. Israelis bemühen das alte Trauma der Verfolgung. Noch immer gehe es den Palästinensern darum, den jüdischen Staat von der Landkarte zu wischen. Gelassen, unpolemisch und kein bisschen trocken rationalisiert Wasserstein den Konflikt:
Weder Juden noch Araber sind wahnsinnige Psychopathen. Sie kämpfen um klar definierte Interessen, stützten sich auf verständliche Wertesysteme und verfolgen nachvollziehbare Ziele.
Das mag der Grund für den durchweg optimistischen Unterton des Buches sein: Mit klar definierten Interessen und nachvollziehbaren Zielen lässt sich umgehen. Sein Buch konzentriere sich vor allem auf einige vernachlässigte Aspekte des Konfliktes und stütze sich dabei in hohem Maße auf die Arbeit israelischer, arabischer, amerikanischer und europäischer Historiker, die, so Wasserstein, den Blick auf den Nahostkonflikt in den letzten Jahren wesentlich verändert haben:
Eine der ermutigenderen Entwicklungen war die allmähliche Annäherung vieler israelischer und palästinensischer Historiker an einen Konsens über bislang umstrittene Themen. Sie kommunizieren miteinander und haben häufig Übereinstimmungen entdeckt, nachdem sie lange aneinander vorbeigeredet haben.
Wenn das nicht hoffen lässt.
Sylke Tempel stellte das neue Buch von Bernard Wasserstein vor. Der Titel: Israel und Palästina. Warum kämpfen sie und wie können sie aufhören. Das Taschenbuch ist im Verlag C.H. Beck erschienen. 172 Seiten sind zum Preis von 9 Euro 90 erhältlich.