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Bernhard Grau: Kurt Eisner 1867 - 1919. Eine Biographie

Kurt Eisner kämpfte für einen sozialistischen Humanismus, und er war der Begründer des Freistaats Bayern, woran man sich dort allerdings heute nicht gern erinnert. Im November 1918 wurde er bayerischer Ministerpräsident, doch nur hundert Tage später fiel er dem Attentat eines rechtsradikalen Leutnants zum Opfer. Bernhard Grau hat Eisners Leben erforscht und im Beck Verlag seine Biographie vorgelegt.

Stefan Berkholz | 07.05.2001
    Noch heute erregen sein Name und die wenigen Fotos, die wir von ihm haben, die Gemüter: Sein Antlitz steht für anarchistische, syndikalistische Träumerei, Typ Gustav Landauer, ein Zwillingsbruder könnte er sein, ermordet wurde auch jener. Eisners Name steht für ein anderes, ein sozialistisches Deutschland, seine Person ist untrennbar mit dem Sturz der bayerischen Monarchie im November 1918 verbunden. Eisner war der erste bayerische Ministerpräsident, er gilt als Gründer des Freistaats. Geschichtsschreiber interessierten sich bisher vor allem für die letzten aufregenden Monate im Leben Kurt Eisners.

    Zwischen Umsturz und Ermordung lagen nicht einmal vier Monate, ein Zeitraum, in dem Eisner umzusetzen versucht hatte, wofür er jahrzehntelang zunächst als Publizist, dann auch als Agitator und als Politiker gekämpft hatte. Wenige Wochen waren ihm nur vergönnt, um Ideen zu verwirklichen, die in dieser kurzen Zeit nicht zu verwirklichen waren: der Bruch mit einem politischen System, das den Ersten Weltkrieg und dessen Greuel mitzuverantworten hatte, die Schaffung einer neuen politischen und sozialen Ordnung, vor allem aber die Weckung der öffentlichen Akzeptanz, derer die soziale Demokratie zu ihrer dauerhaften Verankerung bedurfte. So wurde Eisner einerseits zur Symbolfigur für einen moralisch integeren demokratischen Neuanfang, andererseits aber auch zur Personifizierung für dessen Scheitern.

    Eisner wird bis heute gern als Spinner dargestellt, sein Scheitern war vorprogrammiert, sagt man. Liest man die umfangreiche Biographie des Archivars Bernhard Grau, zeigt sich ein ganz anderes Bild: das eines radikalen Reformers, der verantwortungsbewusst und sehr sozial handelte. Mit Eisner hätte ein demokratisches Deutschland entstehen können, mit seiner Ermordung aber erfolgte - ebenfalls von München aus - der Aufstieg Hitlers.

    Dieses Buch will freilich nicht nur eine Neubewertung von Eisners Wirken als bayerischer Ministerpräsident versuchen. Ziel ist es vielmehr zugleich, die vorausgehenden Lebensabschnitte gleichgewichtig zu berücksichtigen. Dieses Bemühen resultiert nicht zuletzt aus der Beobachtung, dass Eisners journalistisches Wirken und seine parteipolitische Betätigung innerhalb der deutschen Sozialdemokratie eine eigenständige Beachtung verdienen.

    Bernhard Grau stellt den beruflichen Werdegang und die geistige und politische Entwicklung Eisners in den Mittelpunkt seiner Darstellung. Er will zeigen, dass Eisners Ernennung zum bayerischen Ministerpräsidenten kein Zufall der Geschichte war und dass Eisner auch nicht unbedarft handelte, wie zumeist behauptet. - Kurt Eisner, 1867 in Berlin geboren, studierte Philosophie und Literaturgeschichte, um dann in den Journalismus zu gehen. Über Frankfurt und Marburg kehrte er in seine Heimatstadt Berlin zurück. 1898 berief ihn Wilhelm Liebknecht, der Chefredakteur, zum sozialdemokratischen "Vorwärts".

    Eisner - dies muss klar und deutlich unterstrichen werden - wurde nicht wegen seiner politischen Ansichten zur Sozialdemokratie geholt. Hauptzweck seiner Berufung an den 'Vorwärts' war es vielmehr, das Zentralorgan qualitativ zu heben und damit aus der Schusslinie seiner Kritiker zu nehmen. (...) Obwohl das Zentralorgan mit dem Aktualitätsanspruch seiner bürgerlichen Pendants nie mitzuhalten vermochte, erarbeitete es sich mit seinen scharfen Kommentaren und seiner bissig-ironischen Berichterstattung (...) den Status eines ungewöhnlich gut informierten, intelligenten und gut lesbaren Tagesperiodikums. (...) Eisner machte sich durch die Qualität seiner Arbeit (...) schnell unentbehrlich.

    Dass auch dies bloß Episode blieb, lag an Eisners ungebundenem Geist. Er wollte sich nicht wider besseres Wissen unterordnen, er hielt sich nicht an Parteilinien, wenn sie mit seinen Überzeugungen kollidierten, er blieb Außenseiter. Als Eisner 1905 im Streit den "Vorwärts" verlassen hatte, war ihm damit die wirkungsvollste Position als Journalist genommen. Er wirkte fortan als Chefredakteur in Nürnberg, danach in München. Und er entdeckte sein rednerisches Talent.

    In Nürnberg, wo ihm die Leitung der 'Fränkischen Tagespost' angetragen worden war, verließ er (...) erstmals den Elfenbeinturm des Parteischriftstellers und beteiligte sich als Versammlungsredner an der Agitation der nordbayerischen SPD. (...) Für Eisner war das politische Engagement mehr als nur ein Nebenprodukt seiner Arbeit für die Presse. Nichts zeigt dies so deutlich wie seine langjährige, in der Forschung bislang kaum zur Kenntnis genommene Beschäftigung mit außen- und militärpolitischen Themen.

    Doch trotz seines herausragenden politischen Talents: Auch Eisner blieben schmerzliche Irrtümer nicht erspart. So sprach er sich wenige Tage nach Kriegsbeginn, am 4. August 1914, eindeutig für den Krieg aus:

    Jetzt hat der Zarismus angegriffen, jetzt haben wir keine Wahl, jetzt gibt es kein Zurückblicken. Jetzt hat das deutsche Proletariat den Erbfeind der europäischen Gesittung zu vernichten, als Deutsche, als Demokraten, als Sozialisten ergreifen wir die Waffen für die gerechte Sache.

    Eisner bereute seinen Irrtum kurze Zeit später, im Frühjahr 1915 war er schon überzeugt, nicht Russland, sondern das Deutsche Reich habe den Krieg verschuldet. Als die Ereignisse sich dann zuspitzten, allgemeine Kriegsmüdigkeit und die Niederlagen auf den Schlachtfeldern für revolutionäre Stimmung sorgten, war Eisner zur Stelle. Kein Zufall, sagt Grau, keine Träumerei, sondern Ausdruck einer Massenbewegung.

    Auch die Tatsache, dass es Eisner unter den Bedingungen des Kriegszustandsrechts gelang, die Münchner Linksopposition um sich zu sammeln und so den isolierten und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten beraubten Kriegsgegnern ein Forum zu verschaffen, spricht eher für als gegen eine ausgeprägte politische Statur. Durch die Initiierung des Januarstreiks von 1918 und der Novemberrevolution desselben Jahres hatte Eisner zudem unter Beweis gestellt, dass er ein ausgeprägtes Gespür für die vorherrschenden politischen Stimmungen besaß. (...) Entscheidend war aber wohl, dass er den Mut aufbrachte, die für richtig erkannten Aktionen auch in die Tat umzusetzen. Mit dieser Bereitschaft zum Handeln wurde er (...) regelrecht zur Schlüsselfigur der lokalen Antikriegsbewegung.

    Eisner war lange Zeit für eine konsequente Reformpolitik eingetreten. Dabei hatte er die unmittelbare Gegenwart vor Augen gehabt. Doch mit dem Blick voraus war er zugleich für die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft. Das war nicht widersprüchlich, meint Grau, sondern durchaus konsequent, auch wenn das selten verstanden wurde.

    Eisner sah in der Erneuerung von Staat und Gesellschaft (...) nicht zuletzt eine große Kulturaufgabe. Sein Ziel war es, dem Mangel an politischem Sinn und politischer Bildung bei den Massen abzuhelfen und stattdessen politische Urteilsfähigkeit und Wachsamkeit zu fördern. Der Einzelne sollte zu eigenverantwortlichem politischen Handeln befähigt und so aus der Abhängigkeit von den traditionellen Autoritäten befreit werden. Erst wenn das Individuum sich von seinen Führern emanzipiert hatte, selbst ein Führer geworden war, erst dann, so Eisners feste Überzeugung, war Demokratie im eigentlichen Sinn des Wortes möglich.

    Radikale Demokratie schwebte ihm also vor - eine Vision noch heute, schaut man einmal genauer in die Hierarchien und erkennt, wie wenig tatsächlich mitbestimmt, wie wenig eigenverantwortlich gehandelt wird, wieviel Willkür aber, wieviel Selbstbedienung und Missbrauch auf Seiten der Macht ist. Kurt Eisner wollte Verantwortung und Macht auf möglichst viele Schultern übertragen. Verstanden wurde das nicht, er hatte dafür mit seinem Tod zu büßen. Verstanden oder befürwortet werden Eisners Überzeugungen bis heute nicht. Rätedemokratie wird als rotes Schild vor eine Figur wie Kurt Eisner gehalten. Mit Bernhard Graus umfangreicher, sehr differenzierter, aber auch langatmiger Studie kann der Slogan "Mehr Demokratie wagen" neu betrachtet werden.

    Bernhard Grau: Kurt Eisner 1867 - 1919. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München. 652 Seiten, 98,-- DM.