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Bernhard von Mutius: Die Verwandlung der Welt. Ein Dialog mit der Zukunft

Dass der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht, hat Hannah Arendt bereits in den sechziger Jahren festgestellt, also zu einem Zeitpunkt, als Begriffe wie Digitalisierung oder Globalisierung noch nicht zum gemeinen Wortschatz zählten. Ferner hat sie darauf aufmerksam gemacht, dass das Ende der Erwerbsarbeit an sich noch nicht in eine gesellschaftliche Katastrophe münden muss. Katastrophale Folgen hat die Befreiung von der Arbeit nur deshalb, weil die bürgerliche Revolution auch einen Totalitarismus der Erwerbsarbeit durchsetzte. Erwerbsarbeit garantiert Einkommen, sichert die gesellschaftliche Integration, legitimiert soziale Ungleichheit und garantiert die "Selbsteinpassung der Individuen in die gesellschaftliche Herrschaftsstruktur". Dass zu Beginn der westlichen Zivilisation, also in der Antike, Arbeit ein Element war, das Menschen aus der Gesellschaft ausschloss, wurde im kapitalistischen Zeitalter vergessen. Auch deshalb ist es nicht verwunderlich, dass heute nur in kleinen Zirkeln ernsthaft darüber diskutiert wird, wie eine Gesellschaft jenseits der Erwerbsarbeit organisiert werden kann. Gleichzeitig ist unklar, wie im Zeitalter der Globalisierung die Produktion organisiert werden soll, in welchem Verhältnis Kontrolle und Selbständigkeit stehen müssen, damit ein optimales Betriebsergebnis erzielt wird.

Stephan Wehowsky |
    "Heute gilt: Big is beautiful, morgen das Gegenteil: Firmenzusammenschlüsse sind des Teufels, small is beautiful. Oder etwas Drittes. Organisations- und Managementmoden regieren wie Frühjahrs- oder Herbstkollektion in den Chefetagen und legen fest, was schicklich ist und was nicht. Und auf den Laufstegen präsentieren Organisations-Mannequins - auch Management-Berater genannt - den letzten Schick. So wie jetzt der Neoliberalismus allen seine Stil-Vorstellungen als den letzten Schrei aufdrängt, kann an der nächsten Ecke genau das Gegenteil propagiert und möglicherweise auch mit großen Folgen und Erfolgen umgesetzt werden."

    Ulrich Beck sagt das in einem überaus anregendem Gespräch mit Johannes Willms, das der Frankfurter Suhrkamp Verlag unter dem Titel "Freiheit oder Kapitalismus" herausgebracht hat.

    Wie schön, wenn angesichts von so viel Ratlosigkeit und Beliebigkeit Bernhard von Mutius, eines dieser Organisations-Mannequins, sich an den Computer setzt und über "Die Verwandlung der Welt" einen "Dialog mit der Zukunft" führt. Was dabei herausgekommen ist, sagt Ihnen Stephan Wehowsky.



    Welchen Sinn hat es, wieder und wieder zu beschreiben, wie sich starre Unternehmensstrukturen auflösen, flache Hierarchien und Netzwerke entstehen oder wie wichtig der Rohstoff der Kreativität gegenüber herkömmlichen Rohstoffen geworden ist? Man kann es schon fast nicht mehr hören beziehungsweise lesen. Gleichwohl macht es Spaß, den Ausführungen von Bernhard von Mutius zu folgen. Der Untertitel lautet: "Ein Dialog mit der Zukunft". Tatsächlich aber spinnt von Mutius den Leser in einen Dialog ein, den er nachdenklich und immer wieder die Perspektiven und Positionen wechselnd mit sich selber führt. Geht das eigentlich - einen Dialog mit sich selber führen? Es geht, wenn man die verschiedenen Stimmen in sich selbst hören kann: Stimmen, die von Chancen sprechen, Stimmen, die mehr die Risiken betonen, Stimmen, die die Sieger feiern, und Stimmen, die sich zum Anwalt der Verlierer machen. Diese Vielstimmigkeit macht den Reiz des Buches aus. Ein Problem besteht allerdings darin, dass in der orchestrierten Nachdenklichkeit allzu viele Wiederholungen stecken. Unendlich oft erzählt uns von Mutius dasselbe: Wie die Geschwindigkeit unserer Welt zunimmt, wie sich einerseits die Chancen für alle vergrößern, andererseits ein globales Einerlei unsere Geschmäcker und Sinne verdirbt oder dass wir erst am Anfang einer kommunikationstechnischen Revolution stehen. So hat man etwa im dritten Kapitel das Gefühl, von Mutius sei die gedankliche Puste ausgegangen. Trotzdem liest man weiter, denn es finden sich immer wieder Details oder gelungene Formulierungen, die den erfahrenen und kenntnisreichen Firmenberater, der von Mutius ja eigentlich ist, erkennen lassen. Und dann kommt man zum fünften Kapitel mit der Überschrift "Befürchtungen", und da lohnt sich die Lektüre Seite für Seite.

    Warum ist ausgerechnet dieses Kapitel das stärkste des Buches? Der Verdacht kommt auf, dass sich halt über Befürchtungen weitaus brillanter schreiben lässt als über Hoffnungen. Wer etwas befürchtet, ist als Autor zudem auf der sicheren Seite, denn er setzt sich nicht der Kritik aus, mit naiven Hoffnungen in die Zukunft zu blicken. Das ist aber nicht der Punkt bei von Mutius. Die Befürchtungen, die er äußert, entstammen keinem wohlfeilen Kulturpessimismus, sondern erwachsen aus den Analysen eines Firmenberaters. Welche Befürchtungen äußert von Mutius?

    Zunächst sieht er eine Dialektik, die aus der neuen Vielfalt von Möglichkeiten die Eintönigkeit und Einfalt der Produkte hervorbringt. Er erinnert an die allseits diagnostizierte Auflösung von Normen und Verhaltensweisen, also das Verschwinden von Orientierungsmarken, und fragt:

    "Wenn wir aber nicht wissen, ob wir uns an etwas halten können, ist es da nicht ganz gleich, woran wir uns halten?"

    Aus der Gleichgültigkeit wächst in den Augen von von Mutius eine Bequemlichkeit, die nach standardisierten Abläufen und Produkten sucht. Ob es sich nun um Filme, Nahrungsmittel oder Technik handelt: Weltweit sehen wir dasselbe und nutzen dasselbe. McDonalds ist überall. – Na gut, könnte man einwenden, diese Kritik ist nicht ganz neu. Sie bildet aber erst den Auftakt zu weiteren Überlegungen, die die Schwächen unserer heutigen zunehmend virtuellen Arbeitswelt aufdeckt. Kommunikationsfähigkeit und Teamfähigkeit werden heute groß geschrieben.

    "In den virtuellen Arbeitsverhältnissen wird Originalität zu einer verschwindenden Größe. Das Teamergebnis zählt mehr als der einzelne Beitrag dazu. Die individuelle Handschrift ist im interaktiven Prozess kaum noch zu erkennen. Wenn aber das Ich und die Urheberschaft getrennt werden, muss man mit George Steiner fagen: 'Wo lässt sich Verantwortlichkeit festmachen?"

    Und er fährt fort:

    "Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, Kreativität, Schnelligkeit und Flexibilität sind alles wichtige und nützliche Merkmale für die Selbstbehauptung in einer dynamischen Netzwerk-Gesellschaft, aber welches Selbst soll sich da behaupten? Fördern wir nicht einen 'Selbst-Typ', der mit allen Wassern gewaschen ist, über alles mitreden und sich über alles hinwegsetzten kann?"

    Besonderes Gewicht bekommt dieser nachdenkliche Einwand vor dem Optimismus der ersten Kapitel. Da beschreibt von Mutius die großen Vorteile, die sich daraus ergeben, dass Firmen immer mehr zu Netzwerken werden, in die sich jeder einklinken kann, der in irgendeiner Weise eine Idee oder auch nur einen Impuls mitbringt. Da hindern ihn keine Hierarchien oder andere starre Strukturen. Er kann sich selber seine Tätigkeitsfelder schaffen, wenn er nur will. Und jetzt die andere Seite dieser phantastischen Chancen: der opportunistische Allrounder, der souverän im Netz mit dem Netz spielt und dem alle festen Orientierungspunkte vollkommen gleichgültig sind. Ähnliches diagnostiziert von Mutius bei den Produkten. Sie werden sich nicht nur immer ähnlicher, sondern auch immer schlechter. In diesem Zusammenhang zitiert er den Entertainer Thomas Gottschalk:

    "Wenn ich sehe, was meine Kinder gucken – wenn da nicht alle zwei, drei Minuten was explodiert, schalten sie ab. ... Das Rad dreht sich immer schneller. Hier gibt es eine Spirale, deren Ende nicht abzusehen ist."

    Das ist natürlich auch nicht neu. Interessant ist aber die Begründung, die von Mutius liefert. In der Wirtschaft wie in den Medien wird Qualität an quantitativen Maßstäben gemessen. Es soll schnell, billig und effizient produziert werden, man braucht viele Käufer und Zuschauer. Quantität ist aber nicht Qualität.

    "So werden überall just die Kriterien zur Bewertung von Qualität herangezogen, die weithin gerade zur Qualitätsminderung führen. Während auf der einen Seite gerufen wird: 'Land unter', werden auf der anderen Seite nicht nur die Schleusen weiter geöffnet, sondern von dort kommt auch noch als Echo: 'Wir haben alles im Griff. Wir können die Menge und die Geschwindigkeit der hereinströmenden Wassermassen immer genauer messen."

    Diese absurde Logik wirkt sich auf jeden Einzelnen aus. In dem Maße, wie Inhalte und Qualitäten gleichgültig werden, geht es darum, sich aus der Masse durch "Beachtlichkeit" herauszuheben. "Beachtlichkeit" – das ist ein schöner Ausdruck, der erklärt, warum Menschen heutzutage alles tun, um wenigstens für Momente in den Massenmedien Beachtung zu finden. Und sie werden von den zahllosen Zuschauern beachtet, weil diese selbst einmal beachtet werden möchten und sich mit den bloß wegen ihrer Beachtlichkeit Beachteten identifizieren. Man sieht, alles wird irgendwie zum Selbstläufer. Und die Politik? Könnte die Politik nicht irgendwie gegensteuern?

    "Die Politik gerät zunehmend in eine Doublebind-Situation. Auf der einen Seite steht das Gebot: Du sollst nicht regulierend in die Entwicklung eingreifen. Von der anderen Seite erschallt der Ruf: Du musst intervenieren, um das Schlimmste zu verhindern."

    Das ist schön gesagt und beobachtet, macht aber zugleich klar, dass von der Politik nichts zu erwarten ist. Die Doublebind-Situation, der ewig widersprüchliche Befehl: "Komm her – bleib weg" minimiert die Handlungsoptionen der Politiker. Rettung kommt bestenfalls, so kann man von Mutius wohl verstehen, daraus, dass sich bestimmte Konstellationen selbst destabilisieren und daher auf eine positive Änderung tendieren. So sieht von Mutius etwa die Möglichkeit eines Politiker- und Institutionenüberdrusses, der die Bürgerinnen und Bürger zu neuen Aktivitäten treibt. In der Wirtschaft wiederum macht er folgende Unterscheidung: Es gibt Betriebe, die sich durch ihre Firmenphilosophie als Wertegemeinschaft verstehen und entsprechend ihre Mitarbeiter langfristig an sich binden. Andere wiederum sind nur auf kurzfristige Profite aus, rekrutieren und entlassen kurzfristig. Diese Unternehmen nennt er "Söldnerorganisationen". Die können zwar kurzfristig außerordentlich schlagkräftig, das heißt profitabel, sein, untergraben aber langfristig alle Werte, die die Menschen und damit auch die Wirtschaft brauchen: Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und so weiter. In dem Maße, wie Söldnerorganisationen den Markt beherrschen, wächst der Wert der Werte. An der nächsten Wegbiegung denkt von Mutius aber noch einen Schritt weiter: Wie ist es, so fragt er, wenn sich die Söldnerorganisationen mit Werten schmücken, an die sie zwar nicht glauben, die sich aber gut machen? Und wie steht es, so fragt er an anderer Stelle, überhaupt mit den Werten in einer Welt, die streckenweise zwischen Original und Kopie, zwischen Realität und Fiktion gar nicht mehr unterscheiden kann?

    Das Schlusskapitel macht deutlich, dass Bernhard von Mutius kein Pessimist ist, eher jener "Möglichkeits-Mensch", den er in Anlehnung an Robert Musils "Möglichkeitssinn" als kreativen Verwirklicher der im Möglichkeitsraum angelegten Chancen sieht.

    Stephan Wehowsky über Bernhard von Mutius, "Die Verwandlung der Welt. Ein Dialog mit der Zukunft". Der Band ist bei Klett Cotta in Stuttgart erschienen, umfasst 337 Seiten und kostet DM 39,80.

    Hinweis: Freiheit oder Kapitalismus. Gesellschaft neu denken. Ulrich Beck im Gespräch mit Johannes Willms, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2000