Rund 300.000 Frauen unter anderem aus Polen, Litauen und Ungarn betreuen Pflegebedürftige in ihren Wohnungen. Moderne Sklaven seien sie, sagen Kritiker, viele arbeiten illegal, sie verdienen schlecht und sind rechtlich kaum abgesichert. Ohne Betreuungskräfte aus Mittel- und Osteuropa, entgegnen die Befürworter, würde Deutschlands Pflegesystem kollabieren.
Prof. Dr. rer. pol. Bernhard Emunds, Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt am Main
In der sogenannten 24-Stunden-Pflege leben Polinnen und andere Mittel- und Osteuropäerinnen mit in den Haushalten der Pflegebedürftigen. Dort übernehmen sie Pflegeaufgaben, hauswirtschaftliche Tätigkeiten und bei Demenz auch die Aufsicht der zu pflegenden Person. Nimmt man die Zeiten ihrer Einsatzbereitschaft, die sie vor Ort verbringen, hinzu, arbeiten diese Pflegekräfte an sieben Tagen die Woche – abgesehen von kurzen Ruhepausen rund um die Uhr. Eine solche Erwerbstätigkeit ist ausbeuterisch. In den Phasen ihres Pflegeeinsatzes in Deutschland haben diese Migrantinnen keine Zeit, in der sie dem Pflegebedürftigen oder seiner Familie nicht zur Verfügung stünden. Das verstößt gegen das Menschenrecht auf Freizeit. Deshalb muss die Nachfrage nach sog. 24-Stunden-Pflege soweit wie möglich reduziert werden: durch eine Verbesserung der stationären Angebote und durch neue Pflegewohngruppen sowie durch individuell zugeschnittene Kombinationen unterstützender Dienstleistungen.
Frederic Seebohm, Geschäftsführung und Vorstandsmitglied des Verbandes für häusliche Betreuung und Pflege e.V., Berlin
Täglich sind mehr als 300.000 Pflegebedürftige auf Betreuung in häuslicher Gemeinschaft existentiell angewiesen. Wer das nicht will, muss zusätzlich zu schon jetzt 800.000 stationären Plätzen weitere 3.750 Heime bauen – und zusätzlich 50.000 examinierte Pflegekräfte herbeizaubern. Auch müsste man den Willen der Betroffenen brechen, die zu Hause bleiben wollen. Betreuungspersonen aus Osteuropa sind nicht ersetzbar. Denn Angehörige sind selber pflegebedürftig, noch berufstätig oder schlicht nicht existent. Der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) kämpft für qualifizierte, rechtssichere, bezahlbare Betreuung in häuslicher Gemeinschaft, Hand in Hand mit ambulanten Pflegediensten. Das ist in Österreich seit 11 Jahren üblich. Als Vorsorgeanwalt und Geschäftsführer des VHBP nehme ich nicht hin, dass die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft tabuisiert und über häufige Schwarzarbeit hinweggesehen wird. Pflegebedürftige dürfen möglichst in ihrem Zuhause leben und sterben. Das ist kein Privileg für die oberen Zehntausend. Das ist einfach Menschlichkeit für z.B. eine pensionierte Lehrerin, also die Mitte der Gesellschaft.