Montag, 20. Mai 2024

Archiv


Bernd W. Kubbig: Brandherd Irak.

Der Frankfurter Friedensforscher Bernd W. Kubbig hat mit dem Aufsatz-Band "Brandherd Irak" nicht einfach ein Buch über den Konflikt zwischen Bagdad und Washington vorgelegt. Nein, es geht weiter, es ist ein Schnellkurs in US-Außenpolitik, ein Kompakt-Studium über die komplizierten Machtverhältnisse im Mittleren Osten, über irakische Waffensysteme und auch zum Völkerrecht. Hier werden Hintergründe und wahrscheinliche Auswirkungen des Krieges untersucht.

Rolf Clement | 07.04.2003
    Zwei Vorbemerkungen: Aktuelle Bücher, die zum Irak-Konflikt heute bereits auf dem Markt sind, sind alle in der Vorkriegszeit geschrieben worden. Insofern plädieren die Autoren, die Bernd Kubbig für sein Buch gewonnen hat, unisono gegen den mittlerweile begonnenen Krieg. Ein Teil der Argumente ist damit durch die tatsächliche Entwicklung überholt. Und: Der Untertitel "US-Hegemonieanspruch, die UNO und die Rolle Europas" suggeriert eine Tendenz, die die Autoren eint: Die USA suchen nach einer Absicherung ihrer Weltherrschaft, und die Autoren halten das für falsch. Deswegen gibt es einige Bereiche, in denen die Autoren bei richtiger Argumentationskette das letzte, das Verhalten der USA erklärende Glied nicht anknüpfen. Der Leser muss also ein Stück weiterdenken, was nicht zu anderen Schlüssen führen muss, aber zur Vollständigkeit der Argumentation gehört. Das Buch ist ausgesprochen breit konzipiert. Es werden alle in den Irak-Konflikt wirkenden Interessenfelder analysiert. Die Konzeption ist sehr gut gelungen und alles in allem äußerst brauchbar umgesetzt worden. Bernd Kubbig meint zur Ausgangslage:

    Die Vorgeschichte der sich zuspitzenden Entwicklungen von 2002/2003 lässt sich, das macht die völkerrechtliche Dimension aus - als eine Kette von Regelbrüchen beschreiben. Denn der 1991 besiegte, aber nicht beseitigte Tyrann an Euphrat und Tigris fand sich mit dieser Situation eingeschränkter Souveränität nicht ab. Den von der internationalen Gemeinschaft auferlegten Inspektionen und Sanktionen versuchte er mit aller verbliebenen Macht und Energie zu trotzen.

    Und dann:

    Der politische Rückhalt für die Handelshindernisse verringerte sich, die Weltöffentlichkeit nahm sie mehr und mehr als nichtmilitärisches Mittel wahr, das der Bevölkerung im Irak schadete. Die Stabilität des Regimes hingegen berührten die Sanktionen nicht. Neue, wirksamere Konzepte waren erforderlich.

    Aber Kubbig weiß auch:

    Saddam Hussein hat sein regionales Vormachtstreben nicht aufgegeben.

    Trotzdem schlägt er für die Zukunft weitere, aber nur auf den Rüstungsbereich konzentrierte Sanktionen, gepaart mit einer kooperativen Demokratisierungsstrategie für den Nahen Osten, vor. Das ist nicht weit weg von dem Ansatz, den die USA auch proklamieren. Der Unterschied zur US-Strategie besteht in einer größeren Einbindung z. B. der Europäer und in einer Ablehnung des Einsatzes militärischer Gewalt. Und hier kommen mehrere Autoren zu einem gemeinsames Resümee:

    Auch in Zukunft wird eine glaubwürdige Drohkulisse für ein effektives Inspektionsregime im Irak nötig sein, solange Saddam Hussein und sein Regime herrschen.

    Das ist eine wissenschaftlich vertretbare Position. Realpolitisch muss die Frage erörtert werden, wie lange eine solche Drohkulisse bei auch von den Autoren zugestandenem wenig kooperativem Verhalten Saddams aufrecht erhalten werden kann. Immer wieder wird deutlich, wie stark die Interessen der USA an zwei Elementen orientiert sind: Der Terrorismus muss ausgetrocknet werden, wobei die USA einen sehr breiten, bei weitem nicht von allen mitgetragenen Terrorismusbegriff zu Grunde legen. Zum zweiten prägt die US-Politik die fast bedingungslose Unterstützung Israels in der Region, ein Umstand, der in Beiträgen von Markus Kaim und Volker Perthes eindrucksvoll begründet wird. Zur Recht verweisen diejenigen Autoren, die sich mit der Bedrohung durch B- und C-Waffen beschäftigen, darauf, dass die Waffen alleine noch nicht als Bedrohung außerhalb der Region eingestuft werden können. Hinzu treten muss ein politischer Wille, diese weltweit einzusetzen. Hier aber springen die Analysten zu kurz: Wenn Saddam Hussein Vormachtgelüste unterstellt werden, dann kommt es auf die Fähigkeit, diese durchzusetzen, in erster Linie an. Der politische Wille ist leichter veränderbar als Fähigkeiten erworben werden können. Die Argumentation der USA, dass der Versuch, die Fähigkeit zu weitreichenden Operationen zu erringen, bereits unterbunden werden soll, um politische Gelüste, Europa und andere zu treffen, nicht entstehen lässt, wird nicht erörtert. Dazu gehört auch, dass auf Grund der Bündnisverpflichtungen gegenüber der Türkei schon recht kurzreichende Operationen des Irak massive Auswirkungen auf Europa hätten. Die Einflüsse, die auf die US-Politik wirken, werden sehr präzise analysiert. Dabei wird eine These nicht mehr überprüft, die auf den ersten Blick überzeugend scheint: Dass die USA spätestens mit der Diktion in der von Präsident Bush junior vorgelegten Sicherheitsdoktrin die US-Interessen als maßgebend für die Welt darstellen. Später wird untersucht, welche Chancen die Weltgemeinschaft hat, dies einzudämmen. Die Art, so Harald Müller, wie die USA dies zur Zeit durchsetzen, lässt den Schluss zu, dass andere Staaten der Welt vor der Durchsetzung ihrer, von den US-Interessen abweichenden Interessen, abgeschreckt werden sollen. In dieser Rezension soll noch ein Aspekt herausgegriffen werden: Die Energiepolitik. Dabei stellt Friedemann Müller nicht nur auf die Rohstoffe und ihre Verfügbarkeit in der Region ab, sondern auch auf das Interesse an sicherem Transport von Öl und Gas in die Verbraucherländer. Und:

    Die Europäer halten sich aus der geopolitischen Interessenwahrnehmung heraus. Doch sind für sie die auf dem Spiel stehenden Interessen gewichtiger. Sie hängen zu einem größeren Teil ihrer Versorgung vom Öl des Golfs ab als die Vereinigten Staaten. Sie verfügen mit Russland und Nordafrika über die geringeren Alternativen als die USA mit Lateinamerika und Westafrika. Sinnvoll wäre jedenfalls, wenn die derzeitige Krise am Golf genutzt würde, um die europäischen Interessen gegenüber dieser Region bezüglich der eigenen Versorgungssicherheit zu formulieren und gegebenenfalls in eine konsistente Politik umzusetzen.

    Trotz der beschriebenen kritischen Anmerkungen handelt es sich mit diesem Buch um ein sehr informatives, gut analysierendes Werk, dessen Wert über die gegenwärtige Krise hinausreicht.

    Bernd W. Kubbig: Brandherd Irak. US-Hegemonieanspruch, die UNO und die Rolle Europas. Campus-Verlag. 280 Seiten kosten 18 Euro 90.